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Re: AW: Antw: AW: [InetBib] Eichstättdebatte



Lieber Herr Rohde,

die evangelischen KirchenbibliothekarInnen möchten ganz sicher nicht in
den Verruf kommen, herablassend  und abschätzig über den Wert
katholischer Ordensbibliotheken zu urteilen.

Deshalb zur Erinnerung:

Luther war bis zum 3. Januar 1521 Mitglied der bis zur Reformation
geeinten römisch-katholischen Kirche.

Seine Schrift an den christlichen (nicht evangelischen!) Adel deutscher
Nation hat er 1520 verfasst, also noch vor seiner Exkommunizierung.

Luther war zudem bekanntlich Augustinermönch.

Luther kannte also unsere gewohnte Zwei-Konfessionalität in Deutschland
zunächst gar nicht und selbst an seinem Lebensende waren die
konfessionellen Verhältnisse längst nicht so wie sie es heute sind.

Klosterbibliotheken kannte er aus eigener Anschauung, nicht wie viele
protestantische Christen heute nur aus der Ferne oder vom Hörensagen.

Ich denke mal, dass Kollege Witte an dieser Stelle Luther zitiert, weil er
damit zeigen wollte, dass schon Luther eine kritische Beurteilung der
Bestände von Ordensbibliotheken praktiziert hat und damit natürlich als
Beispiel dafür dienen kann, dass nicht jeder in der Geschichte gleich als
kriminell angesehen wurde, der einen kritischen Blick auf solche
Sammlungen gewagt hat.

Luther stand übrigens auch der Herausgabe der ersten Gesamtausgabe
seiner eigenen Werke, der sog. Wittenberger Ausgabe, kritisch gegenüber,
zeigte also in Bezug auf die Beurteilung  gedruckter Schriften durchaus
auch selbstkritische Züge.

Als Kirchenbibliothekar in evangelischen Diensten darf ich vielleicht noch
anfügen, dass ich Klosterbibliotheken nicht selten neidvoll kennengelernt
habe. Viele solche Einblicke, die mir  meine berufliche Arbeit in den letzten
Jahren beschert hat, habe ich als sehr bereichernd empfunden. Ich stehe
deshalb Klosterbibliotheken und dem Kampf der katholischen KollegInnen
um ihren Erhalt grundsätzlich mit großer Sympathie gegenüber. Und ich
erlebe es als praktische und emotionale Nähe zu den katholischen
KollegInnen, dass wir uns gemeinsam dem Problem zu stellen haben, dass
hier wie dort immer öfter kirchliche Häuser aufgegeben werden (müssen),
die Bibliotheken beherbergten, denen nun ihr angestammter Ort entzogen
wird. Nicht nur Buchbestände gehen dabei übrigens verloren, sondern -
noch radikaler -auch Bibliotheksräume.

Ein weiterer herber Verlust dabei ist, dass Orte, Kirchengemeinden oder
Ordensgemeinschaften dadurch ihrer Bibliotheken beraubt werden. Es
macht durchaus einen Unterschied, ob eine historische Kirchenbibliothek in
einem (oft eher kleinen) Ort im Kirchengebäude untergebracht ist, oder in
einem zentralen Magazin einer grossen Bibliothek oder eines grossen
Archivs. Bibliotheken sind immer auch Kristallisationspunkte für kulturelles
Leben, die dann fehlen. Freilich gibt es im Regelfall in den grossen
Einrichtungen professionellere Aufbewahrungsmöglichkeiten, aber mein
Herz schlägt dennoch eher für die Belassung der Bibliothek am Ort ihrer
Entstehung, wenn es irgend möglich ist.

Ich bekenne aber auch, dass ich ein grosser Freund der Unterscheidung
Bonhoeffers zwischen den Letzten und Vorletzten Dingen bin und deshalb
keine einzige Bibliothek der Welt für schlechterdings unantastbar halte.




Am 20 Mar 2007 um 14:56 hat Rohde Bernd geschrieben:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Gerd Witte, Ev.-luth. Oberkirchenrat, Bibliotheks, chrieb:
"Vorzeiten haben Stifte und Klöster Bibliotheken eingerichtet,
wiewohl mit wenig guten Büchern.
Und was es für Schaden angerichtet hat, daß man nicht in der Zeit
darauf gehalten hat [...]"

Jetzt werfen wir auch noch mit Luther-Zitaten aus dem
protestantischen Lager
auf die katholischen Orden und ihre Hinterlassenschaften
(Bibliotheken),
deren Grundübel es anscheinend sein soll, dass sie überhaupt in
dieser Form
und mit diesem Bestand aufgebaut worden sind.
Es gibt unbestritten konfessionell bedingt unterschiedliche
Ansichten zwischen Evangelisch und Katholisch
bzgl. der "Qualität" dessen, was die einzelnen Klöster und
Ordensgemeinschaften damals angeschafft haben,
wobei hier auch immer die Frage mitspielt, welches Verständnis ich
vom Kloster-/Ordensleben an sich habe.
Ich bitte jedoch darum, es bei diesen Ausflug auf diese Ebene zu
belassen.
Eine solche Sammlung sollten nunmal nicht einfach so im
Altpapiercontainer entsorgt werden, egal ob ihre Herkunft
ein katholisches Kloster, evangelisches Stift, eine bürgerliche
Lesegesellschaft oder eine Arbeiterbibliothek ist.

mit schönen Grüssen
Bernd Martin Rohde

--
Bernd Martin Rohde, Dipl.-Bibl. (FH)
Sportweg 15, CH 3097 Liebefeld
Tel.: (+41) (0)31 9719674, mailto:b.m.rohde@xxxxxxx
(dienstl.: Tel.: (+41) (0)31 631 93 13,
mailto:bernd.rohde@xxxxxxxxxxx)




Mit freundlichen Gruessen
Armin Stephan
Augustana-Hochschule / Bibliothek
D-91564 Neuendettelsau
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