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[InetBib] Gn 1 ist futsch - Redemptoristen verscherbelten kostbaren Altbestand



Kirchliche Bibliotheken haben es zur Zeit nicht leicht,
allenthalben werden Mittel gekuerzt, im Bereich der
katholischen Orden muessen immer wieder Niederlassungen
aufgegeben werden. Dabei verschwinden mitunter
traditionsreiche Klosterbibliotheken - in der Regel, ohne
dass die bibliothekarische oder die allgemeine
Oeffentlichkeit etwas davon erfaehrt. Kostbare
Buecherschaetze landen im Handel.

Werden sie bei Ebay oder ueber private Haendler verkauft,
steht noch nicht einmal ein Auktionskatalog als
abschliessende Dokumentation zur Verfuegung. Wer
kirchliches Kulturgut bei Ebay verscherbelt, handelt fuer
mich gewissenlos und hat - auch und gerade als Ordensoberer
oder Verantwortlicher eines Klosters - meine Verachtung.
Dass es engagierten Bibliothekaren gelingt, wichtige
Bestaende (hoffentlich) dauerhaft zu retten (so zieht die
praechtige und umfangreiche Walberberger
Dominikaner-Bibliothek in die Koelner Dioezesanbibliothek
um) troestet nicht ueber die eklatanten Verluste hinweg,
die die Forschung erleidet, wenn eine wertvolle Sammlung
mehr oder minder unter der Hand in alle Winde zerstreut
wird. Die Arbeitsgemeinschaft Katholisch-Theologischer
Bibliotheken steht dem Prozess ohnmaechtig gegenueber. Sie
ist nicht in der Lage und willens, Grundregeln fuer den
anstaendigen und verantwortungsbewussten Umgang mit
Kulturgut durchzusetzen.

Vielleicht sollte man Seine Heiligkeit von dem Verlust
einer grossartigen rheinischen Sammlung in Kenntnis setzen,
ueber die im Ordenslexikon zu lesen ist:

"Die Bibliothek der Hochschule umfasste rund 180 000 Bände.
Sie beherbergte Ausgaben des von Alfons von Liguori
verfassten Handbuchs ?Moraltheologie?, die noch zu
Lebzeiten des Ordensgründers erschienen sind. Darüber
hinaus gehörten zum Bestand der Bibliothek Handschriften
und Werke aus der Frühzeit des Buchdrucks. Auch Papst
Benedikt XVI. nutzte die Bibliothek gerne, als er noch
Theologieprofessor in Bonn war. Er erwähnt sie ausdrücklich
in seinen Lebenserinnerungen."

http://www.ordenslexikon.de/index.php?title=Kloster_Geistingen

Es geht um die Bibliothek des nunmehr profanierten
Redemptoristen-Klosters Geistingen in Hennef bei Bonn. Das
Kloster wird zu einem "Wellnesstempel" werden, im Januar
2006 wurde die letzte Messe gefeiert.

http://www.kloster-geistingen.de/

Die MGH-Bibliothek hat der ueberwiegend bei Ebay vertickten
Sammlung der Alten Drucke, aus der sie ueber 40 Drucke
erwarb, ein kleines Denkmal gesetzt:
http://www.mgh-bibliothek.de/bibliothek/provenienzen/geistingen.html

Die wenigen Handschriften (die auf der Seite der
MGH-Bibliothek genannte Zahl ist wohl uebertrieben) und die
 ca. 60 Inkunabeln (samt einigen etwas juengeren Drucken
bis ca. 1503/1512) befinden sich nach Auskunft des
ehemaligen Bibliothekars Pater Heinemann (nunmehr in Koeln)
inzwischen im Kloster Heiligenstadt:
http://www.kloster-geistingen.de/kategorie2/53793897610c59303.html

Wohl etwa 12.000 Baende Literatur nach 1850 wurden an die
Academia Alfonsiana des Ordens im Rom abgegeben:
http://www.alfonsiana.edu/EN%20-%20Library.htm

Die haette wohl auch gerne manche Altbestaende genommen,
aber da alles sehr schnell gehen musste (drei Monate ab
Dezember 2005 standen fuer die Raeumung zur Verfuegung) und
andere Kloester die riesigen Mengen nicht unterbringen
konnten, verkaufte Pater Heinemann den gesamten Altbestand
von ca. 1503 bis 1850 "zu einem sehr guten Preis" einem
Antiquar Trageser in Alzenau, der bei Ebay als Shop
Bücherfundus in Erscheinung tritt:
http://stores.ebay.de/Bucherfundus

Wenn man etwa
http://bilder.alles-rund-ums-wohnen.net/smart.price/2006/04/26380-26402/Images/Scannen0004.jpg
vergroessert, kann man deutlich den Besitzvermerk der
Redemptoristen-Hochschule in Hennef (Sieg) erkennen.

Vor allem bei Ebay wurden grosse Mengen Buecher verkauft.
Da die Ebay-Seiten nicht archiviert werden, laesst sich
nicht nachvollziehen, was dort gelandet ist.

Bei der juengst abgeschlossenen Auktion 105/I von Reiss in
Koenigstein stammte die Einlieferung 55 mit wertvollen
Theologica aus diesem Bestand (kenntlich an einem
Besitzvermerk, der noch den frueheren Standort Trier
nennt). 

Nachweisbar war auch ein Druck beim Erasmushaus in Basel.

Die UB Koeln war informiert und an sich am Bestand
interessiert, hat aber wie alle anderen Stellen, die von
der drohenden Aufloesung wussten, stillgehalten und nichts
an die grosse Glocke gehaengt. Vielleicht nach dem Motto:
Wenn es uns nicht gelingt, die Bibliothek zu uebernehmen,
sollen tunlichst auch keine anderen Bibliotheken wissen,
was da vor allem bei Ebay (bei Bibliotheken eher unbeliebt,
da man keine ordentliche Rechung erhaelt) auf den Markt
kommt. Der Vorsitzende der AKThB Bepler (Dombibliothek
Hildesheim) beteuert, er habe von dem Verkauf bis zu meiner
telefonischen Mitteilung heute nichts erfahren.

Zu konstatieren ist natuerlich auch ein klares Versagen der
in Koeln eingerichteten "Arbeitsstelle Historische Bestände
im Rheinland". Wenn eine so glanzvolle Bibliothek, die im
Handbuch der Historischen Buchbestaende NRW unter "Hennef
1" auf den Seiten 345 bis 347 beschrieben wurde, sang- und
klanglos untergeht, ohne dass diese Arbeitsstelle wirksam
Schadensbegrenzung versucht (und sei es auch durch
Verhandlungen mit dem Kaeufer), dann ist das mehr als
erbaermlich.

Der Altbestand betrug nach dem Handbuch ca. 9375 Titel,
davon ca. 700 aus dem 16. Jahrhundert, ca. 1675 aus dem
17., ca. 3250 aus dem 18. und ca. 3670 aus der ersten
Haelfte des 19. Jahrhunderts.

Unter
http://www.google.de/search?num=100&hl=de&q=+site%3Akirke.hbz-nrw.de+hennef+redemptoristen+bibliothek&btnG=Suche&meta=
findet man einige Titel, die nur in Hennef im HBZ-Bereich
nachgewiesen waren.

Der Eindruck, dass viele seltene Theologica (auch aus der
ersten Haelfte des 19. Jahrhunderts) in der
Leihverkehrsregion NRW nur in Hennef vorhanden waren,
bestaetigt sich, wenn man im Verbundkatalog die
Bibliothekssuche benutzt und etwa nach Theologie oder
Theologiae sucht.

Ob man hoffen darf, dass jemand wenigstens die nun
obsoleten Eintraege zu "Gn 1" im HBZ-Katalog archiviert und
auf Dauer sichert? Die Geschichtslosigkeit gewissenloser
Bibliothekare, wie sie im "Eckenknick" so meisterhaft
portraetiert wird, laesst kaum Hoffnung aufkommen.

Eine hochrangige theologische Fachbibliothek ist
undokumentiert - also ohne Auswertung der Provenienzen und
vielfaeltigen Benutzerspuren in den alten Drucken - in alle
Winde zerstreut worden. Dass dies unvermeidbar war, kann
mir niemand erzaehlen.

Klaus Graf


 



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