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Re: [InetBib] Kein EIS



Lieber Kollege Steinhauer,

wir haben etliche Ausbildungseinrichtungen mit zahlreichen Absolventen, laufende bzw. abgeschlossene Forschungsprojekte, Befragungen, unzählige zu diskutierende Probleme und ausgebildete Bibliothekare, Dokumentare, Informationswissenschaftler bzw. Knowledge Manager, da wäre es verwunderlich, wenn die nicht eine EIS-Kugel mehr zu produzieren und zu vernaschen bereit wären.

Sicher wäre es richtig gewesen zunächst zu prüfen ob, und auf welchem Gebiet eine neue Open Acccess Zeitschrift gebraucht wird (www.ib.hu-berlin.de/~mayr/arbeiten/mayr-umsta_IWP08.pdf). Das größere Problem sehe ich aber darin, dass sich ja jetzt ohnehin alles mögliche Open Access nennt, und dass die durch „Social Media eröffneten Publikationskanäle“ oft nichts anderes sind, als Publikationsplattformen, die sich bestimmte Interessengruppen und "Indies" schaffen. Im Prinzip wäre dagegen gar nicht viel einzuwenden, denn sicher lesen hier etliche auch die“Archivalia“(http://archiv.twoday.net/), Libreas (http://libreas.eu/) oder „Perspektive Bibliothek“ ( http://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/bibliothek) mit gewissem Gewinn, sowie Blogs und News von Einzelkämpfern, nur, wenn ich mich an die einst auslösende Diskussion richtig erinnere, war damals der Wunsch nach einem mehr zentralen Organ entstanden.

Sicher, schon die Geisteswissenschaften insgesamt haben es bislang nicht geschafft, so zentrale Zeitschriften wie NATURE und SCIENCE in den Naturwissenschaften zu etablieren, und damit auch so harte Diskussionen um die Umstrittenen Stammzellen von H. Okobata, mit so hoher Reichweite zu erzeugen, aber das liegt aus meiner Sicht nicht am Mangel an Autoren, sonder daran, dass man sich in den Soft Sciences nicht so hart streiten kann und will. Man macht z.B. Befragungen, die letztlich nur Meinungsäußerungen der Befragten und Befragenden sind. Insofern gebe ich Ihnen mit der wenig entwickelten Publikationskultur völlig Recht. Es wird zu wenig echtes Literaturstudium betrieben, weil man die meisten Meinungen nur zur Kenntnis nehmen kann, während eine konsequente geistige Weiterentwicklung der Bibliotheks- und Informationswissenschaft kaum stattfindet. Über vieles lohnt es sich nicht zu streiten. Man versucht z.B. auch Politiker mit Lobbyismus zu beeinflussen, nicht mit harten Fakten.

Ich erinnere hier nur wieder daran, dass die Empfehlung A. v. Harnacks, von 1921, die Bibliothekswissenschaft in Richtung einer Nationalökonomie des Geistes (da geht es neben Kultur, insbesondere um sehr viel Geld und Existenz) weiter zu entwickeln, in Deutschland bis heute kaum jemand ernst nimmt, obwohl inzwischen alle Welt vom Knowledge Management spricht. Es geht in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu wenig um die Fakten und Konsequenzen der Informationstheorie als Hard Science, und zu oft nur um das Geplauder um moderne Schlagworte.

Auch in dem Punkt, dass „bereits publizierte Arbeiten von den Fachautoren [ meist gar nicht] rezipiert werden,“ muss ich ihnen weitgehend Recht geben, denn es war schon eine Erkenntnis im Weinberg Report (1963), dass beim wachsenden Publikationsaufkommen es wichtig wäre, die besten Wissenschaftler als Reviewer einzusetzen, um das neuste vorhandene Wissen zusammen zu tragen. Es wäre also schon hilfreich, wenn sich deutsche Informationswissenschaftler ernster mit Publikationen aus JASIST, Journal of Documentation u.a. Quellen im Post Peer Reviewing fundiert und kritisch auseinander setzen würden (das war mal bei den Referateblättern die Stärke der deutschen Dokumentation), nachdem diese Zeitschriften immer weniger Bibliothekaren allgemein zugänglich sind.

MfG

Walther Umstätter

Am 2014-07-25 13:49, schrieb Eric Steinhauer:
Lieber Herr Kuhlen, liebe Liste,

das ist eine bedauerliche Entscheidung. Wäre es eine zu abwegige
Vermutung, dass ein Grund dafür vielleicht auch in dem Umstand zu
suchen sein könnte, dass es für ein neues Fachorgan einfach nicht
genügend Autoren gibt?

Für den Bibliotheksbereich möchte ich diese These jedenfalls wagen.
Schon heute ist es für die bestehenden Zeitschriften schwierig, an
gute Beiträge zu kommen. Und was die beiden neuen Zeitschriften wie
informationspraxis (http://informationspraxis.de/) und o-bib
(https://www.o-bib.de/index.php/bib/) betrifft, ist außer eher
technischen Ankündigungen noch nichts zu sehen. Hinzu kommen die durch
Social Media eröffneten Publikationskanäle, die in der Form ephemerer
Nanopublikationen das Veröffentlichungsbedürfnis insbesondere von
Praktikern gut zu befriedigen scheinen; entsprechende Autoren fallen
bei den traditionellen Zeitschriftenformaten heute oft aus, während
sie früher aus einer kleinen Neuigkeit immerhin noch einen soliden
Kurzbeitrag gemacht haben.

Um es - jedenfalls für die Bibliothekswissenschaft in Deutschland -
noch deutlicher zu formulieren: Lenkt die damals beim Wechsel des
Bibliotheksdienstes zu DeGruyter an vielen Stellen geführte Diskussion
über Open Access bei den Fachpublikationen nicht ein wenig davon ab,
dass wir bei Licht besehen eine nur wenig entwickelte
Publikationskultur haben?

Das fängt bei der teilweise sehr unprofessionellen Art und Weise an,
wie bereits publizierte Arbeiten von den Fachautoren rezipiert werden,
nämlich meist gar nicht. Dabei mutet es merkwürdig an, wenn wir unser
eigenes Selbstverständnis als Informationsspezialisten immer betonen,
auf der anderen Seite aber simple Recherche zu älteren Arbeiten, die
ein Thema betreffen, über das wir uns schriftlich äußern, offenbar für
entbehrlich halten. Ich will nicht so weit gehen, die Kenntnis der
entsprechenden Rechercheinstrumente anzuzweifeln .. Zudem hat man den
Eindruck, dass bibliothekarischen Publizieren sich oft im
Veröffentlichen erschöpft, dass aber eine Lektüre, geschweige denn
eine produktive Rezeption publizierter Arbeiten kaum stattfindet. Wann
und wo haben wir uns zulezt über einen Fachbeitrag einmal öffentlich
streitig ausgetausch? Diese Ehre lassen wir offenbar nur noch Roland
Reuß und vergleichbaren Autoren zukommen. Immerhin, aber doch etwas
wenig ...

Vielleicht sollten wir uns eher grundlegend über unsere
Publikationskultur unterhalten, anstatt uns immer neue
Publikationsformate auszudenken. Auch wenn es vielleicht altmodisch
ist, aber ich finde, guter content und nicht Infrastruktur sollte
IMMER an erster Stelle stehen.

Viele Grüße
ste

--
Prof. Dr. Eric W. Steinhauer
Dezernent für Medienbearbeitung
Fachreferent für Allgemeines, Rechts-, Staats- und Politikwissenschaft
Fernuniversität in Hagen - Universitätsbibliothek
Universitätsstr. 21 - 58097 Hagen
Tel: 02331 / 987 - 2890
Fax: 02331 / 987-346

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