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Re: [InetBib] DEAL



Sehr geehrter Herr Dr. Mittermaier,

herzlichen Dank für Ihre Klarstellungen.

Für mich wäre es ausgesprochen peinlich, wenn ich als Verleger behaupten müsste: „Seit vielen Jahren ist der Trend zur Kostenlos-Mentalität speziell an den Hochschulen und im Bereich der wissenschaftlichen Literatur in Lehre und Forschung zu beobachten“ ( http://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4905749 Dr. h. c. Albrecht Hauff ), obwohl man genau weiß, dass die großen Verlage seit etlichen Jahrzehnten jährlich zu hohe Preissteigerungen verlangt haben. Von "kostenlos" konnte man da sicher nicht sprechen. Ich frage mich auch, ob Verleger wirklich der Meinung sind, dass Wissenschaft in Hochschulen ein Privatvergnügen ist, für dass sie nicht bezahlt werden, sondern kräftig selbst bezahlen sollten. Auch wenn ich ehrlich zugeben muss, dass mir Wissenschaft immer Spaß gemacht hat - zumindest wenn ich auch mal zum Urheber einer neuen Erkenntnis wurde ;-)

Infolge der horrenden Preissteigerungen musste man ja zu Open Access und zum www.projekt-deal.de greifen. Dass es ein fundamentaler juristischer Fehler war, die Bibliotheken bei elektronischen Dokumenten zu enteignen (in dem sie nur noch Nutzungsrechte erwerben können), so dass Elsevier den Zugang zu seinen Zeitschriften jeder Zeit stoppen kann, hat sich bei dieser Gelegenheit ebenfalls gezeigt.

Der Wahre Trend ist dagegen, dass es den Verlagen in der Open-Access-Diskussion gelungen ist, zusätzlich noch Geld von den Autoren, den Forschungsgeldgebern, den Interessengruppen oder auch der Pharmaindustrie heraus zu schinden. Insofern ist es auch nicht richtig, dass die Verlage die „Bewegungen hin zu Open Access verschlafen oder ignoriert“ (Prof. Dr. Gerd Antes) hätten. Es stimmt, dass die Verlage so tun als ob, nur damit ihnen die zusätzlichen Einkünfte von den Bibliotheken nicht weg brechen. Die Verlage haben ja auch so getan, als hätten wir ein Zeitschriftensterben, obwohl sie wussten, dass das Unsinn ist. Wir hatten noch nie so viele Zeitschriften wie heute, obwohl immer mehr in elektronischer Form erscheinen müssen, weil das gedruckt gar nicht mehr zu handhaben wäre. Hier wurden seit Jahrzehnten fake news publiziert, denen die Bibliothekare und andere Information Professionals zu wenig widersprochen haben – sie waren informationswissenschaftlich oft zu schlecht ausgebildet.

Eigentlich sollte die Unterschriftenaktion der Verlage zur „Publikationsfreiheit“ nicht wirklich ernst genommen werden, da sie selbst zur Gruppe der fake news gehört. Das ist nicht das Niveau, auf dem Information Professionals ernstlich diskutieren sollten. Wenn ich beispielsweise lese: „Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil ... Autoren die Urheberrechte an ihrer geistigen Arbeit behalten und dafür von ihren Verlagen vertreten werden müssen.“, dann ist das zwar im Sinne der Verlage nett gemeint, es offenbart aber eine gewisse Ahnungslosigkeit, denn der Autor, hat den Unterschied zwischen Urheberrechten und Verwertungsrechten bzw. Copyrights noch nicht verstanden. Das liegt aber natürlich daran, dass die Verlage selbst gern euphemistisch von Urheberrechten sprechen, wenn sie eigentlich nur Verwertungsrechte meinen. Einfach gesagt: Die Urheberrechte liegen bei den Autoren, die Verwertungsrechte bei den Verlegern.

Bedauerlicherweise hat Antes recht, wenn er sagt: „Die Freiheit von Zeitschriften und Verlagen sind nicht der Garant für Verbesserungen, sondern ein zentraler Grund für die Defizite“. Das ist in der Szientometrie schon länger bekannt. Viel zitiert bedeutet nicht automatisch hohe Qualität, auch wenn immer mehr Spitzenverlage ihre Journal Impact Factors trickreich in lichte Höhen treiben.

Die Unterschriftenaktion der Verlage zur „Publikationsfreiheit“ ist ein Beispiel für Populismus im Verlagswesen, und sollte bei den Information Professionals Anlass sein dagegen inhaltlich fundiert die Gegenargumente zu begründen. Dabei ist es gleichgültig, ob das 100, 1000 oder 10000 unterschrieben haben. Auch wenn es eher traurig als erheiternd ist, wer da alles unterschrieben hat.

Es ist interessant, dass die meisten Verlage sich bislang zusammenschlossen, wenn es um die Enteignung der Bibliotheken ging, nun erkennen sie immer deutlicher, dass ihre eigentlichen Gegner nicht die Bibliotheken sind, sondern die Monopolisten Google, Elsevier etc. Das wird aus meiner Sicht nun an den Bemerkungen von Hauff und Ulmer deutlich.

MfG
Walther Umstätter


Am 2017-02-21 15:27, schrieb Mittermaier, Bernhard via InetBib:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

immer wieder sind erstaunliche Behauptungen im Kontext von DEAL zu
hören und zu lesen, zuletzt gestern in dieser Liste von Herrn Ulmer.
Ich wiederhole (in erweiterter Fassung) hier gerne, was ich vor einem
Monat schon einmal bei Password online geschrieben habe:

Wird der weiteren Monopolisierung des Zugang zu wissenschaftlichen
Information Vorschub geleistet?
Das Ziel ist Open Access, und das ist gerade der Gegensatz zur
Monopolisierung. Oder ist damit ein anbieterseitiges Monopol gemeint?
Das gibt es ja jetzt schon. Wer z.B. "The Lancet" lesen will, muss
Elsevier dafür Geld bezahlen.

Bleiben kleinere Verlage bei Lizenzverhandlungen unberücksichtigt und
sind daher zukünftig in Bibliotheken unterrepräsentiert?
Völlig falsch, seit 2004 wurden Dutzende National- und Allianzlizenzen
mit kleinen und mittleren Verlagen abgeschlossen, siehe
http://www.nationallizenzen.de/angebote

Erhalten internationale Großverlage jetzt noch mehr Geld und bleibt
für kleine und mittlere Verlage nichts mehr übrig?
Gegenfrage:  Glaubt wirklich jemand, dass DEAL ins Leben gerufen
wurde, um zwar einerseits auf ca. 40% Umsatzrendite bei Elsevier zu
verweisen aber dann andererseits noch mehr Geld auszugeben? Und dass
Anfang des Jahres über 60 Einrichtungen in den Ausstand getreten sind
um *mehr* zu zahlen?

Müssen mittlere und kleinere Bibliotheken mit geringeren Budgets Titel
einstellen, die nicht ihrer Spezialisierung entsprechen und haben sie
deshalb keine Etatmittel für Spezialgebiete?
Es ist davon auszugehen, dass alle Bibliotheken im Wesentlichen auch
jetzt schon das lizenziert haben, was sie wirklich benötigen. Die
Nutzung der hinzukommenden Titel wird sich in engen Grenzen halten und
kann sich finanziell daher auch nicht substantiell bemerkbar machen.
Insgesamt ist dies im Kontext eines gerechten Kostenverteilungsmodells
zu sehen, das von DEAL auch schon ausgearbeitet wurde.

Fallen Aggregatoren und Agenturen aus der Wertschöpfungskette heraus?
2012 fand unter Moderation des Börsenvereins ein Gespräch zwischen
Bibliothekslieferanten und Bibliothekaren zu dieser Frage statt. Fazit
war: Art, Umfang und Preis der Dienstleistungen, die
Bibliothekslieferanten für Bibliotheken erbringen, sind Gegenstand von
Vereinbarungen zwischen Bibliotheken und Bibliothekslieferanten. Der
Rabatt, den Verlage den Bibliothekslieferanten gewähren, vergütet die
Arbeit, die Bibliothekslieferanten für Verlage erbringen.
Dies bedeutet, dass Dienstleistungen, die eine bestimmte Bibliothek
bei einer Agentur in Anspruch nehmen möchte, Gegenstand einer
Vereinbarung zwischen dieser Bibliothek und der Agentur sind, nicht
aber zwischen dem DEAL-Konsortium und der Agentur. Der Sache nach kann
es sich dabei vor allem um die Lieferung gedruckter Zeitschriftenhefte
zu Deep Discount Konditionen handeln. Bei den elektronischen
Zeitschriften besteht ein Markt für Agenturen dann, wenn sie einen
Beitrag zur Wertschöpfung leisten.  Die DEAL-Lizenzen selbst werden
nicht über Agenturen und Buchhandlungen zu beziehen sein. Dies würde
für die beteiligten Bibliotheken und Verlage keinen Mehrwert schaffen,
sondern lediglich zusätzlichen Abstimmungsaufwand und zusätzliche
Kosten generieren.

Zerstört DEAL den "Library Choice"?
Gegenfrage: Gibt es den Library Choice eigentlich noch? Die im
Positionspapier des Sortimenterausschusses
http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/1117/Library_Choice_AWS_SoA_April_2014.pdf
verlinkte Seite http://www.subscription-agents.org/library-choice
führt zu einer 404-Meldung. Auf der neuen Webseite der Subscription
Agents gibt es keinen Treffer zu "Library Choice" und einen (!) zu
"library" (die Seite "How can fitness instructors and experts make
money online?")
Der letzte Snapshot der Liste im Internet Archive stammt vom
23.06.2014
http://web.archive.org/web/20140623044706/http://www.subscription-agents.org/node/68/
. Dort finde ich mit Springer und De Gruyter zwei (!) deutsche
Verlage;  Elsevier und Wiley finde ich nicht.

Herzlichen Gruß
Bernhard Mittermaier
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Dr. Bernhard Mittermaier
Forschungszentrum Jülich
Leiter der Zentralbibliothek / Head of the Central Library

Tel  ++49-2461-613013
Fax ++49-2461-616103




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Eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Dueren Nr. HR B 3498
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