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Re: [InetBib] Kein EIS



Lieber Herr Prof. Dr. Steinhauer, liebe Liste, 
das Thema ist für mich ein dauernder wunder Punkt.  Aus verschiedenen Gründen: 
man könnte durchaus hier mehr aktiv sein und jammern zählt - eigentlich -nicht. 
Natürlich gibt es den inneren Schweinehund und immer "genug Gründe", keine 
wissenschaftliche Praxis an den Tag zu legen. Aus privaten Gründen gibt es die 
auch schon mal tatsächlich, aber in der Tat streicht man auch gerne drumrum.
Dennoch möchte ich folgende "Gründe" auch nicht völlig beiseitegeschoben wissen:

- Bibliothekarinnen, Bibliothekare fungieren häufig, insbesondere wenn in 
Leitungspositionen, als eierlegende Wollmilchsäue...
Das ist nicht beleidigend gemeint!, sondern eher als prägnante 
Situationsbeschreibung: man soll zu den verschiedensten Themen Expertisen an 
den Tag legen und kann sich nur noch selten wirklich vertiefen. Die schöne 
thematische Breite des Bibliothekswesens vom Buchdruck bis zur technischen 
Performanz eines Systems, das man einführen will etc., verlangt allerdings 
diese ständige "Breitenperformance". Dies wird mir persönlich zunehmend 
ärgerlich, da ich mir vorkomme wie "die gelbe Post". Häufig hat man aber genau 
deshalb allenfalls noch Praxisberichte in Petto , die man in eine 
bibliothekarische Fachzeitschrift geben kann. Habe ich damit wissenschaftlich 
gearbeitet? - nein. 

Man könnte solchen Artikeln zig Quellen beifügen und diesen richtig fundiert 
gestalten... tut man dann aber nicht. Wie froh ist man ob dieser 
Selbsterkenntnis, dass es sich um einen "Praxisbericht" handelt und schon ist 
man fein raus! Schön ist das aber nicht.  Faktum ist: Breitenkompetenz ermüdet 
und hält ab von Tiefe, so einfach ist das.  Selten findet man noch Energie in 
sich vor, das gründlich zu verschriftlichen, was man eigentlich täglich im 
Kopfe trägt. Am schlimmsten trifft es hier Bibliothekare, die beides wollen: 
Praktiker sein und keine abgehobenen Thesen von sich geben, aber dennoch nach 
Vertiefung streben, ein Dilemma! Entweder sie investieren Freizeit oder sie 
beschneiden sich qualitativ. Insgesamt gibt es leider auch mit genügend 
Arbeitsstunden angefüllte praxisorientierte Arbeitstage - und die Lukubration 
als Dauereinrichtung lässt doch irgendwann fahle Gesichtszüge entstehen :-) :-[

- Technische Brillanz neuerer Publikationssysteme und Open Access-Philosophien 
täuschen mich leider nicht darüber hinweg, dass ständig Arbeit für Lullu 
erwartet wird. OA heißt für mich OA für den Rezipienten, aber nicht "Lullu" für 
den Autor und die Redaktion. Leider gibt es auch in unserer Szene 
"Freiheitsdenker", die die Freiheit darin definieren, dass Andere! für eine 
fiktive freie Öffentlichkeit, die dies etwa fordern würde, bitte umsonst 
arbeiten. Solche haben allerdings häufig einen festen Arbeitsplatz, was der 
teilweise arbeitslosen Bibliothekarsszene, die in der Tat häufig umsonst 
arbeitet, auch gefallen würde..  Und da ich nicht naiv bin: auch ich habe zur 
Kenntnis genommen, dass Wissenschaftler für ihre Publikationsarbeit nicht 
bezahlt werden, sondern zahlen. Ich bleibe aber naiv und setze noch eins drauf: 
ich bin dagegen. Ich bin auch dagegen, so öffentlich-rechtlich ich sonst 
"drauf" bin, Bibliothekare als kostenlose Heilfürsorger zu verstehen. Auch ich 
habe nicht nur meine öffentlich-rechtlichen Ideale, mein Fachinteresse sondern 
auch das Geldverdienen als Grund meines Berufes anzuführen. Das 
Publikationssystem insgesamt hängt hier seit langem schief. Leider münzt die 
Politik das auch noch für die Verwerterlobby um und nicht für die eigentlich 
betroffenen Wissenschaftler.

- Open Access Modelle, die ich für notwendig halte!, weil sie bisher die 
einzige Chance sind, aus der Stakeholder versklavten, somit rein 
renditeorientierten Geschäftsmodellpraxis von Großkonzernen des Verlags- und 
Providerwesens für Fachzeitschriften herauszukommen- funktionieren aus meiner 
Sicht nur, wenn da alternative, aber bezahlte technische und 
Man-Power-Ressourcen sind. Deshalb bin ich auch nicht völlig gegen 
verlagsgetragene Systeme oder Mischungen, was ein Widerspruch zur reinen 
Ideologie ist, aber es gibt wenig Widerspruchsfreies auf dieser Welt... hier 
kommt es auf das jeweilige, ethisch auch vertretbare Einzelmodell an.

Eigeninitiativen funktionieren nur dann, wenn es zumindest grundlegende 
finanzielle Mittel gibt (z. B. Vereinsbeitrag wie bei Libreas, 
http://libreas.eu/, welches ich hier auch einmal erwähnen will!) oder jemand 
dauerhaft bereit wäre, sich dafür auf eigene Kosten zu engagieren. 
Verständlicherweise! kann das aber nicht immer erwartet werden.  
Alternativ hierzu funktioniert es offenbar, wenn ein institutioneller Unterbau 
wie eine Uni oder eine wissenschaftliche Gesellschaft  sowie ein Fachkontext 
dazukommen. Daher ein kleiner Hinweis auf eine OA-Zeitschrift aus der 
Spezialbibliotheksszene, die offenbar ganz gut läuft, nämlich die 
Fachzeitschrift für Medizinbibliotheken, GMS, German Medical Science: GMS 
Medizin - Bibliothek - Information. 
http://www.egms.de/dynamic/en/journals/mbi/index.htm .  Maßgeblich am Erfolg 
dieser Zeitschrift ist aber wohl auch gerade der fachliche Kontext, in den das 
gestellt ist, und eben dieser institutionelle Unterbau. Darauf agieren eine 
Menge engagierter Bibliothekare offenbar sehr konstant vor sich hin.

Vielleicht fehlt es der Informationswissenschaft genau an dieser Kombination: 
ein! institutioneller Unterbau mit Grundmitteln für den Fachkontext 
Informationswissenschaft? 
Freundliche Grüße aus Bochum
A. Kustos

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Eric 
Steinhauer
Gesendet: Freitag, 25. Juli 2014 13:51
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Kein EIS

Lieber Herr Kuhlen, liebe Liste,

das ist eine bedauerliche Entscheidung. Wäre es eine zu abwegige Vermutung, 
dass ein Grund dafür vielleicht auch in dem Umstand zu suchen sein könnte, dass 
es für ein neues Fachorgan einfach nicht genügend Autoren gibt?

Für den Bibliotheksbereich möchte ich diese These jedenfalls wagen. 
Schon heute ist es für die bestehenden Zeitschriften schwierig, an gute 
Beiträge zu kommen. Und was die beiden neuen Zeitschriften wie 
informationspraxis (http://informationspraxis.de/) und o-bib
(https://www.o-bib.de/index.php/bib/) betrifft, ist außer eher technischen 
Ankündigungen noch nichts zu sehen. Hinzu kommen die durch Social Media 
eröffneten Publikationskanäle, die in der Form ephemerer Nanopublikationen das 
Veröffentlichungsbedürfnis insbesondere von Praktikern gut zu befriedigen 
scheinen; entsprechende Autoren fallen bei den traditionellen 
Zeitschriftenformaten heute oft aus, während sie früher aus einer kleinen 
Neuigkeit immerhin noch einen soliden Kurzbeitrag gemacht haben.

Um es - jedenfalls für die Bibliothekswissenschaft in Deutschland - noch 
deutlicher zu formulieren: Lenkt die damals beim Wechsel des 
Bibliotheksdienstes zu DeGruyter an vielen Stellen geführte Diskussion über 
Open Access bei den Fachpublikationen nicht ein wenig davon ab, dass wir bei 
Licht besehen eine nur wenig entwickelte Publikationskultur haben?

Das fängt bei der teilweise sehr unprofessionellen Art und Weise an, wie 
bereits publizierte Arbeiten von den Fachautoren rezipiert werden, nämlich 
meist gar nicht. Dabei mutet es merkwürdig an, wenn wir unser eigenes 
Selbstverständnis als Informationsspezialisten immer betonen, auf der anderen 
Seite aber simple Recherche zu älteren Arbeiten, die ein Thema betreffen, über 
das wir uns schriftlich äußern, offenbar für entbehrlich halten. Ich will nicht 
so weit gehen, die Kenntnis der entsprechenden Rechercheinstrumente 
anzuzweifeln .. Zudem hat man den Eindruck, dass bibliothekarischen Publizieren 
sich oft im Veröffentlichen erschöpft, dass aber eine Lektüre, geschweige denn 
eine produktive Rezeption publizierter Arbeiten kaum stattfindet. Wann und wo 
haben wir uns zulezt über einen Fachbeitrag einmal öffentlich streitig 
ausgetausch? Diese Ehre lassen wir offenbar nur noch Roland Reuß und 
vergleichbaren Autoren zukommen. Immerhin, aber doch etwas wenig ...

Vielleicht sollten wir uns eher grundlegend über unsere Publikationskultur 
unterhalten, anstatt uns immer neue Publikationsformate auszudenken. Auch wenn 
es vielleicht altmodisch ist, aber ich finde, guter content und nicht 
Infrastruktur sollte IMMER an erster Stelle stehen.

Viele Grüße
ste

--
Prof. Dr. Eric W. Steinhauer
Dezernent für Medienbearbeitung
Fachreferent für Allgemeines, Rechts-, Staats- und Politikwissenschaft 
Fernuniversität in Hagen - Universitätsbibliothek Universitätsstr. 21 - 58097 
Hagen
Tel: 02331 / 987 - 2890
Fax: 02331 / 987-346

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