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Re: [InetBib] Autorenaquise des VDM-Verlags



Sehr geehrter Herr Muczak,

hier scheint die Tatsache, dass die Gründung der Deutschen Bücherei in
Leipzig auch auf den Börsenverein der Deutschen Buchhändler 1912 zurückgeht,
etwas in Vergessenheit geraten zu sein. Ebenso, das bis heute wirksame
Interesse des Börsenvereins an der DNB.

Wenn Sie schreiben: "Ich betone: kein mir bekannter Verlag schickt gerne und
freiwillig ein solches Pflichtexemplar" so mag das für die Verlage, die Sie
kennen
richtig sein, ich rate aber dringend davon ab, alle Verlage sozusagen in
einen Topf
zu werfen. Der Kampf findet, wie in jeder Marktwirtschaft,
zwischen den großen und den Kleinverlagen statt.
Die Bibliotheken und viele Verlage hatten dagegen, wie schon Harnack
wusste, ein gemeinsames Interesse - den Erfolg der "Nationalökonomie des
Geistes". Auch wenn das vielen Laien oft verborgen geblieben ist, so gilt
auch hier Blüchers Erkenntnis: Getrennt marschieren, vereint schlagen.

Der Börsenverein und das deutsche Bibliothekswesen kooperieren erkennbar
gut miteinander. Die Frage ist nur, ob sich da auch alle Kleinverlage gleich
gut
im Börsenverein vertreten fühlen.

Dass wir in der Informationswissenschaft dringend unterscheiden müssen
zwischen den zwei Publikationsformen,
1. Information die der Sender bezahlt (Reklame, Volksbildung,
Interessenvertretung, ...),
2. Information die der Empfänger bezahlt (Amüsement, persönliche Interessen,
...)
und dass es dazwischen Mischfinanzierungen gibt, ist ja unübersehbar.

Wissenschaft wird weitgehend von Sponsoren bezahlt (Firmen,
Fördereinrichtungen, Gemeinden, Interessengruppen, Staaten, Stiftungen...).
Das Geld das die Verlage einnehmen hat damit fast nichts zu tun.
Sie sorgen für die Reklame ihrer Produkte, für Aufbereitung und nicht
zuletzt auch
für eine gewünschte Limitierung.

Die Krux ist nur, dass hier oft die Unkenntnis von Menschen ausgenutzt wird,
in dem man nicht selten für Unsinn viel Geld verlangt,
um damit den Eindruck zu erwecken, es handle sich um hochwertige
Information. Dieser Betrug ist juristisch schwer zu fassen.

Außerdem versucht zur Zeit eine globalisierte Wirtschaftswissenschaft, die
auf den
Erfahrungen der Agrar- und Industriegesellschaft aufbaut,
veraltete Vorstellungen auf den Informationsmarkt und die
Wissenschaftsgesellschaft
von heute auszuweiten, was nicht gehen kann,
weil Information und Redundanz keine herkömmlichen Warenwerte,
wie Äpfel, Birnen, oder Autos sind.

Dass Verlage an den Pflichtexemplaren "untergehen" scheint mir eher abwegig,
zumal es zur Vermeidung dessen bei den Bibliotheken gerade dafür
Ausnahmeregelungen gibt.

MfG

W. Umstätter


----- Original Message -----
From: "Frank Muczak" <frank.muczak@xxxxxx>
To: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Wednesday, January 30, 2008 9:10 AM
Subject: Re: [InetBib] Autorenaquise des VDM-Verlags


Sehr geehrter Herr Eberhardt,

Ihre Argumentation mag für das Jahr 1913 durchaus berechtigt sein, in den
letzten 100 Jahren haben sich jedoch einige Dinge wesentlich geändert. Als
jemand, der zuerst auf Verlegerseite gearbeitet hat, dann aber sozusagen die
Seiten gewechselt hat und daher beide Medaillen kennt, kann ich nur sagen:
das Pflichtexemplar ist aus Verlegersicht eine überaus lästige
Angelegenheit, deren Sinn sich mir bisher nur aus der Überlegung erschlossen
hat, es gebe wohl eine Art staatlicher "Kontrollzwang", sozusagen ein
Residuum von Zensur, der man die Möglichkeit genommen hat, aktiv eingreifen
zu können, ein Streben nach Aufsicht, und vielleicht auch ein Wille zur
Archivierung. Ich betone: kein mir bekannter Verlag schickt gerne und
freiwillig ein solches Pflichtexemplar an die zuständige Stelle in seinem
Bundesland. Sie haben auch eine wesentliche Aussage aus dem Posting des
Herrn Hees unterschlagen: Er hat sich ja selbst an den Verlag gewandt mit
der Bitte um Übersendung dieser Exemplare
  - ich frage mich, wie Sie daraus konstruieren wollen, dass der Verlag
das eigentliche Interesse an einer solchen Pflichtüberstellung hat.
Verzeihen Sie bitte, das ist hanebüchen! Vermutlich ist ein
Entschädigungsanspruch überhaupt erst aus dieser Überlegung in das
saarländische Gesetz mit eingeflossen, weil der Gesetzgeber gerade dieses
mangelnde Interesse der Verleger im Blick gehabt haben mag.
Dass es tatsächlich Verlage gibt, die ihre Produktion lieber verschenken
als verkaufen, ist ja eine höchst ehrenhafte Sache - das nicht zu tun ist in
meinen Augen jedoch sehr verständlich. Von den gut 700 wissenschaftlichen
Verlagen in Deutschland erwirtschaften 20 Prozent circa 80 Prozent des
Umsatzes. Ein kleiner Verlag würde da völlig untergehen, erst recht an einer
Bibliothek, an der die sämtlichen Pflichtexemplare (also die kompletten
anderen 99,9 Prozent) ausgestellt sind.

Mit freundlichen Grüßen,

Frank Muczak
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Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.