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Pruefungsarbeiten (Diplomarbeiten usw.) (war: Gelesen? "Milliardengrab Uni-bibliothek")



Das Thema der Pruefungsarbeiten (Magisterarbeiten, Diplomarbeiten,
Staatsexamensarbeiten usw.) ist hier ein Dauerbrenner und ich habe kein
einziges Mal, seit ich 1997 dieser Liste beigetreten bin, der Versuchung
widerstehen koennen, meinen Senf dazuzugeben. Seit ich 1989 eine
umfangreiche Ausarbeitung "Zur archivischen Problematik von
Pruefungsunterlagen" erstellt habe, die online sowohl unter

http://www.uni-koblenz.de/~graf/pruef.rtf

als auch unter

http://www.diplomica.com/graf_aufsatz_pruefungsunterlagen.pdf

nachgelesen werden kann, hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen.
Die immer wieder geaeusserten Falschaussagen oder Halbwahrheiten (auch
aktuell wieder in reichem Mass vertreten), belegen, dass wirklich
kompetente Leute einen grossen Bogen um dieses Thema machen ;-) Es
existiert nach wie vor keine wirklich hilfreiche bibliothekskundliche
(meinetwegen auch, zu so spaeter Stunde will man Professoren gern
entgegenkommen: -wissenschaftliche) Sekundaerliteratur zu diesem Genre
"grauer Literatur". Nach wie vor kultivieren einflussreiche
Universitaetsbibliotheken eine auf keinerlei empirische Untersuchung
gegruendete Ignoranz und Abwehrhaltung gegenueber diesen Arbeiten, die
mir durch nichts gerechtfertigt scheint.

Das "Milliardengrab" ist natuerlich eine sehr grobschlaechtige
Formulierung, aber losgeloest von der wirtschaftlichen Verwertbarkeit
moechte ich auch fuer die Geisteswissenschaften die These aufstellen,
dass hier in immensem Masse wissenschaftliche Substanz brach liegt - und
zwar durch Inkompetenz und Ignoranz, hoeflicher formuliert: Unwissenheit
und Unsicherheit, auf Seiten aller Beteiligten (Hochschulverwaltungen,
Dekanate, Institute, Seminar- und andere Bibliotheken,
Fachgesellschaften, Archive).

Vor allem zwei Faktoren sind unheilvoll:

1. die Geringschaetzung der Qualitaet der Arbeiten (verbunden mit dem
Argument: "wirklich wichtige Ergebnisse werden auch gedruckt")

2. die Angst vor urheberrechtlichen oder datenschutzrechtlichen
Konsequenzen.

Hinzu kommt eine ausgepraegte Unkenntnis der Rechtslage, die ich
notwendigerweise verkuerzt wie folgt umreissen moechte:

- Die Arbeiten sind aus urheberrechtlicher Sicht einzig und allein das
geistige Eigentum des Kandidaten (/in)

- Er bedarf keiner Erlaubnis durch Pruefungsamt oder Fachbereich, um sie
veroeffentlichen zu duerfen. Anderslautende Vorschriften sind nichtig.

- Ob eine Hochschulsatzung die Befugnis hat, eine Einstellung der Arbeit
in eine oeffentlich zugaengliche Bibliothek (dies entspricht
urheberrechtlich einer Veroeffentlichung!) anzuordnen, ist umstritten.
Bestreitet man dies, so wird man auch fuer die Vorschriften der
Habilitationsordnungen keine entsprechende RECHTLICHE Rechtfertigung
ausmachen koennen.

Ist den Kandidaten bekannt, dass die Arbeiten gewoehnlich in die
Bibliothek eingestellt werden und wenden sie sich nicht ausdruecklich
gegen eine solche Einstellung, ist bei allen unklaren "Altfaellen" von
einer konkludent erteilten Erlaubnis des Kandidaten auszugehen.

In der konkreten Praxis ist sicherzustellen, dass die Kandidaten die
Einwilligung erteilen, die Arbeit einzustellen (bzw. idealerweise auf
dem Uni-Server zu veroeffentlichen). Es ist sinnvoll, diese wie andere
Arbeiten der Forschung (und nicht nur einem eingegrenzten Benutzerkreis)
zugaenglich zu machen: Kopiererlaubnis, Fernleihe.

NICHT sinnvoll ist es, die Arbeiten zu sekretieren und nur im Einzelfall
bei Zustimmung des Kandidaten herauszugeben. Dies fuehrt dazu, dass die
Arbeiten ueber kurz oder lang unzugaenglich sind, da es kaum mehr
moeglich ist, nach einer laengeren Zeit die Anschriften des Kandidaten
ausfindig zu machen (Datenschutz!). Ebenso wie bei der
Nachlassuebernahme aus guten Gruenden gefordert wird, dass eine klare
Fristenregelung bei Sperrvermerken getroffen wird, weil es nicht Sinn
von Bibliotheken und Archiven sein kann, Depots fuer dauerhaft
gesperrtes Schriftgut zu sein, ist auch hier ggf. eine eindeutige
Sperrfrist zu vereinbaren (was inbesondere bei Weiterverfolgung der
Arbeit als Dissertation ratsam sein kann). Ewig unzugaengliches
Schriftgut laeuft Gefahr, von eifrigen Bibliothekaren weggeworfen zu
werden:

http://homepages.uni-tuebingen.de/juergen.plieninger/982s31.htm

Damit werden wichtige Quellen vernichtet (natuerlich neben Arbeiten, auf
die man ganz gerne verzichten wuerde).

Bei dem Zitat solcher Arbeiten stoert mich immer wieder, dass sie als
"unveroeffentlicht" bezeichnet werden, auch wenn sie eingesehen werden
koennen (z.B. in einem Archiv, wohin sie als Belegexemplar gelangt
sind). Sie sind damit im urheberrechtlichen Sinne veroeffentlicht.
Korrekt waere: ungedruckt.

Nun waere es sicher sinnvoll, einige Diskussionsstraenge aus INETBIB mit
Links anzugeben, in denen wichtige oder weiterfuehrende Hinweise gegeben
wurden (und auch ich meine Ansichten immer wieder dargelegt habe). Aber
derzeit funktioniert das Listenarchiv leider nicht!

Ich nenne der Einfachheit halber nur die Betreffe meiner eigenen
INETBIB-Beitraege - ohne damit suggerieren zu wollen, nur dort sei Honig
zu saugen:

Elektronische Pruefungsarbeiten (Klaus Graf , 08/16/97)
Re: Elektronische Examensarbeiten (Klaus Graf , 08/20/97)
Re: Antwort Diplom-/Magisterarbeiten - Aufstellung (Klaus Graf ,
05/03/99)
Magisterarbeiten (Klaus Graf , 03/04/00)
Re: Magister-, Diplom- und Lehramts-Zulassungsarbeiten (Klaus Graf ,
03/21/01)
Re: Rechte an Diplomarbeiten (Klaus Graf , 04/04/01)
Re: Archivierung von Pruefungsarbeiten (Klaus Graf , 05/15/01)
Zugaenglichkeit von Magisterarbeiten (Klaus Graf , 07/25/01)
Re: Diplomarbeiten im Web (Klaus Graf , 07/27/01

Aus anderen Listen mit Listenarchiv:
Diplomarbeitenbörse
http://www.uni-bayreuth.de/departments/aedph/2000/0167.html

Abschliessend dokumentiere ich noch einen ergebnislosen Vorstoss bei der
Deutschen Gesellschaft fuer Volkskunde. Aus dem Antwortmail der
Vorsitzenden:

"Im übrigen regeln die
Magisterprüfungsordnungen ob und in welchem Umfang Magisterarbeiten
zugänglich
sind. In Kiel müssen sie veröffentlicht werden und landen alle in der
UB, in
Freiburg durften sie gar nicht veröffentlicht werden. Darauf hat die VK
keinen
Einfluss, ebenso wie andere Fächer auch nicht."

Mein Appell lautete:

"[vk] Magisterarbeiten (Klaus Graf , 07/27/01 22:54)
To: Volkskunde-Liste <volkskunde _at__ rzaix52.rrz.uni-hamburg.de>

Nach freundlicher Mitteilung ist die von der DGV gefuehrte Liste
angemeldeter und abgeschlossener Magisterarbeiten, Dissertationen und
Habilitationen weitgehend vollstaendig. Eine Datenbank sei fuer die
Website in Planung.

Ich moechte auf diesem Wege einen Aufruf an die DGV richten:

Sorgen Sie bitte dafuer, dass die deutschen volkskundlichen
Magisterarbeiten der wissenschaftlichen Forschung zur Verfuegung stehen.
Es wird in der Regel viel Zeit und Engagement in diese Arbeiten
investiert, aber diese sind oft allenfalls lokal zugaenglich, jedes
Institut hat seine eigenen Regelungen. Nur ein sehr kleiner Teil der
Arbeiten gelangt ueber den Druck zur Kenntnis der Fachoeffentlichkeit,
die meisten werden nicht zu Dissertationn ausgebaut.

Setzen Sie sich bitte dafuer ein, dass folgende Vorschlaege realisiert
werden.

1. Es ist von jedem/jeder Kandidaten/in eine Einwilligung zu erbitten,
dass die Arbeit in einem Exemplar in die Institutsbibliothek eingestellt
werden kann und dort allgemein zugaenglich ist. Eine Sperrfrist kann in
Ausnahmefaellen vereinbart werden.

2. Eingestellte Arbeiten sind unbuerokratisch der bibliothekarischen
Fernleihe zur Verfuegung zu stellen (zu Sicherheitszwecken sollte eine
Gesamtkopie angefertigt werden).

3. Das Inhaltsverzeichnis oder eine Zusammenfassung jeder Arbeit sollte
im Internet, am besten in der zentralen Datenbank der DGV zugaenglich
sein.

4. Den Kandidaten sollte die Moeglichkeit eingeraeumt werden, ihre
Arbeiten im Internet zu veroeffentlichen, wobei die Seiten des
Instituts, aber auch der jeweilige universitaere
Hochschulschriftenserver in Betracht kommen. Bei
Hochschulschriftenservern, die nur Dissertationen aufnehmen, ist auf
eine diesbezuegliche Oeffnung hinzuwirken.

5. Alle Hochschullehrer/innen sollten in einem Abschlussgespraech die
Frage einer Publikation (auch in gedruckter/gekuerzter Form) mit dem
Kandidaten eroertern."

Soweit, so lang. Ob das digitale Zeitalter wirklich Verbesserungen
bringen wird? Oder wird nicht eher die Kommerzialisierung zunehmen,
beobachtbar nicht nur an kommerziellen Diplomarbeitsboersen, sondern
auch an dem DFG-Projekt (!!) magi-e, das in Kooperation mit einem Verlag
einige wenige historische Spitzenarbeiten vermarktet (und nicht frei im
WWW zugaenglich macht!), wobei der Kandidat netterweise noch einen
Druckkostenzuschuss berappen darf. Da ist es verstaendlich, wenn die
bisherige Produktion quantitativ nicht ins Gewicht faellt. Das
Massenproblem wird so erst gar nicht in den Blick genommen, was ich
bedenklich finde.

Und die Hochschulschriftenserver: Schon die Dissertationen troepfeln da
ja nur. Ob auch da bald das knallharte Geschaeft der Kassel University
Press & Konsorten Einzug haelt?

Naja, warten wirs ab.

Klaus Graf
http://www.uni-koblenz.de/~graf


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.