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Re: Ausschluß von Prüfungsarbeiten auf Servern (war: Prüfungsarbeiten und Bibliotheken)



On Tue, 23 Nov 2004 10:28:57 +0100 (MET)
 Eric Steinhauer <eric.steinhauer@xxxxxxxxx> wrote:
> Liebe Liste, lieber Herr Graf,
> 
> Ihre Ausführungen zum Auswahlermessen des universitären
> Hochschulschriftenservers haben mich nicht überzeugt. Die
> Bibliothek ist ebenso wenig
> verpflichtet, Arbeiten auf Ihren Server zu stellen, wie
> geschenkte Bücher anzunehmen.
> Entscheidend ist allein, daß sie nicht willkürlich
> handelt, also sachliche
> Gründe für ihre Entscheidung anführen kann. Das ist hier
> gewährleistet. 
> 
> Ich möchte aber etwas weiter ausholen, und die
> verwaltungsrechtliche
> Situation des Dokumentenservers näher beleuchten. Hier

Sie kommen zu dem Ergebnis:

> Soweit also die Rechtslage, wenn es keine im
> Satzungsrecht der Hochschule
> verankerte Publikationspflicht für Prüfungsarbeiten gibt.
> Die Bibliothek ist
> also Fall berechtigt, Prüfungsarbeiten von ihren Servern
> auszuschließen und
> ihre Aufnahme an die Zustimmung des Betreuers zu binden.
> 

Sie stellen Ihre Ansicht hier als die Rechtslage hin und
ich bestreite dies entschieden, denn Sie haben
unzutreffende Praemissen in Ihre Argumentation eingebaut.


> scheinen mir Unklarheiten zu
> bestehen. Zunächst gilt: es gibt kein ausdrückliches
> Recht auf Publikation
> auf dem konkreten Server der Hochschule, es sei denn als
> Kehrseite einer
> Pflicht, wie sie etwa Promotionsordnungen vorsehen. Das
> Angebot eines Servers ist
> der Leistungsverwaltung zuzurechnen. Die Bibliothek ist
> nicht verpflichtet,
> von sich aus einen solchen Server einzurichten. Tut sie
> das, so ist sie
> berechtigt, die Modalitäten für die Aufnahme von
> Dokumenten zu regeln. Hierbei hat
> sie die Grundrechte der Autoren zu beachten. Das bedeutet
> konkret, das ihre
> Regeln verhältnismäßig sind. 

Soweit besteht Konsens.


> Problematisch ist aber, ob die Erlaubnispflicht für
> studentische Arbeiten
> angemessen ist. Dabei ist zwischen dem Grundrecht des S
> und dem Ziel der
> Regelung abzuwägen. Fraglich ist aber schon, inwieweit S
> konkret in seinem
> Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit beeinträchtigt ist.
> Studenten nehmen das
> Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nämlich nicht
> aufgrund ihrer Mitgliedschaft in
> der Hochschule, sondern nur im Einzelfall in Anspruch,
> wenn ihr Arbeiten auf
> die Gewinnung neuer Erkenntnisse abzielt. Ihr Lernen und
> Leistungen, die bloß
> dem Einüben und Abfragen von wissenschaftlichen Methoden
> dienen, unterfallen
> nicht der Wissenschaftsfreiheit. Daher gehören
> studentische Arbeiten nicht
> per se zu den wissenschaftlichen Publikationen. Eine
> Diplomarbeit ist anders
> als eine Dissertation nicht auf die Erzielung neuer
> Erkenntnisse gerichtet.

Alle Abschlussarbeiten arbeiten de facto auf neue
Erkenntnisse hin, indem sie sich wissenschaftlicher
Methoden bedienen. Ich habe auch keinerlei Zweifel, die die
allermeisten Arbeiten tatsaechlich erfolgreich neue
Erkenntnisse schaffen und sei es nur durch die
uebersichtliche Zusammenstellung des Forschungstands - auch
Forschungsreferate sind wissenschaftliche Werke. Ich
empfehle doch einmal einen Grundgesetzkommentar zu Art. 5
 heranzuziehen.

> Sie dient vor allem dem Ausweis, daß das im Studium zu
> erwerbende Wissen und
> die fachspezifische Methodenkompetenz erfolgreich
> angeeignet worden sind. Das
> ist der Maßstab für ihre Bewertung. Inwieweit eine
> Diplomarbeit
> wissenschaftlich von Belang ist, muß im Einzelfall
> geprüft werden. Hierzu ist nicht die
> Bibliothek als zentrale Einrichtung, hierzu sind die
> maßgeblichen Träger der
> Wissenschaftsfreiheit an der Hochschule berufen, also die
> Professoren und
> wissenschaftlichen Mitarbeiter. Gerade der Betreuer einer
> Diplomarbeit hat hier den
> umfassendsten Einblick die Qualität und Güte der
> vorliegenden Arbeit. Es ist
> eine dem Wissenschaftssystem immanente Übung, eigene
> Ergebnisse der Kritik
> anderer zu stellen. Es ist daher nicht zu beanstanden,
> wenn die Frage, ob eine
> studentische Arbeit wissenschaftlichen Kriterien
> entspricht und damit auf
> dem Dokumentenserver der Hochschule veröffentlicht werden
> soll, der Zustimmung
> des betreuenden Hochschullehrers unterliegt.

Das ist eine voellig unbewiesene Behauptung. Es ist sehr
wohl zu beanstanden, wenn etwa der Betreuer einer sehr
guten Arbeit diese aus irgendwelchen Gruenden nicht
empfiehlt. Wenn man das Beispiel wie im vorliegenden Fall
konstruiert, leuchtet eine Ablehnung natuerlich intuitiv
ein. Dass der fuer den Notenvorschlag zustaendige Betreuer
auch ueber die Aufnahme der Arbeit entscheiden kann,
verstoesst fuer mich gegen alle Grundsaetze eines fairen
Verfahrens, zumal bei der Veroeffentlichung nur der
wissenschaftliche Wert und nicht "soziale Gruende" (wie
mitunter bei der Pruefung selbst) den Ausschlag geben
sollten.

Die Entscheidung ueber den wissenschaftlichen Wert an die
Empfehlung eines einzigen Wissenschaftlers als
Hauptbeteiligten am Pruefungsverfahrens zu binden, weist
keine Verfahrenslegitimitaet auf. Da bei der Publikation
einer Pruefungsarbeit ein Zusammenhang mit dem
Pruefungsvorgang nicht zu verneinen ist, koennte man an
eine Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der
Berufsfreiheit denken und entsprechende Grundsaetze des
Pruefungsrechts uebertragen. Bei Pruefungen werden
Entscheidungen auch mehrfach abgesichert (z.B. durch einen
Zweitgutachter). Man kommt aber auch ueber die
Wissenschaftsfreiheit zu dem Ergebnis, dass ein Verfahren
zur Publikation einer studentischen Arbeit auf einem
Hochschulschriftenserver nur dann rechtmaessig ist, wenn
nicht allein das "Betreuungsverhaeltnis" (das ja auch
zerruettet sein kann) den Ausschlag gibt, sondern nach dem
Zwei- oder Drei-Augen-Prinzip nach wissenschaftlichen
Kriterien bewertet wird. Der Betreuer kann vielleicht eine
Stellungnahme abgeben, aber die Auswahlentscheidung muss
davon unabhaengige wissenschaftliche Kriterien
zugrundelegen (auch wenn sie im Ergebnis mit dem
ablehnenden Votum des Betreuers uebereinstimmen mag).


> Auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes ist nicht
> ersichtlich. Die
> Differenzierung nach den Prüfungsnoten ist eine sachliche
> Entscheidung. Im
> Verhältnis zu Dissertationen sind Diplomarbeiten nicht
> vergleichbar, weil bei der
> Bewertung der Leistungen andere Kriterien zugrunde gelegt
> werden. 

Das ist wieder einmal pure Behauptung. Auch bei
Habilitationen werden andere Kriterien zugrundelegt, und
bei diesen wird gewohnheitsrechtlich weitgehend eine
Veroeffentlichungspflicht ebenso wie bei Dissertationen
(ohne Rechtsgrundlage) anerkannt.

Zusammenfassend ergibt sich fuer mich, dass die Behauptung,
die Auswahl einer studentischen Abschlussarbeit koenne an
das Votum des Betreuers gebunden werden, nicht im
entferntesten nachvollziehbar belegt wurde.

Die Auffassung, dass sich Studenten hinsichtlich ihrer
Abschlussarbeiten nur in abgeleiteter Weise auf das
Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit berufen koennen, ist
strikt zurueckzuweisen.

Abgesehen von der noch zu nennenden Frage der
wissenschaftlichen Qualitaet muessen alle Kandidaten, die
sich - abgesehen von den "Pflichtaufnahmen" Dissertationen
und ggf. Habilitationen - um eine Aufnahme bewerben, gleich
behandelt werden.

Bei der Auswahl der Arbeiten hat die Hochschule
grundsaetzlich - soweit besteht Konsens - einen weiten
Spielraum. (Vergleichend kann auf die Rspr. zur Vergabe von
staedtischen Raeumen oder Jahrmarktstandplaetzen verwiesen
werden.)

Sie kann u.U. studentische Arbeiten ganz ausschliessen oder
nur ausnahmsweise aufnehmen (ob das sinnvoll ist, sei
dahingestellt.)

Sie muss ihre Auswahlentscheidung aber in jedem Fall an
nachvollziehbaren wissenschaftlichen Kriterien orientieren
und begruenden. Aus Gleichheitsgrundsatz und
Wissenschaftsfreiheit leite ich auf jeden Fall einen
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung ab. Eine
verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Auswahlentscheidung
ist gegeben.

Es mag sein, dass aus wissenschaftlichen Gruenden ein
Beurteilungsspielraum der Gutachter anzunehmen ist, der die
gerichtliche Kontrolldichte reduziert.

Die Hochschule kann das Verfahren in verschiedener Weise
rechtmaessig organisieren. Sie kann eine Mindestnote
vorgeben, soweit sichergestellt ist, dass ausnahmsweise
auch Arbeiten ohne diese Mindestnote aufgenommen werden
koennen (z.B. wenn eine Magisterarbeit abgewertet wird,
weil der strikt geforderte maximale Umfang ueberschritten
wird, es sich aber um eine ueberragende Leistung handelt).
Sie kann ein "Peer Review" einrichten oder die Entscheidung
moeglicherweise auch dem Fachreferenten aufgrund der
Gutachten ueberlassen.

Je weniger aber klare oder nachvollziehbare Kriterien
zugrundegelegt werden, um so mehr muss sich die
wissenschaftliche Legitimitaet aus dem Verfahren ergeben.
Als Mindeststandard wird man das Zwei-Augen-Prinzip
(Gutachten, Zweitgutachten), das sich ja als Grundprinzip
bei Pruefungsentscheidungen bewaehrt hat, zugrundelegen
muessen. Daraus aber ergibt sich, dass das "Veto" des
Betreuers als einzige Verfahrensgrundlage ausscheidet.

Klaus Graf 


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