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Re: [InetBib] Wikipedia als Goldesel?



Sehr gut!
Dass ein von einer Wissenshafterin verfasster Artikel über Wiki hinaus
führt, weil Vertrauen in einen Namen innerhalb eines Fachgebiets eine
zusätzliche Information bringt, wird ja wohl nicht bestritten. Ein Wiki
ist ein Wiki, nicht eine herkömmliche Enzyklopädie; im eigenen Fachgebiet
informiert man sich nur zum Einstieg über Wiki-Artikel. Mehr will sie doch
nicht, oder?
V

Philipp Gahn schrieb:

(...)
Natürlich entfällt die Namenszeichnung auch bei anderen
Enzyklopädien.
(...)

Bei der Wikipedia kommt dafür etwas dazu, das bei anderen Enzyklopädien
fehlt: die Forderung, alle zentralen Aussagen eines Artikels mit
nachvollziehbaren Nachweisen zu belegen ("Einzelnachweise"), so dass es
den Lesern möglich wird, bei Zweifeln anhand der angegebenen Literatur,
auf die sich die Aussagen stützen, deren Korrektheit selbst
nachzuprüfen. Das kann man im Brockhaus und vielen anderen
Enzyklopädien, welche ihre Quellen für die einzelnen Artikel nicht
angeben, nicht.

Die Wikipedia ist, wie Herr Gahn richtig konstatiert, nicht in der Lage,
Vertrauen durch Autoren, die mit ihrem guten Namen für einen Artikel
einstehen, zu schaffen, bzw. durch eine Redaktion, die einen Ruf zu
verlieren hat. Sie versucht aber, diesen Mangel auf die oben
beschriebene Weise durch Transparenz auszugleichen - "Vertrauen durch
Quellen" statt "Vertrauen durch Namen".

Ob dieses Prinzip wirklich "korrumpierend für die Wissenschaft" ist?
Macht es einen Satz in einem Nachschlagewerk glaubwürdiger, wenn ich
weiss, dass der Artikel von Prof. Dr. Dr. Soundso verfasst wurde, ohne
nachvollziehen zu können, wie Soundso zu seiner Aussage gelangt ist,
oder wenn der Artikel für den Satz Referenzen auf (idealerweise solide,
wissenschaftliche) Literaturstellen liefert, die ich jederzeit aufsuchen
kann?

Die Wikipedia will ja selbst nicht wissenschaftlich tätig werden,
sondern "nur", wie es einer Enzyklopädie ansteht, bestehendes,
gesichertes Wissen referieren. Sie hat dabei gar nicht den Anspruch,
selbst eine zitierfähige Quelle zu sein (und dementsprechend akzeptieren
sich die verschiedenen Sprachversionen der Wikipedia gegenseitig nicht
als Quellen). Wer wissenschaftlich arbeitet, sollte sich natürlich nie
direkt auf Wikipedia-Artikel berufen, wie man sich nie auf derartige
Tertiärliteratur berufen sollte - aber im Idealfall können Artikel der
Wikipedia durch ihre Literaturangaben auf wichtige Spuren führen. Und
natürlich ist es nur redlich, wenn man dann auch nicht verschweigt, dass
einem der Weg über die Wikipedia geführt hat.

In vielen, vielen Artikeln der Wikipedia ist die Forderung nach
umfassenden Belegen allerdings noch nicht erfüllt. Man kann sich aber
z.B. nach einem Wikipedia-internen Bewertungssystem als "exzellent"
ausgezeichnete Artikel ansehen, um einen Eindruck davon zu erhalten,
wohin die Reise gehen soll. Ein aktuelles Beispiel:
http://de.wikipedia.org/wiki/Sumpfweihe - mit seinen fünfzig
"Einzelnachweisen" und der umfangreichen Literaturliste ermöglicht es
dieser Artikel jedem kritischen Leser, seinen Aussagen im Detail
nachzugehen, wenn er das will.

Beste Grüsse
Patrick Borer

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