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Re: Enteignung der Verlage...



Sehr geehrter Dr. Brintzinger,

ich glaube dass es richtig ist, wenn Juristen ihre Rechtsvorstellung im Grundsatz
evolutionär weiterentwickeln. Insofern ist es naheliegend die Parallele zum Bäcker und
seinem Brot zu ziehen.

Gerade aus dieser evolutionären Denkungsweise heraus muss man aber auch
erkennen, an welchen Stellen deutlich sichtbar wird, wo Information und Wissen keine
Ware wie jede andere ist.

Ein Brot kann nur einmal gegessen werden, eine bestimmte Information ist von
Millionen Menschen gleichzeitig aufnehmbar. Information kann in Redundanz und
informationstheoretisches Rauschen, aber durch Begründung auch in Wissen
umgewandelt werden.

Außerdem lässt sie sich mit Lichtgeschwindigkeit in der gesamten Welt verbreiten.
Die Kosten dafür sind vernachlässigbar, im Vergleich zum Transport von Autos oder
Broten. Um aus Information ein vermarktungsfähiges Produkt zu machen gibt es
geradezu geniale Ideen zur Nutzungsbeschränkung - z.B. sich selbst zerstörende
DVDs.

Bei einem Auto kann A Eigentümer sein und B als Besitzer damit herumfahren.
Bei Information kann A als Urheber Eigentümer sein und bleiben, auch wenn B, C,
D,... gleichzeitig Besitzer bzw. Nutzer sind. Das ist der Sinn einer Publikation, dass alle
Welt Nutznießer sein kann, wenn man sie nicht gezielt daran hindert.

Es scheint mir schon eine gewisse Perversion, dass viele Informationsprodukte so
teuer sind, nur weil die Nutzungsbeschränkung immer aufwendiger wird.

Ich behaupte, dass der Hunger nach Information in dieser Welt ein noch größeres
Übel ist, als der so erschreckende nach Brot, weil die Unterernährung in erster Linie
aus dem Wissensdurst resultiert. Und ich behaupte desweiteren, dass es das Ziel der
Digitalen Bibliothek ist und auch sein muss, dazu beizutragen diesen Hunger zu stillen.

Das ist kein Plädoyer für den Kampf gegen das Verlagswesen oder für Anarchie, aber
durchaus der Aufruf, nicht weiter zu behaupten man vermarkte Information, wenn es
um schlichte Dienstleistung oder wissenschaftliche Arbeit geht, die natürlich bezahlt
werden muss. Und auch dass ist Aufgabe der Bibliotheken, Wissenschaft bezahlbar
zu machen.

Die sog. Wissensgesellschaft handelt und denkt über das Wissen wie so mancher
Großgrundbesitzer des vorletzten Jahrhunderts. Der Kommunismus war bekanntlich
die Folge. Statt dessen sollten wir unser Wirtschafts- und auch unser Rechtssystem
eher auf eine Wissenschaftsgesellschaft einstellen, die von der Arbeit der
Wissensproduktion lebt. Das ist ein gewaltiger Unterschied zur geistigen
Großgrundbesitzmentalität, der wohl zu wenig wahrgenommen wird.

Diese Ökonomie des Geistes, im Sinne von Harnack würde ich als bibliothekarisches
ceterum censeo empfehlen.

MfG

Umstätter

On 31 Jan 2003 at 10:20, Klaus-Rainer Brintzinger wrote:

>
>
> Jörg Schwiemann wrote:
>
> > Korrektur: der Text ist nicht im Auftrag des Vorstandes von subito e.V.
> > entstanden, sondern ist eine private Meinung von Herrn Franken als
> > Direktor der UB Konstanz.
> >
> >
> >>[BEGINN]
> >>Zum Beitrag "Enteignung der Autoren und Verlage?" in der FAZ vom 29.1.03
> >>
> >>Der Beitrag wirft Fragen, auch außerhalb der Diskussion um das Urheber-
> >>recht, auf:
> >>1. Warum müssen aus öffentlichen Mitteln unterhaltene Bibliotheken die
> >>   Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern, die an den Universitäten
> >>   arbeiten, über Verlage für teures Geld zurück kaufen? Diese Wissen-
> >>   schaftler erhalten aus öffentlichen Mitteln ihre Gehälter, ihr Ar-
> >>   beitsumfeld wie Labore, Mitarbeiter usw. Zu ihren Dienstpflichten
> >>   gehört die Forschung und das Publizieren.
>
>
> [...]
>
>
> >>5. Das eigentliche Problem liegt weder im Urheberrecht noch auf tech-
> >>   nischem Gebiet: Es geht um die Zukunft des wissenschaftlichen Publi-
> >>   kationswesens und die Frage, wie künftig der weltweite wissenschaft-
> >>   liche Austausch von Erkenntnissen stattfinden soll. Damit müssen sich
> >>   aber die Wissenschaftler befassen, die mit Blick auf die eigene
> >>   Karriere eigentlich nur ein Interesse haben: Publikation in möglichst
> >>   renommierten Zeitschriften. Für die finanzielle Seite interessieren
> >>   sie sich (bisher) kaum.
> >>[ENDE]
> >
>
> Lieber Herr Franken, liebe Liste,
>
> vielen Dank für Ihre rasche Reaktionen an die FAZ - hoffen wir, dass der
> Leserbrief bald gedruckt wird!
> Eine kurze Anmerkung (zur Diskussion):
> Ihren Punkt 5 möchte ich etwas pointieren:
> Es handelt sich m.E. ausschließlich um ein ökonomisches (und daraus
> resultiernd um ein juristisches) Problem. Die entscheidende Frage ist:
> Wie sind die *Eigentumsrechte* bei wissenschaftlichen Publikationen
> definiert?
> Liegt das Eigentum bei den Urhebern persönlich - dies würde
> grundsätzlich der Privatrechtsordnung unserer Gesellschaft entsprechen -
> oder liegt bei öffentlich finanzierter Forschung eine besondere
> Situation vor?
> Hier müssen wir wie Sie unter 1. ganz offensiv argumentieren: Die
> Eigentumsrechte (=Verwertungsrechte) der Urheber von wissenschaftlichen
> Publikationen müssen weitgehend durch die öffentliche Alimentierung der
> wissenschaftlichen Forschung abgedeckt sein.
> Mit den Informationsbedürfnissen, mit der Zahlungskraft, mit Demokratie
> und sozialer Gleichheit zu argumentieren, nützt uns (=wissenschaftlichen
> Bibliotheken) überhaupt nichts, wenn wir nicht zu einer Art Rotem Kreuz
> des Informationswesen werden wollen. (Hier werden wissenschaftliche und
> öffentliche Bibliotheken in der Tat unterschiedlich argumentieren
> müssen) Kein Bäcker gibt sein Brot kostenlos ab, mit dem Hinweis auf die
> besondere Bedeutung des Brotes für die Ernährung, aber - um im Beispiel
> zu bleiben - wer kostenlosen Weizen bekommt, ist beim Festlegen des
> Brotpreises nicht mehr frei. Dies muss unser bibliothekarisches ceterum
> censeo sein!
>
> Beste Grüße
>
> Klaus-Rainer Brintzinger
>
>
>
>
> --
> ********************************************
> Dr. Klaus-Rainer Brintzinger
> Universitaet Tuebingen, Juristisches Seminar
> Wilhelmstr. 7, 72074 Tuebingen
> Tel. 07071/29-72550, Fax: 07071/29-3304
> ********************************************
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