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[InetBib] AW n: Professionalisierung durch Identitätsverzicht?



Sehr geehrter Herr Goedert,

ich bin Mathematiker gewesen (habilitiert, Funktionalanalysis, Nichtkommutative 
Geometrie, noch aktiv!) und Medieninformatiker geworden. Der Zustand des 
Nicht-Wissens ist fuer einen Informatiker normal. UEberspitzt ausgedrueckt, 
weiss er am Anfang des Projektes nur, dass eine Loesung gefunden werden kann, 
in endlicher Zeit mit normalem Mittelaufwand. Insofern haben Informatiker keine 
Angst, im Gespraech zu bekunden, dass sie ihre Wissensinseln erweitern wollen 
und deshalb "seltsame" Fragen stellen. Und Informatiker koennen schnell lernen 
... da fragen wir mit Freuden auch Informationswissenschaftler!

Dazu kommt der Gang des Lebens. Jeder ist irgendwann "neu" in einer Umgebung 
und erfragt sich sein Wissen mit der Zeit. Und Inetbib hat ja schon einige 
Jahre hinter sich, Zeit fuer neue Leute an Bord! (Was nicht heisst, wer laenger 
als X Jahre dabei ist, bitte von Bord gehen.)

Und insofern halte ich es fuer hoechst erfreulich, dass hier ein Austausch zu 
Stande kommt und jede Frage willkommen ist. Und dass auch persoenlich gefaerbte 
Antworten zaehlen, seien diese auch noch so "partiell". 

Und nicht zuletzt: Den Gegensatz zwischen Informationswissenschaftler und 
Informatiker, der bei Ihnen anklingt, gibt es meiner Auffassung nach nicht. 
Beide Seiten muessen sich in die Wissenswirtschaft einbringen, sonst gibt es 
keine Zukunft.

Mit freundlichen Grüßen
Schönes Wochenende
Michael Frank.
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-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von Winfried Gödert 
via InetBib
Gesendet: Freitag, 10. März 2017 10:38
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Professionalisierung durch Identitätsverzicht?


Liebe Listenleser,

in dieser Woche bot diese Liste für einen in die Jahre gekommenen Freund 
informationeller Professionalisierung ein eigenartiges Schauspiel. 
Vordergründig wurde ein Frage- und Antwortspiel zu Themen aller Art in einem 
dem Zeitgeist entsprechenden Format geboten, AmA genannt. Also eigentlich 
nichts, das nicht im Rahmen des Listengeschehens üblich wäre. 
Oder ist eine vermutlich unfreundliche Beschreibung zutreffender? Die liest 
sich so. Ein sich selbst als partiell nicht wissend bezeichnender Mensch wird 
von Menschen mit Fragen, also ebenfalls nicht wissenden, gebeten, Stellung zu 
diesen Fragen zu beziehen. Eine inhaltliche Grenzziehung ist dabei nicht 
sichtbar, soll es in dem Format nicht geben. Wir können aber beobachten, dass 
der fachliche Bezug der Liste eben doch für eine Konzentration auf 
professionelle Fragen sorgt, sogar auf Fragen, die in vorherigen Zeiten 
Kernfragen professionellen Wissens waren. In jüngeren (schon wieder 
verflossenen?) Zeiten sollte Schwarmintelligenz das Mittel der Wahl für ihre 
Beantwortung sein. Nun erwartet man die Antworten wieder von einem Einzelnen - 
einem Orakel, einem Guru, einem Weisen? Nein, viel zeitgeistiger - einem 
Informatiker. 
Welches Bild des professionellen Selbstverständnisses dürfen wir daraus 
gewinnen? Eines zur Stärkung der Professionalisierung und der so häufig 
beschworenen Informationskompetenz? Folgen Information Professionals nun der 
Empfehlung: Hast du ein Informationsproblem, frage einen Informatiker? Gäbe es 
für diese Antwort auch eine legitimierende Frage?

Viele Grüße

Winfried Gödert


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.