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Risiken und Nebenwirkungen



    Nichts Schlimmers weiß ich mir an schönen Werk- und Arbeitstagen
    als einen Streit um Schrift und Schreibreform!
    Wenn die Propheten jener neuen Norm
    und die der alten wütend auf einander schlagen.
    Was könnte solcher Narrheit gleichen,
    was werden sie damit erreichen?
    Ob hier, ob dort ein neues Zeichen,
    ob ein altes sollte weichen,
    ob sie die Wörter gleich zerreißen,
    ob neue sie zusammenschweißen,
    sie mögen sich die Haare spalten -
    wir woll'n uns lieber draußen halten!

Über Stimmung und Neigung der schweigenden Mehrheit zu sinnieren
ist, wie so oft, müßig.

Auch die kleinste Minderheit wird nicht erwarten, durch eine Äußerung aus
den Bibliotheken könne in der Politik etwas bewegt werden. Viele haben
aber zugestimmt, daß in der aktuellen Situation eine Äußerung zur R-Reform
kommen *sollte*, weil es Aspekte gibt, die aus unserer Sicht angesprochen
werden müssen, bisher aber nicht oder ungenügend angesprochen wurden.
Gegenstimmen oder -vorschläge gab es keine, daher soll nun der
Versuch einer Aussage doch noch gemacht werden, obwohl nur gut 100
"Unterschriften" eingegangen sind. Immerhin: die Juristen brachten es
nur auf 50.

Nach einigen Diskussionen und Überlegungen habe ich nun den Text nochmals
anders formuliert, werde aber BEIDE Fassungen zur Auswahl an die F.A.Z.
senden, die sich auf dem Gebiet ja besonders engagiert. Ob sie's bringen,
ist natürlich die Frage, obwohl sie momentan täglich was bringen. (Das
Thema hat nichts so wenig verdient wie die Schublade "Sommerloch")

Hier die neue Fassung, die außerdem an Ministerpräsident Wulff geht.
Die alte bleibt, wie sie war.

------------------------- NEUE FORMULIERUNG -------------------------------

Risiken und Nebenwirkungen der Rechtschreibreform

In Bibliotheken, wo man Texte sammelt und für die Dauer zugänglich macht,
wird das Reformgeschehen aufmerksam beobachtet. Schon 1998 wurde bemerkt
und dokumentiert, daß die Reformer zwei Aspekte nicht bedacht haben:
-- Wichtige Texte verschwinden nicht nach einigen Jahren spurlos wie
   alte Zeitungen - viele behalten lange Zeit Bedeutung, kommen aber nie
   neu heraus oder nur als unveränderter Nachdruck, und viele neue Texte
   erscheinen weiterhin in alter Schreibung, wie sich nun zeigt. Leser
   werden zwar schon mit der Mischung klarkommen. Orthographie lernt man
   aber hauptsächlich beim Lesen. Werden junge Leser darauf achten,
   ständig wechselnd beiden Formen ausgesetzt, daß nur die neuen Formen sich
   im Langzeitgedächtnis verfestigen? Oder wird sich nur die Beliebigkeit
   weiter verfestigen?
-- Wie werden sich geänderte Schreibweisen in Suchmaschinen und Bibliotheks-
   katalogen auswirken? Die Folgen mögen nicht dramatisch sein, doch sie
   sind fühlbar, sie sind technisch nicht voll beherrschbar, und sie werden
   sich verstärken, je mehr Texte in neuer Schreibung (und mit neuen Fehlern)
   in die Welt gelangen. Also müssen alte und junge Leser die alten und die
   neuen Schreibungen beim Suchen immer parat haben, egal welche sie
   selber bevorzugen.
Zu einer Zeit also, wo immer mehr Menschen für immer mehr Aufgaben Texte
brauchen und Computer-Abfragesysteme benutzen, werden das zügige Lesen und
das sichere Suchen durch die Reform beeinträchtigt. Insbesondere im Ausland
wird das Auffinden deutscher Texte zusätzlich erschwert: wer wird dort in
Zweifelsfällen beide Schreibweisen kennen und beim Suchen berücksichtigen?
Wer nur eine kennt, findet auch nur diese - Computer suchen nicht nach der
Bedeutung eines Wortes, sie finden nur die eingetippte Zeichenfolge. Mit
"Kernspintomographie" findet man nur die Zeichenfolge mit ph, nicht die
andere mit f. Mit "nichtlinear" oder "alleinerziehend" findet man nicht
die entsprechenden, getrennt geschriebenen Wörter, mit "Brennessel" nicht
die "Brennnessel" und umgekehrt.
(Mehr dazu unter http://www.allegro-c.de/formate/rref.htm)

Es wird hier nicht einer Versteinerung der Schriftsprache das Wort geredet!
Sie lebt und wandelt sich ohne das Zutun von Reformern. Wenn aber
eingegriffen
wird, sollte sie im Gebrauchswert und in der Ästhetik gewinnen, nicht in
den Haken und Ösen.
----------------------------- ENDE --------------------------------------

N.B.
Goethe, das werden einige wissen, kann als Kronzeuge für oder gegen jede
Reform herangezogen werden, meinte er doch einmal, "Wie dies oder jenes
Wort eigentlich geschrieben werden sollte, das ist doch nicht so wichtig".
Aber es gab noch keine Datenbanken ...



Bernhard Eversberg
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