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Re: [InetBib]Urheberrechtsentwurf §52b und Verlage - Veränderungen bitte statt Debatten



Dass Bibliotheken den "content nicht bloß verzeichnen, sondern auch
verbreiten" sollen, ist per definitionem richtig.
Es vernachlässigt aber die Vielschichtigkeit des Problems.
1. Frage: Wer sind hier die Bibliotheken? (Herr Steinhauer hat schon auf UBs
eingeschränkt)
a. Die Deutsche Bibliothek ist in gewisser Hinsicht ein Produkt des
deutschen Verlagswesens,
    weil sie ja gerade die Urheberrechte dieser Verlage zu sichern hat.
b. Die UBs arbeiten längst mit den vormals Rechenzentren genannten
Einrichtungen und den anderen
    Interessierten der Universitäten zusammen.
    Sie agieren als Medienzentren, IuK-Zentren, als Verlage, als
Digitalisierungseinrichtungen, als Document
    Server etc.
c. Viele Spezialbibliotheken haben in ihren Betrieben,
Forschungseinrichtungen etc. schon immer die Funktion
    eines aktiven Dokumentations- und Kommunikationszentrums übernommen.
    Je nach Bedingungen und Persönlichkeiten hatten einige sehr großen
Erfolg dabei, andere weniger.
d. Auch viele Öffentliche Bibliotheken haben höchst innovative Projekte
entwicklet um sich in vielfältiger
    Weise zu präsentieren.
    Andere kämpfen einfach nur um ihre Existenz oder auch nur um eine
einzige Personalstelle, einen PC, etc.
Man sollte also deren Kämpfe und Erfolge auf allen Ebenen nicht infrage
stellen, indem man sie indirekt ignoriert.

2. Frage: Wer sind hier die Verlage?
Die großen unangefochtenen, die vom internationalen Copyright so geschützt
sind,
dass sie machen können was sie wollen?
Die mittleren, die sich im permanenten Kampf nach oben befinden oder
unterzugehen drohen?
Die zigtausend kleinen (der sog. long tail) die ihre Produkte ganz oder
teilweise verschenken müssen,
weil die großen finanziell alles abräumen.

Wichtig ist hier anzumerken: Auch wissenschaftliche Verlage werden nicht
nach Qualität oder Leistung bezahlt,
sondern lediglich danach, wie weit sie es erzwingen können, dass man ihre
Produkte kaufen muss,
und diese Tricks sind bekannt.
(Informationen deren Text man im Original gelesen haben muss,
Aussagen - gleichgültig ob sie richtig oder falsch sind - die zur
allgemeinen Diskussion zwingen;
Erhöhung des impact factors; ...) (s. Inf.. Wis. Praxis 75 (2) 113-118
(2006)

Das entscheidende am sog. power law (auch Potenzgesetz genannt),
also dem Gesetz, das das Verhältnis von Arm und Reich (Pareto) so drastisch
deutlich macht, ist ja,
dass es sich selbst reproduziert, und damit einen Matthäuseffekt beinhaltet,
der sich als treibende Kraft aus dem Copyright ergibt.
Diese Potenz kann man vermindern und damit sozialer oder bei Erhöhung auch
weniger
sozial gestalten. Es geht hier also um das rechtlich abgesicherte digital
divide.

Darum haben wir doch die Diskussion um OAI, um Open Access, um fair use, um
Konsortien u.v.a.,
weil das Urheberrecht bzw. die copyrights, entgegen all diesen Bemühungen,
die großen Verlage so mächtig gemacht hat. Seit der Regierungszeit von
Clinton (etwa ab1995)
werden im Verlagswesen Milliardenbeträge verschoben, um die Rechte an
Publikationen zu konzentrieren.
Das konnte erst geschehn, als die Verlage sicher waren, dass sich dieses
Investment auch lohnt.

Die Aussage: "Die Bibliotheken bekommen ein Handelsgut in die Hand:
Sind also nicht mehr Kunden sondern Händler und Player." (Cazan)
wirft erstens die Frage auf, wie definieren wir dann eine Bibliothek,
und wie lang existieren dann noch "Bibliotheken"?
Zweitens müssen sie sich erst über den long tail des power law hoch arbeiten
zur unangreifbaren Spitze der Großverlage.
Wenn sie die erreicht haben, werden die Steuerzahler fragen, warum
Bibliotheken Geld verlangen,
wenn sie viel mehr verdienen und selbst steuern zahlen könnten.
Darum geht es ja weltweit auch in Richtung GATS (General Agreement of Trade
and Services).

Dass Bibliotheken aus Steuergelderen heraus zu Großverlagen werden,
sehen die bereits exisiteirenden Großverlage berechtigterweise nicht als
fairen Wettbewerb.

Die Aussage: "Die Copyright-Diskussion wird sich wesentlich entkrampfen."
(Cazan)
ist leider falsch. Sie hat sich ja gerade dadurch verkrampft,
dass dieser Gegendruck der Bibliotheken schon seit Jahrzehnten wächst.
Er begann ursprünglich in den späten siebziger Jahren, als die ersten
Bibliotheken Excerpta Medica (Elsevier)
in der gedruckten Version abzubestellen überlegten,
und ihre Endnutzer mit online-Recherchen sozusagen tailer maid versorgten
(Nachrichten für Dokumentation 31 (4/5) S.172-176 (1980)).

Damit wechselte man zunehmend von der passiven, zu dem was man aktive
Dokumentation nannte.

MfG

W. Umstätter

P.S. Herrn Haag (Ulm) kann man, wenn man genauer hinschaut, daher nur
zustimmen.
Schuster bleib bei deinem Leisten - auch wenn der heute von Robotern bedient
wird ;-)


----- Original Message -----
From: "Eric Steinhauer" <eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
To: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Wednesday, March 15, 2006 8:39 AM
Subject: Re: [InetBib]Urheberrechtsentwurf §52b und Verlage - Veränderungen
bitte statt Debatten


Lieber Herr Cazan,

ich stimme Ihnen voll und ganz zu!

Die Bibliotheken an den Hochschulen sollen den dort erzeugten content
nicht bloß verzeichnen, sondern auch verbreiten. Der wirksamste Weg scheint
mir über die Prüfungsarbeiten, vor allem die Promotionen zu führen. Hier
kann die Hochschule die Bedingungen des Publizierens in ihren
Prüfungsordnungen weitgehend diktieren. Wenn neben einer elektronischen
Fassung immer auch eine gedruckte Lesefassung, am besten im hochschuleigenen
Verlag, angeboten wird, dann können wir uns von einem entbehrlichen Teil des
Verlagswesens frei machen, nämlich von den "Dissertationsverlagen". Im
Kontext der heutigen Informationsinfrastruktur sind sie ein Anachronismus,
der sich einzig und allein wegen der noch gegebenen größeren Sichtbarkeit
der Publikation bei den besseren Dissertationen halten kann. Für die
durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen Arbeiten sind herkömmliche
Verlagsprodukte nur noch überteuert, ärgerlich und gehören abgeschafft.

Hier müssen wir in den Bibliotheken einfach handeln und zwar nach zwei
Seiten:

1. Bereitstellen der nötigen Informationsinfrastruktur durch einen
nachhaltigen Hochschulserver einerseits und einen darauf aufsetzenden
Hochschulverlag andererseits.

2. Durch Anregen und Hinwirken von Veränderungen im hochschuleigenen
Satzungsrecht durch Einführung eines elektronischen Pflichtexemplars.

Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de





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