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Re: [InetBib] Bibliotheken als Dienstleister im Publikationsprozess



On Fri, 05 Jan 2007 17:22:58 +0100
 Pierre Keller - BCU Lausanne <Pierre.Keller@xxxxxxxxxxx>
wrote:
Guten Tag allerseits - und frohes neues Jahr !

Le 05.01.2007 17:10, Klaus Graf a écrit :

Im uebrigen ist die Arbeit natuerlich Pflichtlektuere
fuer
"Open Access"-Anhaenger, wenngleich der Autor meine
eigenen
Ausfuehrungen (z.B. zu den rechtlichen
Rahmenbedingungen,
S.  47) ignoriert hat.

Das ist natürlich fatal.

Ist es auch, weil es um die Sache geht und nicht um
Autoreneitelkeit. Bei den rechtlichen Rahmenbedingungen ist
vor allem der § 38 des deutschen Urheberrechtsgesetzes
relevant, dessen Absatz 1 folgenden Wortlaut hat:

"Gestattet der Urheber die Aufnahme des Werkes in eine
periodisch erscheinende Sammlung, so erwirbt der Verleger
oder Herausgeber im Zweifel ein ausschließliches
Nutzungsrecht zur Vervielfältigung und Verbreitung. Jedoch
darf der Urheber das Werk nach Ablauf eines Jahres seit
Erscheinen anderweit vervielfältigen und verbreiten, wenn
nichts anderes vereinbart ist."

Meine Position dazu findet sich unter:
http://archiv.twoday.net/stories/2962609/ und bereits seit
Januar 2004 unter
http://www.uni-tuebingen.de/fb-neuphil/epub/graf/urheberrecht_autoren_graf.html

Kritik daran haben geuebt Heckmann/Weber in GRUR Int. 2006,
S. 995 ff., den Aufsatz hat zusammengefasst Steinhauer in
"Bibliotheksrecht":
http://bibliotheksrecht.blog.de/2006/12/13/open_access_im_geltenden_und_kunftigen_u~1433054

Zitat Heckmann/Weber:

"Zwar erlaubt § 38 Abs. 1 Satz 2 UrhG dem Autor,
Nachdrucke seines in einer periodisch erscheinenden
Sammlung publizierten Beitrags nach Ablauf
eines Jahres anzufertigen, allerdings kann die
Anwendbarkeit dieser Norm vertraglich abbedungen
werden. Es liegt auf der Hand, dass diese Möglichkeit von
den meisten Verlagen genutzt wird, zumal
der Autor sich diesem Begehren aufgrund der besonderen
Marktmacht der Verlage kaum verweigern
kann. Zudem bleibt der Rechteerhalt des Autors auf die
Vervielfältigung und die körperliche
Verbreitung des Werkes beschränkt - ein Recht zur
öffentlichen Zugänglichmachung ergibt sich hieraus
gerade nicht 7. Ergänzend sei zudem darauf hingewiesen,
dass § 38 Abs. 1 Satz 1 UrhG nicht als
negative Auslegungsregel missverstanden werden darf, dass
dem Verlag im Zweifel nur das
Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht, nicht aber das
Recht der öffentlichen Zugänglichmachung
eingeräumt wird 8. § 38 UrhG ist zwar im Verhältnis zur
Zweckübertragungsregel nach § 31 Abs. 5
UrhG die speziellere Regel, allerdings nur soweit sein
Anwendungsbereich reicht. Für das Recht der
öffentlichen Zugänglichmachung bleibt es damit bei der
allgemeinen Zweckübertragungsregel 9."

Dazu moechte ich feststellen:

Es ist eine voellig unbewiesene Behauptung, dass die
meisten Verlage bei Zeitschriftenaufsaetzen eine
vertragliche Regelung treffen. Nach meinen Erfahrungen im
geisteswissenschaftlichen Bereich kann davon nicht die Rede
sein.

Meines Erachtens genuegt es nicht, einen Rechtevorbehalt
ins Impressum der Zeitschrift zu drucken, die
Vertragsbestimmung (AGB) muss wirksam einbezogen werden,
dem Autor also klar sein, dass er den Vertrag zu diesen
Bedingungen schliesst.

Anm. 8 bezieht sich auf meine Internetpublikation auf dem
Tuebinger Server (s.o.). Ich halte meine Auffassung
aufrecht, dass ein Autor, wenn keine vertragliche
Vereinbarung mit dem Verlag besteht, berechtigt ist, seinen
Aufsatz ohne Zustimmung des Verlags online zugaenglich zu
machen. Bis zum Bekanntwerden des ersten entgegenstehenden
Gerichtsurteils empfehle ich allen Autoren, die Jahresfrist
des § 38 UrhG hinsichtlich von Online-Publikationen zu
ignorieren.

Fuer die Online-Publikation ist das Recht der oeffentlichen
Zugaenglichmachung relevant, das der oeffentlichen
Wiedergabe zugewiesen ist. Wer bisher einem Verleger einen
Aufsatz schickte, war nicht daran gehindert, unmittelbar
nach Erscheinen es als Buehnenstueck aufzufuehren (was
zugegebenermaßen eher selten vorgekommen sein duerfte). Die
oeffentliche Auffuehrung ist ein Fall der "oeffentlichen
Wiedergabe" und diese wird im Zweifel in dem einen Jahr des
ausschliesslichen Nutzungsrechts nun einmal nicht vom
Verleger erworben.

Aus dem Gesetz ergibt sich eindeutig, dass der Verlag im
Zweifel kein ausschliessliches Nutzungsrecht hinsichtlich
der unkoerperlichen Verbreitung (Online-Nutzung) erwirbt.
 Da es insoweit bei der allgemeinen Zweckuebertragungsregel
(im Zweifel fuer den Urheber, § 31 Abs. 5 UrhG) bleibt,
      verbleiben die Rechte gemaess dem Vertragszweck so
weit wie moeglich beim Urheber. Wer einen Artikel zum Druck
in einer Fachzeitschrift einreicht, erteilt damit nicht
zugleich die Erlaubnis, dass der Verlag ihn auch online
nutzen darf. Nach der Zweckuebertragungsregel reicht es
aus, wenn der Verlag ein einfaches Nutzungsrecht fuer die
Online-Nutzung erhaelt, es ist nach dem Vertragszweck (der
Verbreitung der Zeitschrift) nicht erforderlich, dass er
ein ausschliessliches Benutzungsrecht erhaelt.

Da Open-Access-Publikationen, wie heute bereits erwaehnt,
keine Konkurrenz zur Druckpublikation darstellen, laeuft
auch die von den Verlagen beliebte Argumentation mit der
"Treuepflicht" leer.

Es ist absurd anzunehmen, dass ohne anderweitige
vertragliche Vereinbarung ein Fachzeitschriftenverlag qua §
38 UrhG fuer den traditionellen Printbereich ein auf ein
Jahr befristetes Ausschliesslichkeitsrecht erhaelt, fuer
die Online-Nutzung, die ja immer noch ein Annex zur
Prinpublikation darstellt, aber stillschweigend ein
unbefristetes ausschliessliches Nutzungsrecht. Mit dem
Grundsatz "in dubio pro auctore" waere das schlicht und
einfach nicht zu vereinbaren. Wenn ein Verlag ein
ausschliessliches Nutzungsrecht wuenscht, muss er es eben
ausdruecklich vereinbaren.

Die Ansicht von Heckmann/Weber ist daher schaerfstens
zurueckzuweisen. Ein Autor muss stillschweigend immer nur
soviele Rechte dem Verlag einraeumen, wie dieser fuer das
gemeinsame Publikationsprojekt benoetigt bzw. was § 38 UrhG
vorsieht. Da es keine allgemeine Regel gibt, dass im
Online-Bereich nur ausschliessliche Nutzungsrechte sinnvoll
sind, laesst sich ein ausschliesslicher Rechteerwerb eines
Verlags nicht begruenden. Damit aber ist der Autor immer
noch der Herr seines Textes (was er an sich auch sein
sollte) und kann ihn vor oder nach Druckveroeffentlichung
online einstellen, ganz wie es ihm beliebt.

Klaus Graf



  





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