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Re: Erschliessungstiefe von 116 Mio Buechern?



Lieber Herr Wilhelm,

ich kann Ihnen nur zustimmen. Die inhaltliche Erschließung in den
Bibliothekskatalogen ist unzureichend, obwohl die Ressouren für eine
Verbessurung durchaus vorhanden sind.

Hinzu kommt aber noch etwas Anderes: Die Katalognutzung des Publikums
wird sich immer mehr auf die Webkataloge verlagern. Genügen dafür dann
noch die sparsamen Einträge, deren Maß von der Normkatalogkarte der
alten Papierkataloge bestimmt worden ist? 

Und nicht nur die Webnutzung ist eine alltägliche Kulturtechnik
geworden, auch die Katalognutzung, ja sogar das Katalogisieren selbst
und das Anlegen von eigenen Datenbanken, bis vor 20 Jahren nur in
Bibliotheken, Verwaltungen und anderen Bürokratien üblich, ist  mit der
Verbreitung von Computern in der Privatsphäre eine Alltagstechnik
geworden, wie das Bedienen eines Geschirrspülers oder einer
Waschmaschine. Das bedeutet, das allgemeine Publikum redet mit und
bildet sich eine Meinung auch zu Bibliothekskatalogen, auch aus eigener
Erfahrung - und es stellt Ansprüche!

Die Nutzung des Web hat diese Ansprüche noch einmal erhöht. Das Publikum
erwartet "rich content", wie man es auch sonst gewohnt ist. Die Rohdaten
eines Formalkatalogs genügen da nicht mehr, auch wenn er z.T. mit einem
Normvokabular zur Sacherschließung angreichert ist (die Systematiken
fehlen ja meist in den Webkatalogen, Zusammenhänge sind also nicht
recherchierbar). Über kurz oder lang werden diese Formen von
Bibliothekskatalogen nur noch eine rein logistische Bedeutung haben
(known item search - was ist eindeutig wo vorhanden) - während man sich
inhaltlich anderswo informiert, bzw. informieren muss. Auch das würde
die Bedeutung von Bibliotheken und ihrer Arbeit weiter mindern.

Dabei sind die Ressourcen zur Anreicherung der Kataloge durchaus
vorhanden, wenn man sich nur ansieht, was in vielen Spezialbibliotheken
für die Erschließung einzelner Systematikabschnitte getan wird. Kann man
das nicht koordinieren? Auch Annotationen der Verlage zu den einzelnen
Werken legen vor und können heute technisch einfach und billig kopiert
werden, entsprechende zentrale Vereinbarungen vorausgesetzt.

Grundübel ist die deutsche Kleinstaaterei im Bibliothekswesen
(vielleicht vergleichbar mit dem Eisenbahnwesen um 1871). Angesagt wären
dagegen Koordination und qualifizierte Erweiterung zentraler Dienste
(z.B. ein zentraler TOC-Service). Besonders gefordert wäre hier m.E. die
DB, die schließlich über eine exklusive Verbindung zu den Verlagen
verfügt. Im übrigen alles nicht Neues, wenn man an die alten Debatten
zwischen Dokumentaren und Bibliothekaren in den 60ern und 70ern denkt.
Nur haben sich heute die Möglichkeiten (und Ansprüche) vervielfacht.

Viele Grüße
Peter Delin/Videolektorat
Zentral- und Landesbibliothek Berlin
http://www.zlb.de/index.html   

"C.E.Wilhelm" schrieb:
> 
> At 09:01 16.05.03 +0200, Florian Seiffert wrote:
> 
> > > Eine der Schwachstellen beim OPAC ist, dass der Benutzer zu wenig über den
> > > eigentlichen Inhalt des gefundenen Buches erfährt.
> >Diese Schwachstelle ist kaum zu reparieren. Wir ersticken
> >einfach an der Menge! Ende 2001 meldete die DBS einen Bestand
> >von gut 116 Mio Büchern in Deutschland.
> >Eine Erschließung mit der von Ihnen gewünschten Tiefe ist da
> >personell einfach nicht zu leisten. 90% der Titel in der HBZ-
> >Verbunddatenbank sind nicht verschlagwortet, viele FH-
> >Bibliotheken in NRW beiteiligen sich nicht an der
> >Verschlagwortung, nicht weil die Idee doof ist, sondern weil
> >sie schlicht das Personal nicht haben.
> >Eine Inhaltsbeschreibung für Neuerscheinungen ist schon nicht
> >zu leisten. Auch Die DB liefert nicht bei allen Reihen
> >Schlagworte mit.
> >Herr Eversberg hat völlig recht damit immer wieder auf die
> >Wichtigkeit der Qualität der Daten hinzuweisen. Aber 116 Mio
> >Bücher zu verschlagworten und den Inhalt zu beschreiben ist bis
> >2026 nicht zu erreichen.
> 
> Lieber Herr Seiffert,
> 
> das ist auch gar nicht notwendig. Bei aller Liebe zur großen Zahl: es
> geht nicht um 116 Millionen vorhandene Bücher, sondern um eine mir
> unbekannte Zahl von T i t e l n, die in den deutschen Bibliotheken
> vorhanden sind. (Weiß jemand, wieviele das sind?) Und auch die müßten
> nicht alle beschlagwortet und inhaltlich beschrieben werden. Aber für
> eine entsprechende tiefergehende Erschließung zunächst mal des
> laufenden Neuzugangs wäre im deutschen Bibliothekswesen schon
> Kapazität vorhanden. Das setzt allerdings Kooperation voraus und die
> einfache Möglichkeit zur Nutzung von Vorleistungen anderer. Aber solange
> wir in Deutschland in jedem Verbund und beim nationalen Hauptlieferanten
> bibliographischer Daten individuelle Format- und Regelwerksvarianten haben,
> ist es eben  n i c h t  einfach möglich, Vorleistungen zu nutzen und solange
> wird im Bereich der Formal- und Sacherschließung Doppel-, Dreifach-, ja
> xfach-Arbeit geleistet. Die Nutzung ausländischer Fremddaten für die
> Formalerschließung ist in den Verbünden längst üblich (und nicht das
> Problem, zu dem es in anderem Zusammenhang hochstilisiert wird) - aber
> für die Nutzung einheimischer Fremddaten wären erst einmal die
> Verbundgrenzen zu überwinden.
> 
> Am Rande: wenn die Beschlagwortungsquote im HBZ-Verbund so niedrig
> ist, könnte Ihnen vielleicht der BVB helfen. Da ist ein gutes Drittel der
> Bestände beschlagwortet und dem Südwestverbund konnten wir mit
> unseren Schlagwortdaten schon nützlich sein. Das war zwar nicht ganz
> unkompliziert wg. Verbundgrenze, s.o. :---)))) - aber wenn wir demnächst
> beide dasselbe Verbundsystem haben, ließe sich da ja vielleicht etwas
> machen?
> 
> Mit freundlichen Grüßen
> 
> C.E.Wilhelm
> 
> ------------------------------------------------
> Carl E. Wilhelm
> 
> Bibliotheksverbund Bayern
> Kommission für Erschliessung
> Arbeitsgruppe Formalerschliessung
> 
> Universitaetsbibliothek Augsburg
> Formalerschliessung
> D 86135 Augsburg
> 
> Tel. +49 821 598-5332
> Fax +49 821 598-5354
> ------------------------------------------------


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