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Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken?
- Date: Thu, 27 Nov 2014 11:04:57 +0100
- From: Eric Steinhauer <eric.steinhauer@xxxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken?
Lieber Herr Holzbach,
Sie machen in Ihren Mails mehrere thematische Fässer auf, auf die ich 
der Reihe nach kurz einmal eingehen möchte.
1. Die Entscheidung des BVerwG
Wir allen kennen noch nicht das Urteil, sondern nur die 
Pressemitteilung. Zum rechtlichen Hintergrund nur soviel: § 9 ArbZG ist 
hier nicht so relevant, sondern eher § 10 ArbZG, der in weitem Umfang 
die Ausnahmen regelt und in seinem Abs. 1 Nr. 6 den Kirchen, aber auch 
den Gewerkschaften für ihre eigenen Veranstaltungen quasi eine 
Blankettvollmacht (!!) zur bezahlten Sonntagsarbeit in ihrem Bereich 
ausstellt.
Für wissenschaftliche Präsenzbibliotheken ist in Abs. 1 Nr. 7 bezahlte 
Sonntagsarbeit ebenfalls möglich. Das gilt auch für 
Freizeiteinrichtungen. Hier (!) liegt der Knackpunkt. Öffentliche 
Bibliotheken verstehen sich nicht mehr bloß als Ausleihstationen, 
sondern als Begegnungsorte für eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Mit 
dem Erlass von Bibliotheksgesetzen, in denen dieser Paradigmenwechsel 
mittlerweile mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommt, hat der 
Begriff der "Bibliothek" eine rechtliche Akzentuierung erfahren, die vom 
BVerwG nicht einfach ignoriert werden kann. Diese rechtliche 
Aktzentuierung vorzunehmen, sind auf Grundlage ihrer Kulturhoheit 
übrigens allein (!) die Länder berufen.
Vom (rechts)soziologischen Standpunkt gibt die Entscheidung des BVerwG 
ebenfalls zu denken, da die Richter offenbar keine eigene Anschauung 
moderner öffentlicher Bibliotheken haben. Anders kann man sich die 
sachlich vollkommen verfehlte Argumentation mit der Buchausleihe kaum 
erklären. Hier wiederholt sich ein Phänomen, das wir auch bei Politikern 
häufig finden: Leute, die aufgrund ihres Einkommens ihren Buchbedarf 
selbst stillen können, haben in ihrer Jugendzeit zuletzt eigene 
Erfahrungen mit öffentlichen Bibliotheken gemacht. Entsprechend 
"aktuelle" Leitbilder finden Sie in den Köpfen dieser Leute.
2. Kirchen
Öffentliche Bibliotheken als einer der letzten kulturellen 
Begegnungsorte ohne (!) Konsumzwang neben kommerziellen Veranstaltungen 
wie Freizeitparks, die viele Familien sich gar nicht leisten können, 
oder Kinos und dergleichen auch am Sonntag anzubieten, finde ich  
kulturpolitisch wichtig und richtig. Dass ausgerechnet die Kirchen damit 
ein Problem haben sollten, erschließt sich mir nicht. Man darf nicht 
vergessen, dass es der "Erfolg" dieses tollen Prozesses ist, dass nun 
Sportwetten am Sonntag den höchstrichterlichen Segen haben. Ob das ein 
gesellschaftpolitischer Fortschritt ist, wage ich zu bezweifeln.
Und ja, ich bleibe dabei, dass es bigott ist, tausende Ehrenamtler an 
Sonntagen unentlohnt in den öffentlichen kirchlichen Bibliotheken 
arbeiten zu lassen, aber gegen die Möglichkeit, für eine solche Arbeit 
auch eine Entlohnung bekommen zu können, zu prozessieren. Wo Sie ja in 
Vallendar arbeiten, habe ich ein weiteres schönes Beispiel für diese 
Bigotterie: Warum soll es gegen den Sonntagsschutz verstoßen, eine nicht 
kommerzielle Stadtbibliothek für einige Stunden mit entlohnter Arbeit am 
Sonntag zu öffnen, es im Gegensatz dazu aber ganz unproblematisch sein, 
wenn ein konservativer katholischer Verlag seine Buchhandlung, wohl um 
des besseren Umsatzes willen, regelmäßig am Sonntag geöffnet hat: 
http://www.schoenstatt-verlag.de/OEffnungszeiten/?parent=home ?
Um es auf die Spitze zu treiben: Für die Möglichkeit einer 
unentgeltlichen Lektüre von Büchern in einer Bibliothek, was man auch 
als "kulturelle Diakonie" bezeichnen könnte, Menschen zu bezahlen, 
verstößt gegen die Sonntagsruhe, die gleichen Bücher aber gegen Geld zu 
verkaufen, ist mit entlohntem Personal in Ordnung?
Diese Argumentation hat übrigens nichts mit Kirchenfeindlichkeit zu tun 
und ist auch nicht "links", sondern ist eine ernste Anfrage an eine 
große Institution, die einen gesellschaftspolitischen 
Gestaltungsanspruch erhebt. Wenn hier nur noch reflexhaft formales 
Besitzstandsdenken verteidigt wird, untergräbt das die Glaubwürdigkeit. 
Eine differenzierte Klage, die etwa die Bibliotheken ausgespart, die 
Wettbüros und Videotheken aber betroffen hätten, wäre intelligenter 
gewesen, als einem der wenigen Orte niederschwelliger gesellschaftlicher 
Integration Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Falls Sie wegen des Hinweises auf einen Beitrag in der taz Bedenken über 
meinen "weltanschaulichen Standpunkt" hegen sollten, was ich in dieser 
Form eher erheiternd finde, so darf ich kurz bemerken, dass es meine 
Stellungnahme zum Kulturfördergesetz Nordrhein-Westfalen war, die in 
letzter Minute noch zu einer Einbeziehung der Kirchen in das 
Anhörungsverfahren geführt hat, vgl. Stellungnahme 16/2251, S. 11 f. 
(http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-2251.pdf). 
Das können Sie auch dem Protokoll der Anhörung entnehmen, wo der 
Vertreter des Evangelischen Büros NRW dies gesagt hat: "Die Katholischen 
Bistümer und die Evangelischen Landeskirchen haben zusammen eine 
Stellungnahme abgegeben. Wir waren zunächst sehr überrascht, dass die 
Kirchen in diesem Gesetzentwurf gar nicht benannt wurden. Ich danke 
ausdrücklich Herrn Prof. Steinhauer dafür, dass er dies benannt hat." 
(APr. NRW 16/714, S. 31). Daran sehen Sie, dass ich sehr wohl die 
kultur- und gesellschaftspolitische Bedeutung der Kirchen sehe und 
bejahe. Das heißt aber nicht, dass man dabei auch seinen Kopf abschaltet 
und unüberlegtes Handeln auf dieser Seite nicht auch mit guten Gründen 
kritisieren dürfte.
3. Verschiedenes
Inetbib ist kein wissenschaftliches Forum, sondern dient dem 
Meinungsaustausch. Daher ist es legitim, zugespitzt, mitunter auch 
polemisch die Dinge zu thematisieren. Sie als Freund der alten 
Fakultäten sollten hier die Rhetorik nicht vergessen, deren ehener 
Grundsatz immer die Adressatenbezogenheit ist. Soweit und solange in der 
Liste niemand persönlich angegriffen oder Schmähkritik geübt wird, sind 
Rufe zur Sachlichkeit in diesem Kontext etwas deplaziert. Für den 
Hinweis auf die verschiedenen Möglichkeiten, nach einem theologischen 
Studium arbeiten zu können, danke ich. Was den historisch noch recht 
jungen studierten "Laientheologen" betrifft, finden Sie bei Bedarf hier 
Hinweise und Vertiefungen: Steinhauer, Eine kurze Geschichte der 
Ausbildung katholischer Theologen in Deutschland, in: Heinz Finger, 
Reimund Haas, Hermann-Josef Scheidgen (Hrsg.), Ortskirche und Weltkirche 
: kölnische Kirchengeschichte zwischen Mittelalter und Zweitem Vatikanum 
: Festgabe für Norbert Trippen zum 75. Geburtstag. - Köln [u.a.] : 
Böhlau, 2011 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte ; 28), S. 899-913, 
insbesondere S. 907-911.
Herzlich grüßt
Eric Steinhauer
--
Prof. Dr. Eric W. Steinhauer
Dezernent für Medienbearbeitung
Fachreferent für Allgemeines, Rechts-, Staats- und Politikwissenschaft
Fernuniversität in Hagen - Universitätsbibliothek
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