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Re: [InetBib] Solidarität



Vielen Dank. Das heißt aber im Umkehrschluss auch, dass man Frauen z.B. künftig nicht mehr den Vortritt lassen oder in der Anrede nicht mehr zuerst nennen soll. Es muss dann alles erkämpft und problematisiert werden. Meiner Erfahrung nach sind Frauen durchaus dankbar für eine Behandlung nach den Anstandsregeln. Ich habe es bisher erst einmal erlebt, dass ich in der Bahn von einer Frau als "Macho" angegangen wurde, weil ich ihr den Vortritt an der Tür gelassen habe.

Am 07.07.2021 um 16:22 schrieb Falk Hartwig via InetBib:
Lieber Herr Herrmann,

"Wie schon gesagt, ist durch die klassischen Anstandsregeln ja sogar über Art. 3, Abs. 2 
GG hinausgehend den Damen gegenüber ein besonderer Respekt geboten (Vortritt lassen 
u.s.w.)."

Nun, die "klassischen Anstandsregeln" wurzeln allerdings in einem ebenfalls klassischen Sexismus, der die Frau 
zuerst, wenn nicht ausschließlich, als hübsches wie zerbrechliches Akzidens des Mannes behandelt(e). Sich auf 
diese Etikette der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jh. mit ihrer "Wertschätzung" der Frau - so im 
Grunde fortwirkend bis mindestens in die 1970er Jahre - zurückzuziehen, erscheint mir in dieser Diskussion doch recht 
anachronistisch.


Beste Grüße,
Falk Hartwig



-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Dr. Christian Herrmann via InetBib [mailto:inetbib@xxxxxxxxxx]
Gesendet: Mittwoch, 7. Juli 2021 15:42
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Solidarität

Liebe Frau Sanders,
die von Ihnen genannten Aspekte sind schon alleine vom biblischen Menschenbild (Gottesebenbildlichkeit u.s.w.) her, also bereits 
lange schon Kriterien angemessener Kommunikation und sind nicht erst durch das Gender Mainstreaming in die Welt gekommen. Wie 
schon gesagt, ist durch die klassischen Anstandsregeln ja sogar über Art. 3, Abs. 2 GG hinausgehend den Damen gegenüber 
ein besonderer Respekt geboten (Vortritt lassen u.s.w.). Das Neue an Gender Mainstreaming ist ja nicht die Unterscheidung der 
Geschlechter, sondern im Gegenteil die Relativierung biologisch bedingter Prägungen zugunsten variabler sozialer bzw. 
rollenspezifischer Fremd- oder Selbstzuschreibungen (Geschlecht als soziales Konstrukt). "Gendersensibel" im Sinne von 
Würdigung persönlicher Leistungen und Würde (und das  keineswegs in einer Einengung auf den Bereich der 
Geschlechtlichkeit) sind die traditionellen Sprach- und Anstandsregelungen auch. Das Problem der hinter dem Gender Mainstreaming 
stehenden neueren (dekonstruktiven) Form des Feminismus ist aber - gerade auch aus Sicht des traditionellen Feminismus -, dass 
die Geschlechtsunterschiede und die Würdigung spezifischer Stärken und Eigenschaften gerade aufgehoben werden sollen.
Der Gegenstand der Würdigung zerfließt sozusagen, weil die Geschlechtlichkeit sich in einem permanenten Prozess der 
individuellen Neudefinition befindet. Wer die Gender-Sprache konsequent anwenden will, kann sich nie sicher sein, ob eine Person 
momentan als "Herr" oder "Frau" angesprochen werden will bzw. noch Unterscheidungen wie "Cis-Frau", 
"Trans-Frau" u.s.w. sprachliche Artikulation finden müssen.
Bibliothekarische Festlegungen in der Normierungspraxis der Personendaten müssten im Nachhinein als 
unzulässige Festlegungen in Frage gestellt werden (die fließende Biographie kann dann nicht einfach in einem 
summarischen "VerfasserIn" fremdbestimmt fixiert werden). Und wie wollen Sie mit lyrischen Texten - vor allem 
in der mündlichen Wiedergabe - verfahren? Ob das dann noch ein würdevoller Umgang mit der 
Sprachschöpfung von Autoren ist?
Ausgangspunkt Ihrer Überlegungen und auch derjenigen einiger anderer Diskutanten ist 
auch die Annahme, dass die traditionelle Formulierungsweise grundsätzlich und von 
vorneherein nicht respektvoll und inklusiv sei. Hier dreht sich die Kontroverse immer 
wieder im Kreis.
Ich verstehe dies in gewisser Weise vor dem Hintergrund neuerer Diskussionen, aber die tradtionelle Rhetorik kennt das Mittel der direkten Anrede etwa als 
"Sehr geehrte Damen und Herren" u.ä.. Das Problem ist nur, dass das generische Maskulinum nicht aus einer Machenschaft oder Verschwörung 
böser Menschen (Männer) heraus entstanden ist mit der alleinigen Absicht, Frauen zu unterdrücken, sondern wie schon von anderen betont historisch 
gewachsen und als Konvention für alle verständlich ein zusammenfassender Begriff für alle von einer bestimmten Eigenschaft betroffenen Personen 
unabhängig vom Geschlecht anerkannt war und im Alltagssprachgebrauch abseits akademischer Kreise auch noch ist. Die Gender-Thematik transformiert ein bisher 
zumindest in gepflegten und gebildeten Kreisen übliches respektvolles Verhalten in eine Atmosphäre von Kampf und Spannung, die so gar nicht sein 
müsste, wenn man sich auf für alle Seiten akzeptable Lösungen verständigen wollte. Es ist  nur die Frage, ob das Gender mainstreaming in seiner 
konsequenten Form vom Ansatz her dazu geeignet und willens sein kann.
Den Kritikern der Gender-Sprache Absurditäten vorzuwerfen oder ihnen wie von anderen in diesem Forum die 
moralische oder intellektuelle Würde abzusprechen, widerlegt jedenfalls die eigene Intention, 
respektvoll und voller Würdigung der anderen Menschen miteinander umzugehen. Diversität zu betonen, 
schließt eben alle Formen von Diversität ein, sowohl alle sozialen Schichten und Berufsgruppen als 
auch alle denkbaren Weltanschauungen und nicht nur die mit dem Gender mainstreaming kompatiblen.
Mit den besten Wünschen und Grüßen,
Christian Herrmann

Am 07.07.2021 um 13:34 schrieb Dr. Luise Sanders via InetBib:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Wiethoff,

vielen Dank für Ihren wichtigen Hinweis auf den Solidaritätsaspekt.
Ich würde das sogar noch erweitern: es geht um
•    Höflichkeit,
•    Respekt,
•    Wertschätzung,
•    Anerkennung beruflicher Leistungen,
•    nicht zuletzt um Würde.
Und das ist in Artikel 1 Grundgesetz verpflichtend festgeschrieben.
Und dann gibt es ja auch noch Artikel 3 Grundgesetz insbesondere
Absatz 2 und 3.

Ich bin auch der Meinung, dass es verantwortungsvoller und einfacher
wäre, insgesamt zu überlegen, welche Möglichkeiten die deutsche
Sprache bietet, gendersensibel zu formulieren (vielleicht auch ohne
Sonderzeichen), anstatt die Energie in Gegenwehr und absurde
Argumentationen teilweise sogar in gerichtliche Klagen zu stecken
(Beispiel VW und Audi).


Am 2021-07-06 11:28, schrieb Doerthe Wiethoff via InetBib:
Liebe Kolleg*innen,

es sollte doch Konsens sein, dass man versucht durch Sprache niemand
auszuschließen. In welcher Form man dies tut, ist sicher strittig und
diskussionswürdig, doch die Grundhaltung "wir wollen niemand
ausschließen" sollte doch uns alle einen!

Lieber "verstümmle" ich Sprache, als Menschen sprachlich
auszugrenzen, die in Ihrem Alltag bereits real Ausgrenzung erfahren.

Das hat nichts mit Verbot oder Bevormundung, sondern mit Solidarität
zu tun, die ich bei manchen in dieser Diskussion sehr vermisse.

Nach meiner naiven Meinung macht das Debatten über "Genus vs. Sexus"
"Mitgemeint" und Co. obsolet.

Viele Grüße
Dörthe Wiethoff



Dörthe Wiethoff
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Dr. theol. Christian Herrmann
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Dr. theol. Christian Herrmann
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