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[InetBib] Besprechung des Stuttgarter Inkunabelkatalogs (2018)



Vor kurzem erschien Klaus Graf: Zu den Inkunabeln der Württembergischen
Landesbibliothek Stuttgart. In: Pirckheimer-Jahrbuch 32 (2018), S.
199-217 als Besprechung von: Die Inkunabeln der Württembergischen
Landesbibliothek Stuttgart. Beschrieben von Armin Renner unter
Mitarbeit von Christian Herrmann und Eberhard Zwink (2018).  Die 30
Druckseiten mussten auf 20 rigide gekürzt werden. Ich durfte eine (bis
auf Auslagerungen in andere Archivalia-Beiträge) ungekürzte und
erheblich erweiterte Fassung in Archivalia publizieren:

https://archivalia.hypotheses.org/98966  

Wobei es nicht der Ironie entbehrt, dass der ganze Abschnitt mit der
Kritik an der Druckausgabe “Wieso im 21. Jahrhundert noch ein
gedruckter Inkunabelkatalog?” im Druck entfallen musste.

Auszüge und grundsätzliche Bemerkungen:

“Der überaus sorgfältige und umsichtige Katalog legt der Bibliothek
Ehre ein und wird durch seine Forschungsimpulse reiche Frucht bringen”,
ist Wolfgang Schmitz in den Informationsmitteln für Bibliotheken
überzeugt. Ich bin gegenteiliger Ansicht. Der Inkunabelkatalog der
Württembergischen Landesbibliothek (WLB) fällt in seiner Qualität
deutlich hinter den größeren Inkunabelkatalogen der letzten Jahre
(Heidelberg, Tübingen, Trier, Leipzig) zurück.

Gedruckte Inkunabel-Kataloge sind im digitalen Zeitalter und im Zeichen
von “Open Access” aus meiner Sicht so überflüssig wie ein Kropf.

Bibliotheken machen sich unglaubwürdig, wenn sie einerseits Open Access
propagieren, bei eigenen Publikationen aber auf hochpreisige
Verlagsprodukte setzen, die von immer weniger Bibliotheken angeschafft
werden können.

Ein nicht ganz geringer Anteil des Inhalts des Stuttgarter Katalogs
ist, wie ich meine, schlichtweg überflüssig, nämlich die aufgeblähten
Referenzen-Listen.

Bei Nachschlagewerken ist der im 15. Jahrhundert erfundene Buchdruck
schlicht und einfach eine veraltete Technologie und teilweise eine
Zumutung. Auch wenn es um Inkunabeln geht.

Die Qualität der Angaben zu den Provenienzen kann im Vergleich zu den
bereits genannten, in den letzten Jahren erschienenen Katalogen nicht
anders als schlecht genannt werden. Es offenbart sich teilweise eine so
schauderhafte Unbildung, dass der Katalog bei mir in dieser Hinsicht
jeglichen Kredit verspielt hat. Wer ein Benediktinerkloster
Brenzenhausen erfindet (statt zu bemerken, dass es sich um Anhausen an
der Brenz handelt, Nr. 713) oder ein Kartäuserkloster in Brixen (weil
er Buxheim nicht lesen kann, Nr. 3190); wer auf die Idee kommt,
“kirchen prope teck” als Kirchen im Alb-Donau-Kreis zu identifizieren
(Nr. 1224) und “Cellae DEI Super: prope Herbipolim” (Oberzell bei
Würzburg) als das Dominikanerinnenkloster Gotteszell bei Schwäbisch
Gmünd (Nr. 4741); wer ein Gymnasium apud Vangiones (Worms) in Wangen
verortet (Nr. 6865), das fürstenbergische Kollegiatstift Betenbrunn bei
dem bayerischen Kösching (Nr. 3154) und mit Araeflaviensis (Rottweiler)
nichts anfangen kann (Nr. 6861), der sollte keinen wissenschaftlichen
Inkunabelkatalog bearbeiten! 

Es ist inakzeptabel, dass (anders als etwa bei dem Tübinger Katalog)
die Besitzvermerke nicht datiert werden, zumal das miserable
Provenienzregister meist auch keine Hilfe ist.

Nr. 879 Der Band enthält ein handschriftliches Gedicht von Ottmar
Luscinius/Nachtigall (Wikipedia) “Ottomarus N. Argentinus ad lectorem
Endecasyllabus”. Der Autor erscheint nicht im Register. Hier wie auch
sonst wäre zu fordern, dass bei Gedichten immer auch der erste Vers des
eigentlichen Textes komplett mitgeteilt wird. Die Textanfänge müssten
in einem Incipit-Verzeichnis gesammelt und in eine übergreifende
Datenbank eingebracht werden.

Im Bereich der Illustrationen ist es nicht einsehbar, dass
Inkunabelkataloge nicht wie gute Museumskataloge oder -datenbanken
verfahren, die alle Ausstellungen eines Stücks (mit Fundstellen der
Katalogeinträge) dokumentieren.  

Zeitgemäße Inkunabelkataloge müssen unbedingt bei jeder einzelnen
Provenienzangabe genaue Nachweise vorhalten, seien es Literaturtitel
oder Internetquellen. 

Die Fehlleistungen des Stuttgarter Katalogs zeigen, dass selbst
naheliegende Quellen wie BSB-Ink oder Bod-Inc nicht ausgewertet werden.
International verstreutes Provenienz-Wissen muss unbedingt besser
zusammengeführt werden, denn Mehrfacharbeit frisst Ressourcen, die
anderweitig besser investiert wären.

Die Zeit wäre an sich reif für eine entschiedenere Kultur der
Zusammenarbeit bei dem digitalen Zusammenführen von Provenienz-Wissen!

Eine Volltextsuche kann zwar ein gutes Register ergänzen, aber nicht
ersetzen. Allein bei den Formulierungen der Kaufvermerke (comparavi,
comparavit, emtus, emptus, empt. usw.) wird der Forscher sicher nicht
alle parat haben. 

Es muss sichergestellt sein, dass ausnahmslos alle Namen, die in
exemplarspezifischen Beschreibungen erscheinen, im Register aufgenommen
werden.

In Registern sollte man nie mit Querverweisen geizen. 

Niemand ist unfehlbar. Je umfangreicher ein Werk ist, umso mehr Fehler
werden sich unbemerkt einschleichen. Man mag imaginieren, dass der
Inkunabelspezialist Peter Amelung aus einem solchen Werk ein
bibliographisches Fest gemacht hätte. Aber auch bei entsprechend
reduzierten Ansprüchen und dem Zugeständnis, dass der vorliegende
Katalog längst nicht alles falsch gemacht hat, bleibt bei mir doch ein
großes Unbehagen. Die Aufgabe war zu groß, und die verfügbaren Kräfte
zu gering. Die so stolze Stuttgarter Inkunabelsammlung hätte einen
besseren Katalog verdient.

Klaus Graf


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.