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Re: Filter-Software



Nochmals Guten Tag,

Harald Müller schrieb am 17 Jun 98, um 12:47 Uhr:

> Genau dies sagt das Gesetz! Der Gesetzgeber war der Meinung,
man
> könne aktiven Jugendschutz durch "technische Vorkehrungen" betreiben. Dazu
> hat er sich sicherlich die Meinung von EDV- und Internetexperten angehört!

Haben Sie bzw. die Rechtskommission diese Vermutung
wirklich ueberprueft? Wenn ja, was war die Antwort?

> Damit
> ist dem Gesetz Genüge getan, und Du, Bibliothek mußt keine Angst haben,
> mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.

Das koennen Sie sicher besser beurteilen als ich, daher
meine Frage: Was, wenn tatsaechlich wie gerade in den
USA (mit hiesigem Recht nicht vergleichbar, zugegeben)
eine Mutter eine oeffentliche Bibliothek verklagt, weil
ihr Sohnemann keine Informationen fuer die Schule,
sondern Pornos *recherchiert* hat? Wenn dies geschieht,
_obwohl_ Filter-Software installiert war und ein findiger
Staatsanwalt (etwa im Inetbib-Archiv) den Hinweis findet,
dass die mangelhafte Funktionalitaet der Software den
Betroffenen bekannt war, ist dann die Bibliothek wirklich
*aus dem Schneider*?

> Diese Gedanken gehen leider am juristischen Problem vorbei. Es ist
> rechtlich vollkommen unerheblich, ob eine gesetzlich vorgeschriebene
> Maßnahme in der Praxis zu 100 Prozent Erfolg hat.

Aber einen hinreichenden Schutz sollte man doch
erwarten koennen. Noch dazu sollte man meinen, dass man
sich durch den Einsatz dieser Loesungen nicht auch
noch anderweitig strafbar macht. Das Beispiel Cybersitter
ist doch ein guter Beleg, dass hier der Zugang zu kritischen
Informationen zensiert werden kann. Das ist uebrigens in den
USA auch schon Thema. Erst neulich hat eine Schuelerin gegen
ihre Schule geklagt, weil die dortige Filter-Software ihr den
Zugang zu Sekten-Informationen verweigerte. Sie sah ihr
Recht auf freie Religionsausuebung eingeschraenkt. Glauben
Sie es oder auch nicht: Aehnliches haben wir auch zu
erwarten.

> Wer ihn nicht anlegt, riskiert ein Bußgeld. Ich möchte die beiden
> Kollegen Bleh und Schaarwaechter fragen, ob sie einem Polizisten entgegnen
> würden, sie legen den Gurt nicht an, weil es trotzdem zu schrecklichen
> Unfallfolgen kommen kann.

Natuerlich nicht, aber das Beispiel neigt zum Hinken
wie es eben in der Natur von Beispielen liegt. Ein
Sicherheitsgurt schuetzt in der Mehrzahl aller Faelle,
manchmal kann es aber auch zu schaedlichen
Wirkungen kommen. Bedauerlich! Filter-Software kann
aber nur geringen Schutz gewaehrleisten. Noch dazu
wird der Sicherheitsgurt durch das Gesetz vorgeschrieben,
die fragliche Software aber nicht. Auch wenn Sie das
behaupten. Die Polizei wird mich daher (zu Recht) auf
den Sicherheitsgurt ansprechen, aber nicht auf die
fehlenden Filter.

> Auch wenn Filtersoftware nicht Alle befriedigt, welche anderen technischen
> Vorkehrungen stehen mir als Bibliothekar den zur Verfügung, um dem vom
> Gesetz geforderten Jugendschutz zu entsprechen? Da schweigen sich die
> Experten bislang aus.

Den sichersten Schutz bietet ein Verfahren, das
man auch aus dem Bereich der Empfaengnisverhuetung
und des Drogenschutzes kennt: Just say no! Das Problem
stellt sich ja vermutlich meist nur in oeffentlichen Bibliotheken
und da gibt es zwei Moeglichkeiten: a.) kein Zugang
fuer Kinder/Jugendliche oder b.) Nutzung nur mit
Betreuer. Es ist mir dabei bewusst, dass diese Vorschlaege
unpopulaer sind und ich selbst wuerde sie ablehnen. Aber
mit solchen Massnahmen - am besten konzertiert umgesetzt -
koennte man auf die fragwuerdigen Folgen des Gesetzes
hinweisen.

Eine andere Moeglichkeit waere es, auf politischer Ebene auf
die Umsetzung der PICS-Plaene zu draengen (Platform for Internet
Content Selection). Schon seit Jahren plaedieren die Politiker
Europas fuer eine Umsetzung des Verfahrens, aber es passiert
nichts. *Lieber Gesetzgeber, hier gibt es ein brauchbares
Verfahren, das Du allerdings selbst umsetzen musst. Also mach
mal!* Was glauben Sie,wie schnell das PICS-Verfahren sich
durchsetzen wuerde, wenn bspw. die EU oder der Bund eine
Zertifizierungsstelle einrichten wuerden? Die Page Impression
heiligt bekanntlich die Mittel und schon bald haetten alle serioesen
Anbieter ihren PICS-Code in ihren HTML-Dateien.

Oder, um auf die Filter zurueckzukommen: Warum reagiert
eine Rechtskommission wie die Ihre nicht _so_ auf das IuKdG:
*Du, lieber Gesetzgeber, schreibst technische Vorkehrungen
vor, dann gib sie uns auch bitte, damit wir nicht unabsichtlich
gegen Dein Gesetz verstossen*.

Es kann doch nicht sein, dass die Juristen und sonstigen
Verantwortlichen hierzulande eine Vorschrift gott- bzw.
obrigkeitsergeben hinnehmen und eine Loesung hinbiegen,
auch wenn sie keinen Sinn macht.

> Und nicht immer gleich auf
> die armen Juristen losschlagen.

Sorry, wenn das schon zu hart war, die Juristen mit
denen ich zu tun habe weisen eine weniger zarte
Besaitung auf. Dabei wollte ich gar nicht schlagen,
sondern fragen und diskutieren.

Verzeihen Sie mir im voraus meine Frage: Auch
wenn man Laie ist, muss man deswegen sein Hirn
abschalten? Es ist doch niemandem geholfen, wenn
Gesetze wie in diesem Fall ohne Praxisbezug durch-
und umgesetzt werden sollen.

Mein Beispiel eines Jugendamtes, das ein Internet-Cafe
schliessen will, entspricht der Realitaet und zeigt, dass
hier begonnen wird, den rechtlichen Rahmen von anderer
Seite auszuschoepfen. Und die Begehrlichkeiten
werden wachsen, denn hier geht es auch um politischen
Einfluss. Schon jetzt beginnen auf nationaler Ebene alle
moeglichen Stellen (BPjS, SPIO, FSM etc.) ihre Positionen
auszubauen. Sollte man da nicht eher versuchen
Interpretationsspielraeume zu suchen und den
Gesetzgeber auf Praxisprobleme hinzuweisen?

Oder sollte man Ihrer Meinung nach Empfehlungen
aussprechen, die nur den Herstellern mangelhafter
Software hilft?

Beste Gruesse und nichts fuer ungut

Wolfgang Bleh


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