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Re: [InetBib] Re-2: Geschlechtergerechtigkeit



Sehr geehrter Prof. Umstätter,

diese Antwort hat etwas gedauert, da ich mir darüber klarwerden mußte,
ob ich dies alles weiter in der teilweise unwilligen Liste austragen
will oder es lasse, und da ich Ihrer Antwort gerecht werden wollte.

Ich habe schon Herrn Schaarwächter geschrieben, dass mir dies Thema zu
wichtig ist, um es auf sich beruhen zu lassen.

Am 5. Februar 2013 20:00 schrieb h0228kdm <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>:

Meine "apodiktische Behauptung"
">>Genau das ist merkwürdigerweise nicht mehr der Fall." bezog sich auf ein
einfaches Faktum,
dass nähmlich die Zeiten, in denen Ehemänner Familien ernähren konnten, seit
einem halben Jahrhundert
zusehends verschwinden.

Das ist natürlich genau das, ein einfachen Faktum, wurde aber als
alleinig als "genau das" gemeintes an der Stelle für mich nicht so
klar.
Das ist nicht so rübergekommen, wie man sagt, auch weil kein Absatz da ist.

Das ist ja ein Teil des Problems: wer versteht was wie und warum, und
wer ist verantwortlich dafür, dass und wie etwas verstanden wird? (Da
gibt es wohl auch kulturelle Unterschiede.)

So hoffe jetzt ich einfach mal, dass ich von Ihrem Eingangssatz nicht
gemeint war, aber das ist eigentlich auch egal.
Objektivität würde ich gar nicht beanspruchen wollen, und an einem
Emphasemangel leide ich garantiert nicht...

Ansonsten möchte ich Sie bitten mir nicht Meinungen und Ansichten zu 
unterstellen, die mir fremd sind,
und von denen ich auch kein Wort geschrieben habe.

Die von Ihnen benutzten Formulierungen sind teils wirklich klassisch
im von mir genannten Sinn - da fällt es schwer, sie als anders gemeint
zu verstehen.
Wenn Sie es so nicht gemeint haben, wie dann?!
Bitte sagen Sie es anders. Erklären Sie es mir!

Bis dahin halte ich meine Feststellungen im allgemeinen aufrecht.

Ich hab Ihre Äußerungen so verstanden, wie ich sie verstanden habe,
ohne jeden bösen Willen, irgendetwas zu unterstellen, und dem
entsprechend reagiert - aber mit einem Anspruch der Gültigkeit dieses
meines Verstehens.

Bitte glauben Sie mir, ich will niemandem etwas unterstellen, was sie
oder er nicht gesagt/ geschrieben hat!
Aber wie jeder Mensch kann ich nur auf das reagieren, was ich zu
verstehen glaube.

Diesem Verstehen entsprechend fiel meine Reaktion aus - eben auch bei
der "apodiktischen Behauptung" - sie schien und scheint mir weit über
nur das jetzt von Ihnen Erwähnte hinauszugehen, aber das auszuwalzen,
ist müßig.
Interpretierbarkeit ist halt ein grundsätzliches Problem von Sprechen
und Schreiben und eines jeder Kunst.

Trotzdem spreche ich im Gegensatz zu Ihnen, weder Männern noch Frauen diese 
Fähigkeit grundsätzlich ab.

Mir ist nicht klar, wo ich das getan haben soll? Tue ich doch gar nicht!
Die spreche ich niemandem, oder fast niemandem ab. Serienmördern vielleicht.

Möglicherweise sollten Sie auch noch über die Konsequenzen Ihrer Aussage 
genauer nachdenken.

Ich tue nichts anderes. Drum hör ich gerne, wenn mich wer mutig nennt.

Aber wenn hier schon kritisiert wurde, dass sich die Männer bei der 
Diskussion vornehm zurückhielten

Ich kann mich nicht erinnern, dass "vornehm" oder "Zurückhaltung" war,
was benannt - kaum kritisiert, vielleicht ja sogar begrüßt? - wurde
(wieder ein Verständnisproblem?); wo doch, dann die von Frauen im
"Hauptthread".

Was mich betrifft, war nun das eine Tatsachenfeststellung: ich hatte
den belegbaren Eindruck, dass bei der Diskussion dort zunächst
"männliche" Sachfragen die "weiblichen" sozialen überlagerten und auch
von den Teilnehmern her jener Diskussionsstrang männlich dominiert
erschien, während bis zu Ihrem Post in diesem hier nur Frauen
auftauchten.
Und dass ich persönlich das schade fand.

Die Tatsache, dass der Papst nicht Schwanger werden kann, bedeutet nicht,
dass er sich nicht über Schwangerschaft beraten lassen und kundig machen kann.

Sicher nicht! Wenn er das denn tut?
Aber auch dann - die Frage ist in dem Fall immer noch: von wem? Ärzte,
selbsternannte "Experten" für Frauen und Kardinäle reichen da wohl
kaum.
Wie viele Frauen würde der Papst, immerhin jemand, der seit gut 100
Jahren aus sich selbst bzw. seiner Heiligkeit heraus unfehlbar ist,
befragen? Und wie viele von denen wären Mütter, nicht Nonnen? Und wie
viele von denen nicht völlig von der Begegnung eingeschüchtert?

Und auch bei noch so viel Emphase und guter Absicht: dasselbe wie
Begreifen, Verstehen und Erleben ist das nicht.

Sonst müssten wir nicht nur alle Politiker sondern die meisten Fachleute 
ebenso abschaffen.

Tja... warum eigentlich nicht??
Oder doch jedenfalls kritischer mit deren Behauptungen umgehen?
Die, die mit den Folgen leben müssen, wurden sehr oft (absichtlich)
nicht an Entscheidungen beteiligt, eben WEIL es "Fachleute" gibt, die
so schön viel einfacher zu befragen sind, und in vieler Hinsicht eine
ungewählte repräsentative Funktion haben: nicht so sehr demokratisch!
Die Dilemmata des Expertentums sind ja aber keine neuen.

Leider wird das meist so hingenommen und gutwillig geglaubt.
Zum Fremdbestimmen gehören eben immer mindestens zwei.

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Sie haben für Emphase gesprochen - bitte zeigen Sie sie.

Stellen Sie sich bitte vor, oder versuchen Sie es, wie das wäre, wenn
Sie die ganze Zeit jedenfalls im Beruf oder sonst Öffentlichkeit,
immer auf der Hut sein müssten:

- Sie könnten nie wissen, wer, auch von den Menschen in Ihrer
Umgebung, auch denen Sie vertrauen, als Nächstes einen "unheimlich
lustigen", "nicht ernst gemeinten" Spruch bringt, der Sie bloßstellt
und beleidigt;

- wer beim Vorbeigehen Sie dichter streift als nötig - im Flur oder
auf dem Parkweg z.B. könnten fünf locker nebeneinandergehen, aber der
Mann geht genau da, wo Sie gehen, und erwartet selbstverständlich,
dass Sie ausweichen, und wenn Sie es nicht tun, dann werden Sie eben
berieben, bepöbelt oder begrapscht;

- oder am Abend nach einem Besuch oder vor der Disko vor den
angetrunkenen, gröhlenden, Gruppen von Kerlen, bei denen man nie weiß,
wohin der Herdentrieb sie als Nächstes reißt, überhaupt Angetrunkene
im Dunkeln... Vielleicht sogar vor der Firma oder der eigenen Wohnung!

Was alles garantiert mehr mit Macht als mit Sex zu tun hat, wobei
Männer da wohl nicht klar trennen. Massen von angeblich "völlig
harmlosen" Beispielen sind bei #aufschrei und auch anderswo zu finden.
Der Unterschied ist die Unterschiedslosigkeit: dies meint alle Frauen,
und jede kennt Dutzende Beispiele!

Das mag alles wie Kleinkram erscheinen, wird ja auch jederzeit gerne
als solcher abgetan - aber es sorgt bei Frauen für permanente
Anspannung, Vorerwartung der nächsten dummen Situation, zerfrisst den
Alltag und viel von der Freude an ihm, und wird zumindest unter
anderen Umständen als Mobbing gewertet.

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Sicher ist aber, dass ein großer Teil derer, die heute Arbeitslos sind, sich 
aus dem Resevoir der Arbeitskräfte,
die man vor einem halben Jahrhundert auf dem Arbeitsmarkt als Hausfrau 
führte, speisen.

Ob nun freiwillig oder nicht - da könnte man ja nun auch die
Veränderung und Auslagerung der Produktionsverhältnisse anführen, die
in Deutschland keinen Platz mehr für ungelernte Arbeit lassen und
jede/n zwingen, sich mit Computern und weit über die einstmals
hinreichenden Grundkenntnisse mit Mathematik und Technik vertraut zu
machen.
Die, die das nicht können oder wollen, werden gnadenlos abgehängt und
ausgegrenzt. Holzfäller, Hofknechte, selbst Fließbandarbeiter gibt es
nicht mehr wirklich.

Ich stelle auch gar nicht so sehr Ihre Fakten infrage, als vielmehr
deren Formulierung: Wieso
z.B. sind es die Hausfrauen, die hier bei Ihnen als die zu Vielen und
unqualifiziert erscheinen? Wozu diese "Schuldzuweisung"?

In den 50er Jahren mag das so gewesen sein, schon weil die Nazis die
Ausbildung vorn Frauen unterbunden haben, aber Sie wissen, dass heute
ganz viele Mutterschaftsurlauber hoch qualifiziert sind!
Und diese werden nicht erst nachher oft schlechter bezahlt als
vergleichbar qualifizierte Männer.

Man könnte genau so gut fragen, warum nicht mehr Männer in dieser Lage
sich selbständig gemacht oder ihrerseits sich aus dem Berufsleben in
die Haushalte zurückgezogen haben, um die Situation zu entschärfen!

Wenn schon heute, unter ökonomisch wesentlich verschlechterten
Bedingungen, Frauen nicht abgehalten werden können, Kinder zu
bekommen, dann werden die von Ihnen genannten "bösen Blicke" m.E. da
noch weniger geleistet haben.
Ist es nicht möglich, dass mehr Kinder einfach am Ende zu viel Arbeit
bedeuten? Wenn dazu der Mann noch bedient werden muss?
Dass es ein gewaltiger Gewinn ist, Sex zu haben und NICHT einen
Großteil der Lebenszeit schwanger und mit Kinderaufzucht verbringen zu
müssen? Dies wählen zu können?

Wir haben also einen Überhang an Arbeitskräften, und das drückt die Löhne und 
Gehälter.

Einen Mangel haben wir nur bei hochqualifizierten Arbeitskräften, dazu 
gehören die Kinder sicher nicht.

Das sind alles sehr einfache Fakten, ja. Im Zusammenhang wirken sie aber anders.

Leider hat ein Überhang von irgendwas noch nie bedeutet, dass kein
weiterer Überhang vom Selben oder Ähnlichem dazu kommen kann.
Sonst hätten wir das momentane Dilemma nicht.

Wenn man Lohndumping konsequent zu Ende denkt, dann müßten
unqualifizierte Tätigkeiten früher oder später von Kindern ausgeübt
werden, weil die am billigsten sind.
Bei Abschaffung der entsprechenden Gesetze würde es mit Sicherheit
wieder Kinderarbeit in Deutschland geben! Und in der Folge vielleicht
sogar mehr Kinder!

Heutzutage bereits oder auch immer noch geben tut es Kinderarbeit u.a.
WEGEN Deutschland, z.B. in der Textilindustrie in Fernost, wo die von
(westlichen) Exporteuren und Auftraggebern gezahlten Preise so
schlecht sind, oder die Gier der Kleinunternehmer so groß, dass zuerst
die Männer die Arbeit verloren haben, dann die Frauen, die ja
billliger waren (obwohl kaum schlechter qualifiziert für die meisten
fraglichen Tätigkeiten), und stattdessen nur noch Kinder eingestellt
werden: billig sind die vor allem, weil sie wehrlos sind.

Ich bin nicht der Meinung, dass solche Zusammenhänge im bequemen
Diskurs hier im Westen unterschlagen werden könnten oder sollten.

Am besten stellt man sich das als Absätze in einem Treppenhaus vor:
Wir Deutschen relativ weit ganz oben, mit 5 oder 6 Stufen, auf deren
oberen nur wenige Frauen sich finden, und Kinder und alleinerziehende
Mütter und Flüchtlinge ganz unten unter den deutschen Stufen, schon
fast auf dem nächsttieferen Absatz.

Wir haben alles mögliche Zeug, das mit einem Lastenaufzug von weit
unten im selben Gebäude zu uns kommt, und von dem wir wenig wirklich
brauchen.

Viele, viele Stockwerke tiefer dann Länder mit bestenfalls auf dem
Papier gültigen Menschenrechten.

Was dort passiert, oder wer die Waren herstellt und unter welchen
Bedingungen, brauchen wir uns praktischerweise nicht anzugucken, weil
der Lastenaufzug die dort produzierten Güter direkt zu uns nach oben
schafft.

Was wir oben zum Ausgleich reintun und wieder runterschicken, können
die unten uns nicht vorschreiben und nur mehr oder weniger dankbar
akzeptieren. Wir kontrollieren es nicht, die unten können es nicht
kontrollieren, auch weil ihre Regierungen daran kein Interesse haben.

Wer zwischendrin sich was vom Zurückgeschickten herausnimmt, braucht
uns nicht zu interessieren. Wenn gar nichts ankommt, dann merken wir
hier oben das nicht!

Von manchen wird dieser Aufzug auch gerne mal mit dem Müllschlucker verwechselt.

Auch Indonesien ua. Länder dürften eher einen Mangel an Fachkräften
haben - der bestimmt nicht besser wird durch den Abzug in den Westen.
ODER durch die Kinderarbeit. Den Brain Drain gibt es seit mindestens
den 60er Jahren.

(Als nächstes kommt dazu in hiesigen Zusammenhängen meist: "Dann
müssen die denen da eben bessere Bedingungen bieten!" - kurz vor dem
Spruch "Na, Schoko?")

---------

Wenn ich mir angucke, in welchem Tempo in den letzten paar Jahren
soziale und gesellschaftliche Güter und Rechte verkauft worden sind,
von Wasserversorgung und Krankenhäusern über ÖPV, von Brandenburger
Seen bis hin zu den hinterzogenen Steuern in der Schweiz, und zu
welchem Preis -
war da nicht auch noch was mit der Privatisierung der
Rentenversicherung der Angestellten, so ganz unter der Hand? -
und wenn man dann noch guckt, wie auf die Einschränkungen der
Meinungs- u.a. Freiheiten in Ungarn reagiert wurde (nämlich gar nicht,
es ist viel praktischer, auf dem großen bösen und anscheinend
schwachen Rußland, das nicht zur EU gehört, rumzuhauen), oder die
Versuche der Netzzensur - dann ist für mich leider nicht
unvorstellbar, dass auch Grundrechte auch in der EU verhandelbar
werden könnten.

Dass es hier diese Grundrechte gibt, ist keine Garantie dafür, dass es
sie kampflos auf immer weiter geben wird!
Sie zu bekommen, ging auch nicht kampflos.
Und die, die sie anerkennen mußten, wären sie sicher gerne wieder los.

Sehr geehrter Herr Prof. Umstätter - Sie haben nur diese wenigen
Punkte herausgepickt, vermutlich ja auch vieles Andere zu tun: aber
Sie fühlen sich in mancher Hinsicht noch lange nicht genug
mißverstanden!
Bitte verstehen Sie auch mich weiterhin miß!

Es bleibt das eine: diese Dinge müssen diskutiert werden. Auch in
Bibliotheken und auf Bibliothekslisten.
Zurückhaltung, ob vornehm or otherwise, nutzt niemandem irgendwas.
Bzw. doch, sie erhält den Status Quo, und ein vertrautes Übel ist ja
bekanntermaßen besser als ein neues...
Und wenn man nur lange genug den Kopf in den Sand steckt, dann wird
das Neue schon vorbeigehen, und sich aber auch gar nichts ändern. So
war es immer schon.

Ich hoffe nur, dass Sie mir glauben, dass ich dies nicht in Mißachtung
schreibe -

Silke Ecks

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