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[InetBib] Prüfungsarbeiten in Bibliotheken?!



Liebe Frau Kustos, liebe Liste,

auch Dissertationen sind Prüfungsleistungen. Sie unterliegen dem Prüfungsrecht 
der Hochschule, das eine Veröffentlichung zwingend vorschreibt. So gesehen ist 
der Hinweis, Diplom- und Masterarbeiten seien Prüfungsarbeiten, wenig hilfreich.

Ich will einmal grunsätzlich werden:

Die ganze Diskussion, die hier immer wieder in der Liste geführt wird, hat zwei 
Gründe, einen faktischen und einen politischen.

1. Der faktische Grund ist ein zweifacher. 

1.1 Zum einen werden Auskunftsbibliothekare und Fernleihmitarbeiter immer 
wieder mit Anforderungen nach Prüfungsarbeiten unterhalb der Promotion 
konfroniert. Es gibt hier ein faktisches Informationsbedürfnis, das an die 
Bibliotheken herangetragen wird.

1.2 Zum anderen finden sich aus verschiedenen, meist irgendwie gewachsenen 
Gründen heraus in Bibliotheken mehr oder weniger große Bestände von 
Prüfungsarbeiten, die im Katalog verzeichnet sind und zur Benutzung 
bereitgestellt werden, obwohl sie streng genommen gar nicht "publiziert" sind. 
Über die rechtlichen Probleme hierbei wurde in der Liste schon lang und breit 
diskutiert.

Die zwei faktischen Gründe bringen das Thema Prüfungsabreiten immer wieder ans 
Licht und zwingen die Bibliothek zu Reaktionen. Da die Rechtslage hier etwas 
kompliziert ist, gibt es hier wenig Routine und damit überdurchschnittlichen 
Verwaltungsaufwand in der Bibliothek. 

2. Daraus folgt der zweite, der politische Grund, warum wir uns mit 
Prüfungsarbeiten beschäftigen sollen. Er hat wiederum zwei Aspekte

2.1 Es wäre für die Bibliotheken sehr angenehm, wenn das Prüfungsrecht der 
eigenen Hochschule die Publikation von Prüfungsarbeiten regeln würde. Dann wäre 
die Bibliotheksarbeit erleichtert. Auch wäre dies ein Feld, auf dem sich die 
Bibliothek als zentrale Einrichtung der Hochschule gut positionieren kann. Es 
ist daher eine bibliothekspolitische Forderung, Prüfungsarbeiten zu publizieren 
und zu erschließen.

2.2 Schließlich reden wir hier über wissenschaftliche Arbeiten. Diskussion und 
Kritik sind konstitutiv für Wissenschaft. Beides ist nur möglich, wenn 
Ergbenisse publiziert sind. Wer sich mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit 
im System Wissenschaft bewegt, ist gehalten, seine Ergebnisse zu publizieren. 
Es ist schlicht widersinnig, Prüfungsleistungen, die einen wissenschaftlichen 
Ausbildungsstand dokumentieren sollen, nicht zu veröffentlichen. Erst die 
Publikation unterscheidet Wissenschaft von Schule oder rein 
erwerbswirtschaftlich orientiertem Arbeiten. In diesem Sinne ist auch die 
Kritik von Herrn Graf zu sehen, der aus der Wissenschaft kommt und völlig zu 
Recht weitgehende Publizität wissenschaftlicher Ergebnisse anmahnt. Ob diese 
schon auf dem BA-Niveau beginnen sollen, darüber kann man streiten. Eine 
sinnvolle wissenschafspolitische Forderung ist es allemal. Es dient überdies 
der Qualitätssicherung. Das ist ganz gewiß auch ein Grund, warum die 
Publikation derartiger Arbeiten auch und gerade von Seiten der Professoren 
kritisch gesehen wird.

Langer Rede kurzer Sinn: Das Thema Prüfungsarbeiten unterhalb von 
Dissertationen ist für Bibliotheken aus rein tatsächlichen Gründen relevant. 
Sofern sich Bibliotheken als Akteure im Wissenschaftssystem verstehen, sollten 
sie hier auch Partei ergreifen und politische Forderungen formulieren. Eine 
Bibliothek freilich, die nur Buchverwahranstalt ist, kann sich mit dem 
bescheiden, was ihr vorgelegt wird, ohne danach zu fragen, ob das nun sinnvoll 
ist oder nicht. Ich denke, das ist nicht der Ansatz der meisten Kolleginnen und 
Kollegen, die ihre Kompetenz als Informationsspezialisten durchaus auch 
politisch verstehen wollen und den Anspruch haben, das Informationsangebot und 
das Publikationswesen an ihrer Hochschule zu verbessern und zu gestalten.

Viele Grüße aus Thüringen
Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de



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