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AW: [InetBib] Klartext: Suppenküche Öffentliche Bibliothek



Guten Morgen Herr Biblione,
diese Diskussion ist überhaupt nicht oberflächlich - in Ihrem Beitrag wie auch 
in dem der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Diskussion kommen ganz 
viele Aspekte des Bibliothekswesens vor, mit denen wir uns täglich 
herumschlagen, darum ist sie auch nicht zeitverschwenderisch - im Gegenteil, es 
wird viel zu wenig diskutiert.

Zunächst mal zum Thema "Hochkultur". 
Es ging Herrn Dr. Steinhauer, soweit ich ihn verstanden habe, nicht um eine 
diffuse (Selbst-)anbetung der Bibliotheken als "Kulturträger", sondern um eine 
in Staat und Gesellschaft fundierte Kultur  des Sammelns, die Erkenntnis, dass 
eine Bibliothek etwas mehr ist als eine Versorgungsanstalt, ein Supermarkt, 
ganz abgesehen von einem wirtschaftlichem Interesse oder andersherum nur für 
"das Prekariat". Und es stach wohl - und ich finde zurecht - dass ein Vertreter 
der Gruppe der Verleger, die die Bibliotheken gerne als Totengräber der 
Verlags"kultur", die wir leider heute haben, nämlich der "Gewinne" hinstellen, 
sich mal wieder derart oberflächlich über kulturelle Aspekte der Bibliothek 
äußert - übrigens das Letzte, was überhaupt die Aufgabe von Ulmer und Co. Ist. 

Deren Aufgabe wäre, gute Geschäftsmodelle zu entwickeln und vor allem, sich für 
die eigenen Branche einzusetzen und den internen Kannibalismus aufzuhalten. Ich 
sagte es bereits, es gibt keinen bewiesenen Zusammenhang zwischen 
Bibliotheksnutzung und dem Niedergang des "kleinen hochwertigen Verlages", 
sondern lediglich die ständige Wiederholung dieser Behauptung. 
Vielmehr haben Anbieterkonzentration, lieblose internationale 
Stakeholdersysteme, Verdrängung der Sortimenter von Ramschläden (Thalia ist 
jetzt allerdings selber dran, weil es Ramsch eben auch im Internet zur Genüge 
gibt), schlechte Angebotspolitik (Titelkonkurrenzen, Angebotsaufblähung), das 
Aufkommen von Gebrauchtbuchplattformen und die gnadenlose gegenseitige 
Verdrängung durch Monopolbildung wohl eher zu dem jetzigen Zustand beigetragen. 
Gerade die öffentlichen Bibliotheken gehören sogar zu den standhaften 
Kolporteuren kulturell hochwertiger Literatur durch Lesungen etc.  und das 
Angebot in ihren Sammlungen. 
Die bisherigen Gewinner der Geldkultur monopolisieren sich weiter, betreiben 
Verknappungspolitik und binden die Budgets der Bibliotheken....Stichwort aus 
den 90er Jahren! Zeitschriftenkrise.. man schaue mal, wo wir da jetzt sind..... 
womit weitere Marktteilnehmer verdrängt werden sollen. Gegen diese 
Fehlentwicklung auf dem Markt tut ein Herr Ulmer leider nichts... Gleichzeitig 
stehen die Branchenteilnehmer technisch zunehmend auf dem Schlauch, 
Geschäftsmodelle werden in Hinblick auf Angebotsverknappung und 
Marktverdrängung optimiert, nicht in Hinblick auf Nutzungsqualität. 
Ich finde übrigens, dass Bibliotheken das an vielen Stellen durchaus besser 
machen, also die Ausrichtung auf Nutzbarkeit..
Natürlich ist es für Ulmer und Co. jedenfalls schöner, 
wirtschaftssoziologische, aber falsche Behauptungen über den angeblich 
schädlichen öffentlich subventionierten "Marktteilnehmer" Bibliothek zu äußern, 
anstatt die eigene Arbeit zu machen. 

Zurück zu den Bibliotheken: Bibliotheken haben sehr wohl eine kulturelle 
Aufgabe und Identität. Kurz ausgedrückt geht es um Auswahl, Sammlung, 
Kontextualisierung, Erschließung und das Angebot dessen, was auf dem Gebiete 
der Schrift- und Medienkultur als für Wissenschaft, Forschung, Bildung und 
Lebensgestaltung als "relevant" oder "wertvoll" gesehen wird - in Gegenposition 
zur ausschließlich der aktuellen Nutzung orientierten wissenschaftlichen 
Bibliothek, sogar um das Erhalten von Quellen für zukünftige Forschung. Viele 
Menschen stellen sich tatsächlich trotz aller Kommerzialisierung unserer 
Lebenswelt vor, dass sie ein Recht auf einen öffentlichen Raum für ihr Dasein 
und für Gemeinschaft mit Anderen haben. Bildung und Wissenschaft funktionieren 
nur in einem öffentlichen Raum und nur ein solcher ist auch ein Schutz gegen 
Diskriminierung, Vorenthaltung und vollständige Kommerzialisierung. Diese 
Vorstellung ist offenbar sehr tief verankert. Gemeinschaftliches Lernen und 
Einzellernen in Gemeinschaft in den mittlerweile wieder überlaufenen Lesesäälen 
trotz immer mehr elektronischer Information mögen Symptome dafür sein, dass das 
auch als "Verhalten" geprägt ist. Wir stellen fest: die Bibliothek wird als 
öffentlicher Raum akzeptiert! Das haben die Nutzer entschieden.

Bibliotheken kontextualisieren! also Medien in Form von Sammlung und 
Nutzungskonzept und stellen sie in einen öffentlichen Raum. Das Angebot von 
Suchportalen bildet zudem virtuelle "Suchräume", die auch im Sinne der 
Orientierungsgebung und des Qualitätsmanagements Nutzern ermöglichen, sich 
thematisch eingegrenzt und gezielt mit den Quellen - auch den elektronischen 
ihrer Themen zu befassen. Das hat sehr wohl einen eigenen "leitenden" Wert. Die 
Archivbibliotheken bilden auch den Faden in die Zukunft, im Zeitalter 
flüchtiger elektronischer Quellen ist die Frage zu stellen, was man davon 
archiviert und wer das konzentriert tut, das können nämlich nicht alle 
Bibliotheken leisten. Unsere "e-books" ,wenn wir sie denn überhaupt mit 
"Archivrecht" bekommen, sind in 15 Jahren als lose pdfs vielleicht noch 
irgendwie nutzbar, aber später?? Es müssen ja auch die Nutzungssysteme 
mitarchiviert werden.. das ist überhaupt nicht trivial und wohl kaum eine 
Aufgabe, zu der sich Verlage hinreißen lassen. Sie können dazu auch nicht 
verpflichtet werden, das ist eine Aufgabe staatlicher öffentlicher 
Daseinsvorsorge.
Meines Erachtens geht es daher in Bezug auf die Aufgabenstellung gar nicht 
unbedingt den Bibliotheken an den Kragen - sondern den Verlagen. Hier im Sinne 
eines ausgewogenen Marktes zu verfahren, wäre eine wettbewerbsrechtliche 
Aufgabe, die die Verbandsvertreter in Buchhandel und Verlagswesen so gaaar 
nicht betrachten... 

Den Bibliotheken geht es nur an den Kragen, wenn die Kosten weiter weglaufen 
und der Staat die Finanzierung einer Infrastruktur für  Zugang und Archivierung 
von Medien und Information weiterhin sträflich vernachlässigt.

Dieser ganze Zusammenhang unserer Berufswelt ist kein "Nimbus", den man sich 
als Schutz für mangelnden Willen, sich zu modernisieren angelegt hat, sondern 
eine tatsächliche Aufgabe, die ziemlich viele auch technische Aspekte hat. 
Unser "Berufsstand" ist hier nicht homogen über einen Kamm zu scheren. Es gibt 
schon Berufskollegen, die sich aus welchen Motiven auch immer krampfhaft an 
alten Arbeitsweisen festhalten... Es ist die Aufgabe von Vorgesetzten so etwas 
zu erkennen und miteinander zu bearbeiten. Das bedeutet zudem nicht  immer, 
dass "ältere" Techniken nicht mehr gebraucht werden. So manche Einschlitzsuche 
z.B. über VU-Find o. ä., lässt sich nur "facettieren", wenn "da was drunter 
ist", man also auf Klassifikationen zurückgreifen kann. In meinen Augen ist 
Katalogisierung Datenstrukturierung - ein notwendiges Wissen zum Umgang mit 
Bibliothekssystemen, Datenbanken und Suchmaschinentechnologie. 
Ich gebe Ihnen Recht bei der Feststellung, dass zu wenig Manpower in die 
Vermittlung unserer immer technisierteren Systeme gesteckt wird. Ich werde auch 
keine Discovery aufbauen, ohne die Kapazität dafür bereitzustellen, den Nutzern 
zu erklären, welchen Unterschied es zwischen den Suchergebnissen aus solchen 
indexbasierten Suchmaschinentechnologien und der "reinen" boolschen Operation"  
aus der Spezialsuche einer Fachdatenbank gibt. In der Tat ist hier ein 
Techno-Hype zu beobachten, bei dem manchmal verloren geht, wozu das eigentlich 
nützlich sein soll, und zu fragen ob wir dabei noch bei unseren Nutzern 
sind.... manchmal kommt mir das ständige Jauchzen gegenüber neuen I-Pad 
Funktionen vor, wie die Anbetung eines Toasters und ich wehre mich auch gegen 
die teilweise guruhafte "Aufklärung". Es ist nämlich für mich kein Problem, so 
ein Teil zu benutzen, als Bibliothekarin muss ich wissen, wozu ich das in 
meiner Nutzerumgebung einsetzen will. Die natürliche Scheu, die man zuweilen 
gegenüber Neuem hat, muss man auch nicht immer kriminalisieren. Jemandem auf 
nette Weise etwas erklären oder zeigen, geht ohne Gesichtsverlust vonstatten 
und bringt mehr, als jemandem mittzuteilen, wie blöd er ist. Ich gehe häufiger 
zu Vorträgen, mache auch gerne welche, aber der Respekt gegenüber denen, die 
"zuhause" den Laden am Laufen halten, sollte vielleicht noch vorhanden sein.
Man muss auch zu Gute halten, dass allein die notwenigen technischen Systeme 
und ihre ständige Veränderung so viel Personal binden, dass man kaum noch 
welches für das hat, was wir eigentlich sollen, Informationen vermitteln. Wie 
soll man das mit hohen Studierendenzahlen auch bewältigen.
Das ist wohl kaum nur die Schuld des "Berufstandes" sondern die Folge einer 
Politik, die den öffentlichen Raum und den freien Zugang zur Information und 
das Integrieren von Quellen in Lernräume zwar ständig in Parteiprogrammen, 
Reden, Studien etc. betont, bei praktischen Umsetzung aber zunehmend 
Spartendisziplinen fördert und  infrastrukturelle Fragen aus dem Auge verloren 
hat. Es ist auch schöner mit einem Deutschen Filmpreis, für den man 3 Millionen 
Euro auslobt, also mit Spartenkunst in der Öffentlichkeit zu glänzen, als damit 
seine öffentlichen Bibliotheken zu unterhalten. Es fällt auch auf, wie schnell 
ein Leistungsschutzgesetz für "spezielle" Verlage in die Welt kam, die sich 
weiter meinungsführend produzieren wollen, und hier auch immer flacher 
arbeiten, während für Wissenschaft und Forschung grundlegende urheberrechtliche 
Regelungen in die Welt der Casual Law abgetrieben werden. Das ist auch an Tritt 
für eine nationale Rechtskultur, die man hier einfach preisgibt, statt sie als 
Wert zu begreifen und weiter zu kultivieren. Kollegen wie Herr Prof. Umstätter 
trauen sich noch, solche Entwicklungen öffentlich zu bemerken.
Mit Grüßen

Annette Kustos, M.A., M.A.-LIS
Leitung Hochschulbibliothek
Hochschule für Gesundheit
University of Applied Sciences
Universitätsstraße 105
44789 Bochum
Tel: +49 (0)234/77727-150
Mobil: 
E-Mail: annette.kustos@xxxxxxxxxxxxxxxx
Web: www.hs-gesundheit.de

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this e-mail is strictly forbidden.



-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx 
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von ub-info@xxxxxx
Gesendet: Freitag, 19. Oktober 2012 09:42
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Klartext: Suppenküche Öffentliche Bibliothek

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

so wirklich ernst nehmen kann man diese "Diskussion" hier nicht. Warum erwarten 
alle von Herrn Ulmer, dass er im Namen der Verlage ein Verhalten an den Tag 
legt, dass kein anderer Geschäftszweig dieses Landes zeigen muss? Verlage 
wollen so lange es geht, so schnell wie möglich und so viel Geld verdienen wie 
es nur geht - wie jeder andere Geschäftszweig auch. Das Problem ist nur, dass 
wir Bibliotheksmenschen hier nun vorgeführt bekommen, was für ein für die 
Gesellschaft problematisches Geschäftsmodell bewirkt. Wobei - das Problem ist 
nicht, dass wir es vorgeführt bekommen. Vielmehr scheinen einige nicht damit 
umgehen zu können, dass wir das Problem nicht auslagern können - wie beim Thema 
Nahrung, Kleidung etc. Deshalb jammern wir laut, ohne aber klar zu artikulieren 
was dieser ominöse "Auftrag der Öffentlichen Bibliotheken" nun ist. Zumeist 
wird dann große Schlagwortwerferei betrieben: Leseförderung, 
Informationskompetenzförderung, Lebenslanges Lernen usw.  Dazu
  dann noch der unsäglich altbackene Schrei nach Hochkultur von Herrn 
Umstätter. Dies verpacke man nun in wohlklingende Worte und schon haben wir 
eine fortwährende "Diskussion" auf inetbib, die außer Zeitverlust nichts 
einbringt.

Ich bin immer wieder erstaunt, dass so viele Kolleginnen und Kollegen denken 
mit den selben oberflächlichen Argumenten die vielleicht für die Politik 
ausreichen auch das eigene Fachpublikum überzeugen zu können. Wenn ich jemanden 
mit "Feuchtgebiete" in die Bibliothek locke, dann könnte ich ihn oder sie dort 
auch mit Veranstaltungen begeistern, die mit dem Bestand arbeiten und einen 
derzeit noch bibliotheksfremden Zweck erfüllen (Präventionsarbeit, 
demokratiepädagogische Arbeit etc.). Danach kann ich auch versuchen zu messen 
inwiefern ich eine Leistung erbracht habe die irgendeine Kompetenz beim Leser 
oder der Leserin erhöht hat. Höre ich meinen Kolleginnen und Kollegen aber 
aufmerksam zu, dann beklagen viele von ihnen zu solcher Arbeit gar nicht zu 
kommen, weil sie mit langweiligen, altbackenen und theoretisch längst unnötigen 
Aufgaben in der Einrichtung belastet werden. Aufgaben die im Übrigen auch heute 
noch Kern vieler bibliothekarischer Studiengänge sind - i  ch sage nur RAK.

Vielleicht sollten wir uns also zuerst selbst über den eigenen Berufsstand 
unterhalten und "die" Bibliotheken, bevor wir so selbstgefällig auf Herrn Ulmer 
einschlagen. 

Damit wir uns nicht falsch verstehen: die Kritik ist berechtigt, sie ist nur 
scheinheilig (in gesellschaftlichem Sinne) und oberflächlich (in 
bibliothekarischem Sinne).

Beste Grüße

Donato Biblione

ultrabiblioteka.wordpress.com

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