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Re: Entgegnung Der Deutschen Bibliothek Rahmenvereinbarung Netzpublik ationen



Hallo Herr Umstätter,

Sie schrieben:
> Die zunehmende Praxis, Dokumente aus dem Internet zu zitieren, die schon
> nach Tagen verändert oder verschwunden sein können,
> ist wissenschaftlich eigentlich inakzeptabel, weil nicht nachprüfbar.
> Insofern sind wirkliche Publikationen an Bibliotheken gebunden, in denen man
> sich vergewissern kann, dass ein authentisches Dokument auch wirklich
> existiert. Ebenso ist Wissenschaft an authentisch gespeicherte Dokumente und
> damit grundsätzlich an Bibliotheken gebunden.

Als "Software-Mensch" habe ich mit der Problematik verschwindender
Informations-Ressourcen im Internet auch so meine Bauchschmerzen.
Das Thema "Zitieren von Internet-Quellen" war ja vor gar nicht allzu
langer Zeit schon mal Thema hier auf der Liste und ist eigentlich
so alt wie das Internet selbst (also älter als das WWW :-).

> Wissenschaftliche Bibliotheken sind (und können nur) die wichtigste
> Rationalisierungsmaßnahme der Wissenschaft sein, wenn durch sie überflüssige
> Doppelarbeit verhindert wird. Genau genommen ist Wissenschaft ja gerade
> dadurch definiert, dass Wissen produziert wird, das bis dato noch nicht
> publiziert worden ist. Das geht nur, wenn das Wissen der Welt in den
> Bibliotheken allgemein verfügbar ist.

Nun ja, es gibt schon alternative Publikationsformen, das zeigt
das Internet ganz deutlich. Von daher gehört ausschließlich im
Internet publiziertes Wissen zunächst auch zum Stand der Wissen-
schaft, selbst wenn es den Weg in die Bibliotheken noch nicht
geschafft haben sollte.

Bibliotheken haben aber den unbestrittenen Vorteil gegenüber anderen
"Informations-Sammelpunkten", daß sie ein vergleichsweise beständiger
und vertrauenswürdiger Ort sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß
mich bei einer Recherche in einer Bibliothek jemals ein Bibliothekar
"übers Ohr hauen" würde, weil es dafür überhaupt kein Motiv gäbe. Bei
einer Recherche im Internet über eine Suchmaschine kann das anders
aussehen... Bibliotheken, vor allen Dingen die öffentlichen, haben
aus Sicht eines Nicht-Bibliothekars den großen Vorteil, daß sie mit
einer gesunden Neutralität an Verwaltung und Verfügbarmachung des
Wissens herangehen (können).

> Ein Urheberrecht im Sinne eines erschienenen Werkes (einer Publikation) kann
> es nur geben, wenn die Informationen in Bibliotheken öffentlich und
> allgemein überprüfbar sind, weil man für ein geheim gehaltenes Dokument
> keine Urheberrechte einfordern kann.

Zwar glaube ich zu verstehen was Sie sagen wollen, jedoch halte ich
obige Aussage für problematisch. Das Urheberrecht geht weit über die
Rechte an Büchern hinaus, und die Frage nach der Publikation hat mit
dem Recht als solchem auch erstmal wenig zu tun. Ebenso können
geheime Unterlagen durchaus urheberrechtlichen Schutz genießen.

Bestes Beispiel: Der Quellcode eines Computerprogrammes ist urheber-
rechtlich geschützt. Dafür muß er nicht offen gelegt werden, und er muß
schon gar nicht über eine öffentliche Bibliothek auffindbar sein.

> Inzwischen führt China XML in seiner Nationalbibliothek ein, während wir
> über die Bedeutung eines solchen Schrittes noch diskutieren.

Dazu eine bösartige These von einem Software-Menschen:

Für die Chinesen ist es gut, XML zu benutzen. Für uns wäre es in der
derzeitigen Situation schädlich.

Background für Technik-Interessierte: XML "zu Fuß" in Software zu
implementieren ist im Prinzip relativ einfach. Das setzt aber relativ
systemnahe Programmierung voraus, eine Tugend, die in unserem Lande
so ganz allmählich verloren geht, weil man sich mit Java, irgendwelchen
fetten XML-Engines etc. auf ein sehr hohes Niveau begeben hat, welches
einerseits mit nicht unerheblichen Software-Kosten einhergeht, anderer-
seits die Probleme nicht wirklich einfacher macht. Daß diese Tools durch
übermäßigen Rechenzeit- und Speicherplatzbedarf allenfalls suboptimale
Lösungen sind merkt niemand mehr, weil wir uns ja hardwaretechnisch mittler-
weile auch im Schlaraffenland bewegen. Und wehe, die superhübsche XML-
Datenbank muß dann wirklich mal 20 Millionen Datensätze durchsuchen und
nach drei Schlüsseln sortieren... Mit anderen Worten formuliert:
Man stellt sich im Moment selbst ein Beinchen durch falsche Herangehens-
weise. Dummerweise ist es aber im Interesse der Industrie, daß die
Kunden auch morgen noch den ein oder anderen Irrweg gehen, weil die
Kunden mit jedem Schritt im Labyrinth Geld ausgeben - egal ob er zum
Ziel führt oder nicht. Und das pikante an der Situation ist, daß die
nachwachsende Programmierergeneration nur noch mit dem hochabstrakten
Luftschloß-Kram zu tun hat und nicht mehr in der Lage ist, Datenver-
arbeitung "unten an der Basis" zu betreiben.

Bei den Chinesen sieht die Situation anders aus: a) haben die relativ
viele Leute, die noch "richtig" programmieren können. b) haben die
keine Hemmungen, mit Raubkopien zu arbeiten. Fazit: China kommt billig
zu einem Ergebnis, was bei uns um Dimensionen teurer bzw. schwerer
zu erreichen wäre.

> Als kurze Bemerkung - es schiene mir auch preiswerter in Deutschland
> Bibliotheken verstärkt mit Rechnern zu versehen,
> anstelle alle Schüler mit Laptops auszustatten.

Das wird man sich flächendeckend sowieso nicht leisten können. Für
eine mittelgroße Stadt von sagen wir mal 150 000 Einwohnern würden
sich die Anschaffungskosten selbst bei sehr günstigen Geräten auf
mindestens 10 Mio Euro belaufen, Abschreibungsdauer 3 Jahre macht
kalkulatorisch 3.3 Mio Euro pro Jahr. Ich weiß nicht wo diese Gelder
herkommen sollen, mehr als punktuierte Feldversuche werden da vorerst
vermutlich nicht drin sein.

Umgekehrt könnte man aber auch mit spitzer Zunge dazu sagen, daß die
4 1/3 Billig-Spezial-Notebooks, die ein Schüler bei "Komplettversorgung"
in seinem Gang durch die Klassen "verbraucht", die Gesamtkosten der
schulischen Ausbildung um weniger als 10 % erhöht würden...

Viele Grüße,
Daniel Rödding



-- 
Daniel Roedding                                       phone: +49 5252 9838 0
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