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Re: [InetBib] Juristische Frage zur Verlinkung in News-Archiv



Liebe Leser/innen!

Da kann ich Herrn Graf nur zustimmen, auch wenn ich seinen Gebrauch des Wortes
"Zensur" im vorliegenden Zusammenhang für unangebracht halte.

Zum Pflichtexemplar hatte das Bundesverfassungsgericht einst geäußert:
 "Vom Zeitpunkt seiner Publikation an entwickelt jedes Druckwerk ein Eigenleben.
Es bleibt nicht nur vermögenswertes Ergebnis verlegerischer Bemühungen, sondern
wirkt in das Gesellschaftsleben hinein. Damit wird es zu einem eigenständigen,
das kulturelle und geistige Geschehen seiner Zeit mitbestimmenden Faktor. Es
ist, losgelöst von privatrechtlicher Ver-fügbarkeit, geistiges und kulturelles
Allgemeingut. Im Blick auf diese soziale Bedeutung stellt es ein legitimes
Anliegen dar, die literarischen Erzeugnisse dem wissenschaftlich und kulturell
Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu machen und künftigen
Generationen einen umfassenden Eindruck vom geistigen Schaffen früherer Epochen
zu vermitteln". Be-schluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1981, in:
BVerfGE 58, 137 (148 f.) mit Hinweis auf BVerfGE 31, 229.

Der von Herrn Graf richtig angeführte Erschöpfungsgrundsatz findet sich in § 17
Abs. 2 UrhG. 

Für das Werk von [anonymisiert vom Admin] greift er allerdings nicht ein, weil hier § 19a
UrhG - Recht der öffentlichen Zugänglichmachung gilt. Danach kann [anonymisiert vom Admin]
sein PDF jederzeit vom Server nehmen. Er hat aber keinerlei rechtliche und
tatsächliche Möglichkeit, die Weiterverbreitung ausgedruckter Versionen seines
Textes zu verhindern.

Deshalb ist die Aktion von [anonymisiert vom Admin] von vorneherein zum Scheitern
verurteilt. Ihm geht es wie den Millionen, die törichterweise Photos von ihrem
letzten Besäufnis bei StudiVZ öffentlicht gemacht haben. Davon werden sie nie
mehr los kommen.

Deshalb möge jede/r dreimal nachdenken, bevor er/sie etwas veröffentlicht oder
öffentlich zugänglich macht.

MfG

Dr. Harald Müller
 
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht /
Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law
and International Law / Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx

-----Original Message-----
From: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] On Behalf Of Klaus Graf
Sent: Thursday, October 30, 2008 3:32 PM
To: Internet in Bibliotheken
Subject: Re: [InetBib] Juristische Frage zur Verlinkung in News-Archiv


Eine Anmerkung: Wenn ein Autor seine Arbeit nicht mehr im
Web haben mag, was hat das mit Zensur zu tun? Nix.
Eventuell könnte es auto-Zensur genannt werden. Im
historischen Kontext: Franz Kafka hätte gerne etliche
seiner Texte physikalisch gelöscht gesehen. Es kam
anders. Max Brod tat es nicht.

Aepfel und Birnen sind zweierlei. Es ist das gute Recht
eines Autors zu entscheiden, was veroeffentlicht wird. Wenn
er die Vernichtung unveroeffentlichter Werke entscheidet,
wird man dies im allgemeinen zu respektieren haben. Aber
darum geht es nicht. Wenn ich etwas veroeffentliche, ist es
in der Welt, wird Teil eines Diskurses, wird gelesen,
womoeglich zitiert. Im urheberrechtlichen Sinn kann eine
rechtmaessige Veroeffentlichung nicht zurueckgenommen
werden. Man darf also auch aus einer veroeffentlichten
Arbeit zitieren, auch wenn es dem Autor gelingen sollte,
alle gedruckten Exemplare aufzukaufen. An die
Pflichtexemplare in den Bibliotheken kommt er nicht heran.
(Die Pflichtablieferung elektronischer Dokumente bei der
DNB zielt ja gerade auf solche Arbeiten. Die eingesammelten
Dokumente werden meines Wissens keineswegs oeffentlich im
Internet zugaenglich gemacht, sie stehen aber auch dann vor
Ort zur Praesenznutzung zur Verfuegung, denke ich, wenn der
Autor sie aus dem Netz nimmt oder nehmen laesst.)

Natuerlich ist es Zensur, wenn eine einmal eroeffnete
Informationsquelle, die in die Oeffentlichkeit gewirkt hat,
wieder geschlossen wird, da die Moeglichkeiten der
oeffentlichen Auseinandersetzung beschnitten werden.

Das gilt auch fuer belletristische Texte. Auch fuer sie ist
so etwas wie "Ueberpruefbarkeit" sinnvoll, wenn sie bereits
gewirkt haben.

Wer eine Informationsquelle oeffentlich macht, ist nicht
mehr ausschliesslicher Herr der Information. Im gedruckten
Bereich ist ein Rueckzug z.B. von Bibliotheksexemplaren
aufgrund des Erschoepfungsgrundsatzes nicht moeglich. Das
sollte auch fuer Online-Quellen gelten.

Klaus Graf




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