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Bibliothekswissenschaft - möglich und faktisch



Nicht gerne, eher mit Erstaunen, habe ich die Diskussion um den
Wissenschaftsstatus der BW hier in der Liste verfolgt. Da ich ein
Jahr den LS BW an der HU als Gastprofessur wahrgenommen habe
(ansonsten, wie auch jetzt wieder, auf dem LS
Informationswissenschaft in Konstanz), meine ich mich nun doch
beteiligen zu müssen, damit auch der Kollege Umstätter nicht der
einzige Hochschullehrer ist, der von den Attacken der
Bibliothekare befallen wird. 

Eine Diskussion um die Wissenschaftsfähigkeit der
Bibliothekswissenschaft ist kaum produktiv, ebenso wie eine
solche über die Wissenschaftsfähigkeit von
Informationswissenschaft oder Verwaltungswissenschaft oder
Politikwissenschaft etc. Faktisch institutionell gibt es sie,
z.B. umfänglich als Library and Information Science in der
Angelsächsischen Ländern (auch wenn "Science" nicht mit
"Wissenschaft" identisch sein muss). Wissenschaftler, die zu
methodisch fundierten, experimentell und/oder empirisch
abgesicherten und nachprüfbaren Aussagen zu Objekten und
Prozessen im weiteren Umfeld von Bibliotheken, heute zunehmend
von digitalen Bibliotheken, kommen, dürfen sich sicherlich
Bibliothekswissenschaftler und dann auch - wenn sie dafür berufen
werden - Professoren für Bibliothekswissenschaft nennen (ich
selber denke, dass sie Informationswissenschaftler sind, denn
untersucht werden ja nicht die Institutionen an sich, sondern die
Funktionen der Informationsverarbeitung, aber das ist jetzt nicht
entscheidend). 

Ob es nun genuin bibliothekswissenschaftliche Methoden sind, die
zum Einsatz kommen, oder ob diese aus anderen Disziplinen
entlehnt bzw. durch Weiterentwicklung modifiziert werden, ist
zweitrangig. Diesen Methodenpurismus leistet sich auch sonst
keine andere Disziplin. Wenn es genug solcher Leute gibt, die
faktisch bibliothekswissenschaftlich und entsprechend unter
anerkannten wissenschaftlichen Standards arbeiten, dann existiert
eben diese Bibliothekswissenschaft - wie man ja erneut auch am
Beispiel der angelsächsischen Länder sieht. 

Eindeutig entscheidet die Praxis der Wissenschaft über den
wissenschaftlichen Status, nicht die Überlegung ob des an und für
sich Möglichen der Wissenschaftlichkeit eines Gegenstandbereichs. 
Entsprechend wissenschaftsfähig ist Bibliothekswissenschaft
allemale, ob
in ihren institutionellen und persönlichen Ausprägungen wirklich
Wissenschaft betrieben wird, ist natürlich eine ganz andere
Frage. Wenn dies nicht passiert, wie z.B. lange her in dem alten
Kölner
Kaegbein-Institut, wird ihr ganz einfach institutionell die
Existenzberechtigung abgesprochen, dort durch Schließung in NRW.

Daher kann es nur im Interesse aller Bibliothekspraktiker sein -
wenn sie denn interessiert sind, ihre eigene Praxis durch
wissenschaftlich abgesicherte Verfahren und Einsichten besser zu
gestalten -, sich für eine institutionelle Festigung der
Bibliothekswissenschaft und für eine kritische Begleitung der
Arbeit der mit wissenschaftlichem Anspruch in Forschung und Lehre
Arbeitenden einzusetzen, damit diese sich  auch in Deutschland
endlich auf die internationalen Standards zubewegen kann und vor
allem auch damit die Themen der (digitalen) Bibliotheken nicht
alleine, wie es ohnehin umfassend im Kontext von BMBF-, DG- ode
EU-Programmen geschieht, durch die Informatik besetzt werden.

Ein solcher Einsatz scheinbt mir besser zu sein, als in
freizügiger Beliebigkeit, Privatheit oder individueller
Karriereenttäuschung über Bibliothekswissenschaft zu
polemisieren. Solcher Subjektivismus hat ja schon manches
destruiert, wie auch das Berliner Bibliotheksinstitut und
früher die Gesellschaft für Information und Dokumentation (GID)
für die Informationswissenschaft. Wenn dann das Fach verschwunden
ist, fangen sicher alle an sich zu beklagen, auch weil damit die
Chance nicht mehr gegeben ist, sich akademisch, z.B. über einen
Doktorgrad, weiterzuqualifizieren (oder glauben alle
Bibliothekare, dass sie in der Informatik promovieren können?).

Um also der Diskussion eine neue Wende zu geben, schlage ich vor,
dass sie sich darauf konzentrieren sollte, wie man die
Bibliotheks- und (ich bin so frei) Informationswissenschaft in
Deutschland institutionell und personell stärken kann, z.B. auch,
wie das einzige derartige universitäre Bibliotheksinstitut in
Deutschland, an der HU, seine einzige C4-Professur erhalten oder
weitere einwerben kann. Weiterhin wäre die Diskussion darüber
konstruktiv, welches genuin bibliothekswissenschaftliche Ansätze,
Themen, Fragen sind, die nicht aus einer technischen
Informatik-Sicht bearbeitet werden können. Wenn es sich dabei
herausstellen sollte, dass alles durch Informatik und
Informationswissenschaft abgedeckt ist, dann ....

Im übrigen sind alle weiterhin eingeladen, an dem montäglichen
Kolloqium des Berliner Biblithekswissenschaftlichen Instituts
über Digitale Bibliotheken teilzunehmen (Info über die Website
dort: http://www.ib.hu-berlin.de/bbk/bbkpro.htm) - gehört auch
zur Wissenschaftspraxis.

Rainer Kuhlen, Informationswissenschaft Universität Konstanz

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tel;fax:+49 (0)7531 882048
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