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[InetBib] Mehr Open Access in DigiZeitschriften!



Keine 24 Stunden nach Einstellung laesst sich der Seite
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Bibliotheksrecherche/DigiZeitschriften
entnehmen, dass ueber 50 registrierte Mitarbeiter der
Wikipedia meine Forderungen in Sachen DigiZeitschriften
unterstuetzen. Auch die LeserInnen dieser Liste sind
aufgerufen, sich in Wikipedia zu registrieren und auf der
genannten Seite sich dem Protest anzuschliessen.

Die Forderungen sind hoechst moderat, denn es ist nicht
damit zu rechnen, dass durch die Erfuellung irgendeiner der
Forderungen eine Institution dazu bewegt wuerde, von einem
Abonnement von DigiZeitschriften abzusehen.

Es waere an der Zeit, dass die Lizenznehmer sich gegen die
rechtlich unzulaessigen Nutzungsbedingungen von
DigiZeitschriften wehren bzw. dass eine Verbraucherzentrale
eine entsprechende Abmahnung vornimmt.

Zunaechst einmal ist zu klaeren, welcher
Urheberrechtsschutz fuer DigiZeitschriften gegeben ist.

DigiZeitschriften ist als Gesamtwerk, das eine
vollstaendige Erfassung fuehrender wissenschaftlicher
Zeitschriften anstrebt, wohl keine persoenliche geistige
Schoepfung und daher kein Datenbankwerk nach § 4 Abs. 2
UrhG.

Es duerfte unstrittig sein, dass DigiZeitschriften aufgrund
der wesentlichen Investition eine (einfache) Datenbank nach
den §§ 87a ff. darstellt. 

DigiZeitschriften enthaelt sowohl gemeinfreie Bestandteile
(Artikel, deren Autor laenger als 70 Jahre tot sind oder
anderweitig gemeinfreie Texte wie z.B. Gesetzestexte und
unbearbeitete Urteilsabdrucke) als auch urheberrechtlich
geschuetzte Teile, naemlich einzelne Artikel und
Zeitschriftenjahrgaenge, die man ueblicherweise als
Sammelwerke ansieht.

Es waere ohne weiteres moeglich, die Regelungen ueber die
Privatkopie in § 53 UrhG vertraglich abzudingen, wenngleich
es nicht gesagt ist, dass eine solche Lizenzbestimmung
einer gerichtlichen Inhaltskontrolle der AGB standhielte.

Die AGB von DigiZeitschriften ("Nutzungsbestimmungen") sind
unklar. Es heisst zunaechst:

"DigiZeitschriften e.V. gewährt Ihnen - vorbehaltlich der
hier angeführten Bedingungen und vorbehaltlich aller
geltenden Gesetze und Vorschriften - ein nicht exklusives,
nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht
auf Zugang, Nutzung und Anzeige dieser Site und anderer
Materialien in Übereinstimmung mit diesen
Nutzungsbedingungen. [...] Der Inhalt ist bestimmt für den
persönlichen, nicht kommerziellen Gebrauch des
DigiZeitschriften e.V. Archivs."

Sodann:

"Die Nutzung stellt keine Übertragung des Eigentumsrechts
an dieser Website und des darin enthaltenen Materials dar
und gilt vorbehaltlich der folgenden Einschränkungen:

Sie müssen auf sämtlichen Kopien der Website und des
Materials alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise
auf gesetzlichen Schutz beibehalten; und
Sie dürfen weder die Website noch das Material in
irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie die Website und
das Material für öffentliche oder kommerzielle Zwecke
vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen,
vertreiben oder anderweitig nutzen; es sei denn, es wird
hier ausdrücklich etwas anderes bestimmt."

Der Hinweis auf das Eigentumsrecht ist in hoechstem Masse
unprofessionell, denn es geht hier um das Urheberrecht und
nicht um eine Uebertragung von Eigentum.

Waehrend man aus der zweiten Formulierung entnehmen kann,
dass eine Weitergabe im Freundeskreis, die keine
Verbreitung im urheberrechtlichen Sinn (§ 17 UrhG)
darstellt, weder unter oeffentliche noch unter kommerzielle
Zwecke faellt, scheint der Hinweis auf den ausschliesslich
persoenlichen Gebrauch dem zu widersprechen. Unklarheiten
in einer AGB gehen aber zu Lasten des Verwenders, also hier
von DigiZeitschriften.

Ein eindeutiger Ausschluss der Weitergabe an Personen, die
nicht der Oeffentlichkeit i.S. von § 15 Abs. 3 UrhG
angehoeren, also durch persoenliche Beziehungen mit dem
Nutzer verbunden sind, laesst sich den Nutzungsbestimmungen
also nicht entnehmen.

Man gelangt zum gleichen Ergebnis, wenn man Muellers
Argumentation zu § 87e UrhG ueber Ausdrucke von E-Journals
im Leihverkehr anwendet:

http://bibliotheksdienst.zlb.de/2002/02_03_06.pdf

§ 87e UrhG lautet:

"Eine vertragliche Vereinbarung, durch die sich der
Eigentümer eines mit Zustimmung des Datenbankherstellers
durch Veräußerung in Verkehr gebrachten
Vervielfältigungsstücks der Datenbank, der in sonstiger
Weise zu dessen Gebrauch Berechtigte oder derjenige, dem
eine Datenbank auf Grund eines mit dem Datenbankhersteller
oder eines mit dessen Zustimmung mit einem Dritten
geschlossenen Vertrags zugänglich gemacht wird, gegenüber
dem Datenbankhersteller verpflichtet, die Vervielfältigung,
Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe von nach Art und
Umfang unwesentlichen Teilen der Datenbank zu unterlassen,
ist insoweit unwirksam, als diese Handlungen weder einer
normalen Auswertung der Datenbank zuwiderlaufen noch die
berechtigten Interessen des Datenbankherstellers unzumutbar
beeinträchtigen."

Wenn es um einzelne Aufsaetze geht, kann kein Zweifel daran
bestehen, dass die Interessen des Datenbankherstellers
nicht unzumutbar tangiert werden, wenn einzelne Elemente
vervielfaeltigt, verbreitet oder oeffentlich wiedergegeben
werden.

Der Datenbankschutz laesst Rechte an einzelnen Inhalten
unberuehrt (Dreier/Schulze, UrhR, ²2006, § 87e Rdnr. 1).

Fuer geschuetzte Inhalte (einzelne urheberrechtlich
geschuetzte Inhalte) gelten die Schrankenbestimmungen der
§§ 44 ff. UrhG, waehrend fuer die Datenbanknutzung
ausschliesslich § 87c UrhG gilt.

Die Vervielfaeltigung eines unwesentlichen Teils der
Datenbank kann man, wenn es sich um einen geschuetzten
Artikel handelt, einerseits abdingen, andererseits aber
gemaess § 87e UrhG aber auch nicht. Im einen Fall betrifft
die vertragliche Vereinbarung ein geschuetztes Einzelwerk,
das von der Regelung des § 87e unberuehrt bleibt, im
anderen die Nutzung einzelner Elemente der geschuetzten
Datenbank. Es ist aber ein- und dieselbe Nutzungshandlung!

Sehe nur ich da einen Widerspruch?

Klar ist nur, dass Mueller auf dieses Problem nicht
eingegangen ist.

Sein Ergebnis liesse sich ohne weiteres auch auf die
Weitergabe eines PDF uebertragen und betraf ja Datenbanken
urheberrechtlich geschuetzter moderner Forschungsliteratur.

Da § 87e auch die oeffentliche Wiedergabe einzelner
Elemente erlaubt, kann die Sachlage nicht so einfach
liegen, wie man nach der Lektuere von Muellers Beitrag
schliessen koennte. Dann koennte man ja einen Artikel auch
ins Netz stellen (oeffentliche Wiedergabe), was offenkundig
in die Irre geht.

So ganz firm ist Mueller im Datenbankrecht nicht, weil er
einfache Datenbanken und Datenbankwerke durcheinanderwirft,
sonst wuerde er nicht behaupten, dass die Bestimmungen des
§ 53 UrhG nicht fuer Datenbanken gelten, sondern dafuer nur
die §§ 87a ff. zustaendig seien. § 55a UrhG erwaehnt er gar
nicht. Aber bei den Datenbankwerken bleibt der Schutz
einzelner Inhalte, soweit diese nicht die schoepferische
Ordnungsstruktur der Datenbank in nuce spiegeln, von den
Vorschriften, die sich auf sie beziehen unberuehrt. Eine
Datenbank kann im uebrigen sowohl ein Datenbankwerk als
auch eine einfache Datenbank sein. 

Da § 87e eine Monopolisierung von Informationen zu
verhindern sucht, wird man bei Datenbanken, die einzeln
ungeschuetzte Fakten enthalten, keine Probleme sehen. Kein
Datenbanknutzer darf von der Nutzung einzelner Fakten
vertraglich ausgeschlossen werden.

Angewandt auf die mutmasslich vielen tausend Artikel in
DigiZeitschriften, die gemeinfrei sind, aber nicht in der
sog. Open Access-Sektion sich befinden, heisst das: die
Beschraenkungen der Nutzungsbestimmungen hinsichtlich der
Vervielfaeltigung, Verbreitung oder oeffentlichen
Wiedergabe sind gemaess § 87e UrhG unwirksam. Jedermann ist
befugt, einzelne gemeinfreie Artikel aus DigiZeitschriften
auf anderen Internetseiten zu veroeffentlichen, denn die
Scans von Digizeitschriften lassen kein Recht des
Lichtbildners nach § 72 UrhG entstehen.

Jedermann kann sich auch hinsichtlich gemeinfreier Artikel
an seine Bibliothek wenden, bei der er registriert ist und
die DigiZeitschriften bezieht, und eine Zusendung einzelner
Artikel per Mail verlangen, denn die Bibliothek muss sich
nicht an Lizenzbestimmungen halten, die unwirksam sind. Die
Bindung an Recht und Gesetz laesst sogar einen
Rechtsanspruch des Benutzers denkbar erscheinen, dass seine
Bibliothek verpflichtet ist, unwirksame Lizenzbestimmungen
zu ignorieren und diesem Ersuchen nachzukommen.

Hinsichtlich geschuetzer Inhalte sind verschiedene Optionen
denkbar:

(i) Muellers Auslegung: § 87e UrhG geht vor, fuer die
einzelnen Beitraege gelten die Schrankenbestimmungen des
Urheberrechts, diesen Schranken entgegenstehende
Vertragsbestimmungen sind unwirksam.

(ii) § 87e UrhG betrifft geschuetzte Werke gar nicht.
Lizenzgeber duerfen auch bei einfachen Datenbanken
vertraglich festlegen, dass fuer einzelne Werke
insbesondere § 53 UrhG ("Privatkopie"-Regelung) nicht gilt.
Mueller ist auf dem Holzweg, die Nutzung von Ausdrucken aus
E-Journals kann untersagt werden (es sei denn sie haelt der
Inhaltskontrolle der AGB nicht stand).

(iii) Irgendetwas dazwischen. Bei der Vertragsauslegung
koennte der Richter beispielsweise den vertraglichen
Ausschluss der Schranken bei der Pruefung der "berechtigten
Interessen" des Herstellers beruecksichtigen.

Schwierig, schwierig.

Fuer gemeinfreie Bestandteile bleibt aber festzuhalten,
dass die Nutzungsbestimmungen von DigiZeitschriften
unwirksam sind.

Klaus Graf
 





 



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