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Re: [InetBib] Soll "Mein Kampf" jetzt in die Stadtbücherei?



Lieber Herr Günther,
 
das mit der Verflachungsspirale ist ganz einfach zu verstehen:  Wenn Sie einen 
vorwiegend bestseller-orientierten oder  besser gesagt rein 
effizienzorientierten, allein an Ausleihzahlen orientierten Bestandsaufbau 
machen, hat das Publikum nur noch eine geringe Chance, Neues oder Unbekanntes 
zu entdecken. Solche Bücher haben dann keine Chance mehr, Ausleihzahlen zu 
generieren, d. h. einen vorhandenen Bedarf zu signalisieren und einen legitimen 
Platz im Bestand zu finden. Diese Frage berührt also elementar die Aufgabe und 
Legitimation einer öffentlichen, nicht kommerziellen, aus Steuermitteln der 
Allgemeinheit finanzierten Bibliothek. Konkret auf einzelne Titel bezogen 
stellt sich diese Frage selbstverständlich unterschiedlich je nach Profil und 
Größe der Bibliothek. Die kommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" bei der 
aktuellen breiten öffentlichen Diskussion in wissenschafliche Bibliotheken zu 
verbannen, verkennt zweifelslos einen wichtigen Teil der Aufgaben einer 
öffentlichen Bibliothek und kann selbstverständlich nicht akzeptiert werden.
 
Herr Graf hat übrigens berechtigterweise schon in seiner ersten Mail auf das 
verfehlte Bestseller-Argument als Begründung für seine Kritik abgehoben. Eine 
Bestsellerliste kann letztlich keine Begründung für die Aufnahme der kritischen 
Ausgabe von "Mein Kampf" in den Bestand einer öffentlichen Bibliothek sein.
 
Mit besten Grüßen
Peter Delin
 
Peter Delin
Ringstraße 100
12203 Berlin

Tel.: 030/81305675
Mobil: 015787311689
Mail: peter.delin@xxxxxx
https://dvdbiblog.wordpress.com/
 
 

Gesendet: Dienstag, 12. Januar 2016 um 16:01 Uhr
Von: "Robert Günther" <guenther@xxxxxxxxxxx>
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Soll "Mein Kampf" jetzt in die Stadtbücherei?

Am 12.01.2016 um 15:17 schrieb Klaus Graf:
On Tue, 12 Jan 2016 14:23:49 +0100
Josef Wandeler <wandeler@xxxxxxxxxx> wrote:
Lieber Herr Pietsch

Ich bin durchaus Ihrer Meinung, dass Links statt einem
längeren Text sinnvoll sind. Und natürlich habe ich den
Blogeintrag gelesen und ebenso die beiden Texte, auf die
dort verwiesen wird.
Was mir gefehlt dabei: eine sinnvolle Begründung, warum
es "erbärmlich" sein soll, wenn eine Stadtbücherei ein
sehr schwierig zu lesendes Buch nur dann in den Bestand
aufnimmt, wenn es tatsächlich nachgefragt wird.
Darüber kann und soll man durchaus diskutieren, nicht
einfach mit dem verbalen Vorschlaghammer durch die Gegend
ziehen.
Tut mir leid, wenn ich Sie ueberfordere. Denkende Menschen
sind durchaus in der Lage, auch ohne lange Vorgaben
meinerseits ueber das Problem zu reflektieren, was es
bedeutet, wenn sich eine Stadtbuecherei weigert, eine sich
bewusst auch an Laien wendende wissenschaftliche Ausgabe
eines Buchs anzuschaffen, das ab 1933 wohl in jeder
oeffentlichen Buecherei womoeglich in mehreren Exemplaren
vertreten war. Es war eines der unheilvollsten Buecher des
20. Jahrhunderts. Die Ausgabe ist derzeit fester
Bestandteil der Feuilleton-"Blase". Aber die ist womoeglich
auch fuer oeffentliche Bibliotheken zu hoch.

Vermutlich ist Ihnen der Begriff "Verflachungsspirale" kein
Begriff, aber anderen sagt er sicher etwas. Zwischen der
Bibliothek als moralischer Anstalt und einer niveaulosen
Bestseller-Sammlung gibt es eine Menge von Zwischentoenen,
aber es ist mein gutes Recht als Historiker, die Haltung
dieser westfaelischen Bibliothekarin erbaermlich
geschichtsvergessen zu finden.

Und mir leuchtet es als Nicht-Bibliothekar ueberhaupt nicht
ein, wieso das Bibliothekswesen mehr und mehr
auseinanderdriftet: in den Bereich der wissenschaftlichen
und Spezial-Bibliotheken und einem zunehmend niveau- und
orientierungslosen

http://esteinhauer.tumblr.com/post/137013877060/nennt-es-nicht-bibliothek[http://esteinhauer.tumblr.com/post/137013877060/nennt-es-nicht-bibliothek]

Bereich der oeffentlichen Bibliotheken, der uebrigens hier
in INETBIB kaum mehr vorkommt.

Klaus Graf
Liebe Liste.

ich muss gestehen, dass mir das kein Begriff ist.
Was ist die "Verflachungsspirale"?


--
Dr. Robert Günther

 


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