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[InetBib] Zur Rechtsnatur von wikipedia



In ZUM, Heft 4/2006, S. 274-283 ist der Aufsatz ?Rechtliche Verantwortung für 
Wikipedia ? Der Streit um 'Tron' war erst der Anfang? von Ingo Strauß, 
Rechtsanwalt aus Köln, zu lesen.

Strauß erörtert in seinem Beitrag, was Wikipedia eigentlich im Rechtssinn ist 
und wer für Einträge dort haftet. Ausgangspunkt ist der gerichtlich 
ausgefochtene Streit der Eltern des bekannten Computer-Hackers Tron, die sich 
gegen die Nennung von Trons bürgerlichem Namen bei Wikipedia gewehrt haben. 
Erfolglos. Zu Recht, wie Strauß kurz darlegt.

Nach dieser Einleitung nimmt Strauß eine rechtliche Einordnung vonWwikipedia 
vor. Er qualifiziert die Internetenzyklopädie als Mediendienst im Sinn von § 2 
Abs. 2 Nr. 2 Mediendienstestaatsvertrag (MDStV). Die Eigenschaft als Rundfunk 
lehnt er ab, da Wikipedia kein Darbietungscharakter zukommt. Auch einen 
Teledienst verneint er, wenngleich er eine entsprechende Einordnung für 
vertretbar hält. Wegen der fehlenden redaktionellen Bearbeitung und dem 
Schwerpunkt im Bereich der Information und nicht der Meinungsbildung ist die 
Einordnung als Teledienst m.E. vorzugswürdig. Diese Frage kann aber auf sich 
beruhen, da die haftungsrechtlichen Folgen gleich sind.

Wikipedia ist also ein Mediendienst. Strauß erörtert noch, inwieweit sich die 
Nutzer bzw. Autoren von Wikipedia und auch Wikipedia selbst auf Grundrecht 
berufen können. Für die Nutzer nimmt er Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 
GG an, für Wikipedia die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, die auch 
auf Mediendienste erstreckt werden kann. Dem ist im Ergebnis sicher 
zuzustimmen. 

Unverständlich ist allerdings, warum das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit 
nicht erwähnt wird. Für seriöse Information ist dies sicher einschlägig. Auch 
hätte man noch die Presse- und die Informationsfreiheit erörtern können. Mit 
Meinungs- und Rundfunkfreiheit jedenfalls ist die Grundrechtsrelevanz von 
Wikipedia nur unvollständig abgebildet.

Die Frage ist nun, wie die Haftung für bei Wikipedia eingestellte Inhalte 
aussieht. Natürlich ist der Autor verantwortlich. Der ist aber oft anonym, so 
daß sich die Frage einer Haftung von Wikipedia selbst stellt. Hier sind die 
Regelungen im MDStV zu beachten. Nach § 6 MDStV haftet Wikipedia für eigene 
oder auch zu eigen gemachte Inhalte. Strauß verneint diese Norm. Die bei 
Wikipedia eingestellten Artikel sind fremder Inhalt. 

Danach kann Wikidpedia nur als Host-Provider nach §§ 7 ff. MDStV haften. 
Einschlägig wäre § 9 MDStV. Hier kann es nur dann zu einer Haftung kommen, wenn 
der Provider von Tatsachen Kenntnis erlangt, aus denen die Rechtswidrigkeit der 
Inhalte offensichtlich ist. Strauß sieht hier vor dem Hintergrund der offenen 
Struktur von Wikipedia kaum einen Ansatz für eine Haftung. Abschließend 
diskutiert er noch, inwieweit eine Störerhaftung von Wikidpedia in Betracht 
kommt. Dabei geht es um die Entfernung zweifelhafter Inhalte. Mit Blick auf die 
Grundrechtsbedeutung von Wikidpedia nimmt Strauß hier ebenfalls eine geringe 
Haftungswahrscheinlichkeit an: Angesichts der Bedeutung von Wikipedia müssen 
gewichtige Gründe für einen Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch vorliegen.

Insgesamt ein interessanter Aufsatz. Die Relevanz der angesprochenen 
Rechtsfragen wird sicher noch zunehmen. 

Man kann aber bezweifeln, ob die Frage nach einer Haftung von Wikipedia als 
Anbieter richtig gestellt ist. Angesichts des Umfangs und der vollkommen 
offenen Struktur von Wikipedia, tritt der Träger stark in den Hintergrund. Man 
kann Wikipedia gewissermaßen als ?Netz im Netz? ansehen, das allerdings für 
seine Inhalte formale Vorgaben macht, sie strukturiert und einer bestimmten 
Lizenz unterstellt. Eine Haftung von Wikipedia ist vor diesem Hintergrund 
vielleicht mit einer (zu verneinenden) Haftung von google für den Inhalt von 
Suchmaschinenergebnissen vergleichbar. Wikipedia ist vielleicht weniger ein 
Anbieter, denn eine Suchmaschine in einem definierten Contentbereich. Das kann 
hier nicht entschieden werden. Die Fragen zeigen aber, daß die aufgeworfene 
Problematik sicher mit Gewinn weiter vertieft werden kann.

Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de



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