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Re: [InetBib] [Inetbib] Re Newsletter Börsenverein (Posting von Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins)



Sehr geehrter Herr Dr. Sprang,

ich möchte mich zunächst auch dafür bedanken, dass Sie bereit sind mit
dieser Fachgruppe des Bibliothekswesens zu diskutieren.
Der Kollege Kuhlen hat ja schon darauf hingewiesen, dass Sie sich nun "warm
anziehen müssen".
Die Reaktionen werden vermutlich vielfältig, weil es ja auch ein wichtiges
Thema ist.

Sie stellen eine Reihe von Fragen, die aus meiner Sicht in dem Moment falsch
gestellt sind,
wenn man die vorangestellte Prämisse verlässt.
Die Abschaffung des Urheberrechts in Bildung und Wissenschaft kann in einme
Rechtsstaat kein wirkliches Thema sein.
Es kann hier nur darum gehen, wie man es an moderne Gegebenheiten anpasst.
Ein "Aktionsbündnis FÜR Urheberrecht in Bildung und Wissenschaft" bzw.
Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" muss nicht
zwangsläufig
zu einer "Stärkung" des geistigen Eigentums von Autoren führen.
Es kann sich auch objektiv um mehr Gerechtigkeit für alle Beteiligten
bemühen, um so die Urheberrechte
auch nachhaltig zu sichern.

Das eigentliche Problem des Urheberrechts liegt aber bei den Verlagen
selbst, weil die Diskrepanz zwischen wenigen sehr einflussreichen
und sehr vielen, nicht ohne Zuschüsse existenzfähigen kleinen Verlagen, nach
dem power law immer größer wird.
Die wenigen sehr einflussreichen Verlage, mit ihren rechtlich geschützten
Monopolen,
zwingen die Bibliotheken ihr gesamtes Geld für deren Produkte auszugeben.
Das konnten nichteinmal die Konsortien verhindern.

Damit müssen die kleinen Verlage sich anders finanzieren; über Subventionen,
Vereine, Projekte, Selbstfinanzierung der Autoren, etc.
Im Prinzip ist es absurd, dass ein Wissenschaftler zunehmend dazu gezwungen
wird, dafür zu bezahlen, dass er sein Wissen
an die Gesellschaft abgeben darf. Gleichzeitig wird behauptet, die
Gesellschaft müsse endlich den Wert von Information zu schätzen lernen.
Noch abwegiger wird es aber, wenn dann kritisiert wird, dass Projektgeber
neben den Kosten zur Wissensproduktion gleich noch
einen Beitrag abspalten, damit dieses Wissen auch publiziert werden kann.
Um abwegigen Einwänden vorzubeugen - mit der Qualität der Wissenschaft hat
das nichts zu tun.
Hohe Auflagen erreichen eher geistlose, umstrittene und unterhaltsame
Produkte und nicht die wissenschafltichen Spitzenprudukte.
Auch das ist ein Grund, warum es Bibliotheken schon so lange gibt.

Diejenigen, die also für ein gerechtes Urheberrecht kämpfen wollen, müssen
sich also zunehmend fragen, welche Verlage bzw. Interessen
sie eigentlich vertreten. Und es kann nicht angehen, dass sie nur die
Interessen einzelner finanzkräftiger gobal player vertreten,
und behaupten, sie würden die Rechte des Verlagswesens insgesamt schützen.

In den letzten 300 Jahren ist die Erzeugung von Redundanz, und eine Kopie im
Copyright ist von der Informationstheorie
per definitionem Redundanz, immer billiger geworden, so dass die Verlage,
die die Kosten für die Erzeugung dieser Redundanz vorlegen mussten,
in diesem speziellen Bereich ein immer geringeres Risiko trugen.

Das Geld, dass die großen Verlage heute "vorlegen", fließt offen oder
verdeckt hauptsächlich in den public-relation-Bereich um ihre Produkte,
unabhängig von der Qualität, immer unverzichtbarer zu machen.

Pergament (und dafür mussten unzählige Ziegen ihr Leben lassen) und Papier
war einst teuer. Dagegen schreiben wir heute die Texte ganzer Bibliotheken
auf eine CD-ROM, deren Datenträger im Prinzip wenige Cent kostet. Auch deren
Transport rund um die Welt ist um mehrere Zehnerpotenzen
billiger geworden. Und die Auslieferung eines elektronischen Textes
erfordert im Prinzip gar keine Personalkosten mehr,
wenn sie z.B. einfach über FTP abgerufen werden.
Das Verlage die Produktion des Wissens finanzieren, das sie publizieren,
wird man auch nicht behaupten können.

Das zentrale Problem ist, dass die moderne Marktwirtschaft Information als
Ware wie jede andere zu betrachten versucht,
und sie daher mit allen Mitteln zu verknappen trachtet. Dahinter verbirgt
sich aber bei genauer Betrachtung nichts anderes,
als der viel bekalgte Mangel an Informationskompetenz in unserer
Gesellschaft,
und damit eine unzureichende Kenntnis von der Informationstheorie.

A. v. Harnack hat mit Recht bei der Begründung einer modernen
Bibliothekswissenschaft (1921) auf die Notwendigkeit
hingewiesen, dass Verlage und Bibliotheken bei der "Nationalökonomie des
Geistes" zusammenabeiten müssen.
Bibliotheken und Verlage brauchen eine tragfähige wissenschaftliche Theorie,
die sich auch an der harten Realität bestätigt,
und keine unhaltbaren Hypothesen über die hohe Bedeutung der Information.
So lange hier nicht auf dem festen Fundament der Informationstheorie
zwischen

           1. Information (die falsch, richtig, irreführend, gefährlich,
unsinnig, etc. sein kann) und
           2. Wissen, als begründeter Information (die damit eine erhöhte
Qualität besitzt)

unterschieden wird, so lange sind zahlreiche Bemühungen z.B. um "das gute
Buch", um Bildung und um Wissenschaft unmöglich.

Bildung und Wissenschaft ist kein Amüsement, es ist die Basis unserer
heutigen Wissenschaftsgesellschaft,
die keinesfalls eine Wissensgesellschaft ist, denn sie leidet ja gerade an
dem großen Mangel an Wissen und insbesondere an Bildung,
die die Wissenschaft zum Wohle aller Menschen noch erzeugen muss -
insbesondere zum Wohle der Verlage.
Denn sie sind vom Wandel der Little Science zur Big Science (Harnack nannte
es noch Großforschung)
und von der Informationstheorie besonders betroffen.

Wie unzureichend die Ansätze in dieser Diskussion aus
bibliothekswissenschaftlicher Sicht oft sind,
erkennt man an Sätzen, wie: der einzelne Nutzer könne die riesigen Kübel von
Informationen nicht mehr in sinnvoller Weise erschließen.
Allein der "Kübel" wissenschafltlicher Information wird heute von rund 10
Millionen Wissenschaftlern weltweit produziert und überwacht.
Dabei sichtet ein/e Wissenschaftler/in für sein/ihr Sachgebiet
größenordnungsmäßig 10.000 Titel pro Jahr, liest genauer 100, zitiert 10 und
falsifiziert 1.
Das sind rund 10 Millionen falsifizierte Publikationen jährlich, damit die
Wissenschaft im Sinne Poppers voranschreiten kann.
Es bedeutet aber auch, dass man 100 Publikationen durchsehen muss, um eine
zu finden, die es sich zu lesen lohnt.
Ein pay-per-view von beispielsweise 10 Euro, zeigt also wie realitätsfern
die heutige Diskussion auf diesem Gebiet ist.

In Dänemark und ähnlich kleinen Ländern gibt es Bibliotheksgesetze, die
dafür sorgen, dass Autoren und Verlage Publikationen
in den jeweiligen Landessprachen mit ausreichender Sicherheit absetzen
können. Die Bibliotheken machen damit Reklame
für den Informations- und Wissensbedarf dieser Länder.

Es gibt also kein Gegeneinander der Bibliotheken und der Verlage, sonder, im
Moment,
eine zunehmende Konfrontation der großen Verlage mit den kleinen.
Insofern müssen sich die Gesetzgeber weltweit fragen, was sie unter
Gerechtigkeit und Recht (inklusive Urheberrecht und Copyright)
verstehen.

Das Urheberrecht muss also lediglich das Ziel von mehr Gerechtigkeit
zwischen den Verlagen verfolgen, und erkennen,
dass das letzte Jahrhundert durch nichts so gravierend revolutioniert wurde,
wie durch die Informationstheorie,
in gewisser hinsicht sogar durch das Bibliothekswesen (inklusive
Dokumnetation), von dem die Laien noch immer meinen
es sei dieser beschauliche Ort, an dem schöne alte Bücher stehen. In der
Zwischenzeit hat nicht zuletzt die National Library of Medicine
die Weichen längst in Richtung Digital Library und Knowledge Management
gestellt.

Open Access und die zahlreichen anderen Versuche werden ohne Zweifel so
manchen Juristen dazu zwingen,
die Realität der Informationstheorie zur Kenntnis zu nehmen, die das
Bibliothekwesen im letzten Jahrhundert bereits revolutioniert hat.

Eigentlich erscheint es in einer demokratischen Umwelt höchst bedenklich,
dass die Urheberrechtler in den letzten Jahren noch nicht in der Lage waren,
die Rechte der Vielzahl kleiner Verlage, gegen eine so verschwindend klein
Zahl an mächtigen Verlegern, durchzusetzen.
Historisch gesehn, ist das nach dem Schock, den Elsevier mit Excerpta Medica
etwa 1980 erlebt hat, verständlich,
es wird aber höchste Zeit untragbare Disproportionierungen wieder in das
rechte Lot zu bringen.


MfG

W. Umstätter


----- Original Message -----
From: "Dr. Christian Sprang" <christian.sprang@xxxxxx>
To: <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Saturday, February 18, 2006 7:23 AM
Subject: [InetBib] [Inetbib] Re Newsletter Börsenverein (Posting von
Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins)


Liebe Inetbib-Liste,



getreu dem Motto "Ist der Ruf erst ruiniert, mailt sich's gänzlich
ungeniert" möchte ich heute als Novize des konspirativen elektronischen
Gedankenaustauschs zwischen Bibliothekaren und anderen Granden der
Informationsszene mein bereits avisiertes erstes Posting machen. Ihnen,
liebe Frau Mahrt-Thomsen, will ich dabei gleich eingangs die Aufmunterung
zurufen, es mit der Akribie künftig noch ein bisschen ernster  zu nehmen.
Über die unterlassene Nachfrage hinsichtlich der Veröffentlichung meiner
verbandsinternen Newsletter (wo doch auf jedem unten meine Telefonnummer
prangt!) haben wir ja schon den Schwamm drüber gewischt, aber dass Sie im
Anschluss gleich unser Telefonat völlig verzerrt wiedergeben, stimmt mich
doch verdrießlich.



Ich würde nämlich niemals einem Bibliothekar unterstellen, es mit dem
Urheberrecht nicht genau zu nehmen. Im Gegenteil habe ich schon immer die
(gern wiederholte) Auffassung von Frau Beger geteilt, dass es wenige
Menschen auf Erden gibt, die es mit dem Einhalten von Rechtsvorschriften
genauer nehmen als Bibliothekare. Nach meinen (zugegebenermaßen nicht ganz
repräsentativen) empirischen Studien im Freundes- und Bekanntenkreis wird es
ohne Gewissenhaftigkeitsgen mit einer Karriere als Bibliothekar nicht viel.
Deswegen, liebe Frau Mahrt-Thomsen, ist es auch etwas ganz anderes, ob ein
Bibliothekar es mit dem Urheberrecht nicht genau nimmt oder ob die im sog.
Urheberrechtsbündnis organisierten Bibliothekare es mit dem Urheberrecht
nicht genau nehmen, gell?



Womit wir gleich beim zweiten Punkt dieses Postings bzw. meines ruinierten
Rufs wären. Ich gestehe, dass ich ob eines "Bildungsmafia" - entgegen einer
hier geäußerten Vermutung - nicht rot anlaufe, schon weil die Adressaten
meines Newsletters aufgrund der Anführungsstriche und ihres
Empfängerhorizonts diesen Begriff anders als die fragliche Kollegin ganz
sicher ironisch nehmen.



Glücklich oder gar präzise ist die Wortwahl zwar sicherlich nicht. Aber -
mit Verlaub! - immerhin doch besser als die Bezeichnung "Aktionsbündnis FÜR
Urheberrecht in Bildung und Wissenschaft", die ich zu vermeiden trachtete.
Mir als Urheberrechtler geht es mit dieser Bezeichnung wie dem Bücherdieb in
dem alten irischen Bücherfluch: Es müsste mir das Gemächt verdorren, wenn
mir dieser Name für diese Inhalte über die Lippen ginge bzw. in die Tastatur
flösse. Hier hat man ein GEGEN Urheberrecht in Bildung und Forschung
gerichtetes Bündnis in bewusst irreführender Weise "Aktionsbündnis FÜR
Urheberrecht in Bildung und Forschung" genannt. Wer sich inhaltlich mit
diesem Lobbybündnis auseinandersetzt, wird nicht eine Forderung finden, die
auf eine echte Stärkung des geistigen Eigentums von Autoren gerichtet ist.
Vielmehr agiert das Bündnis durch und durch autoren- und vor allem
verlagsfeindlich. Aber schauen Sie selbst: www.urheberrechtsbuendnis.de.



Mir persönlich ist übrigens durchaus unklar, wer denn eigentlich nach der
Abschaffung des Urheberrechts in Bildung und Wissenschaft all die Aufgaben
übernehmen soll, für die im Wissenschaftsbereich seit alters her die Verlage
zuständig sind. Wer soll billiger, effizienter und neutraler als Verlage
Veröffentlichungen aufbereiten und für den wissenschaftlichen Diskurs
erschließen, wer Informationen selektieren, wer durch Wissen navigieren? Der
Staat als Informationsgarant? Helfen uns wirklich weitere
Millionen-Euro-Gräber wie German Academic Publishers und seine diversen
Vorgänger- und Nachfolgeprojekte?



Dass es damit besser wird, muss man übrigens schon nach einem Blick auf
die Historie bezweifeln: In den letzten 300 Jahren hat es immer wieder
Gründungen von Autorenverlagen gegeben aus dem Ansatz heraus, die Kette vom
Autor zum Leser ohne das private Kapital von Verlagen und dessen Interessen
zu schließen. Keines dieser Konzepte hat sich länger am Markt behaupten
können. Hingegen sind unter den ältesten Unternehmen überdurchschnittlich
viele Verlage, die zum Teil auf ein mehrhundertjähriges Bestehen
zurückblicken können. Sind wir also wirklich an einer Stelle, an der die
Nutzung privaten Unternehmergeistes und Kapitals aufgrund technischer
Entwicklungen für die (Wissens-)Gesellschaft entbehrlich ist? Ist der
Verleger durch die Erfindung des Internets zum Heizer auf der E-Lok
geworden? Oder sollte der Staat nicht vielmehr gerade jetzt auf die Stärkung
des geistigen Eigentums und ein Wachsen der Etats von Bibliotheken setzen,
wo wir uns in DSL-Geschwindigkeit durch einen riesigen Kübel von
Informationen bewegen, die ein einzelner Nutzer nicht mehr in sinnvoller
Weise für sich erschließen kann?



Wer mehr darüber wissen möchte, zu welchen Antworten auf diese Fragen der
Börsenverein gekommen ist, kann sich dazu gerne informieren: Zum aktuellen
Stand des Zweiten Korbs z.B. unter
http://www.boersenverein.de/de/69181?rubrik=82993&dl_id=101234, zur Haltung
der Verlage zu Subito (eine etwas ältere, aber im Kern immer noch gültige
Stellungnahme) unter
http://www.urheberrecht.org/topic/Info-RiLi/st/Memorandum03.rtf




Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.