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Re: [InetBib] Was geht in § 52b UrhG?



Lieber Herr Steinhauer
ich stehe ganz hinter Ihnen in der Schelte ob der vielleicht ursprünglich einmal gut gemeinten, schließlich aber nicht akzeptablen und zudem schlecht formulierten Schranke 52b (wie auch 53a). Nicht nachvollziehen kann ich, dass Sie sich in diesem Punkt dem Gutachten von Christian Berger anschließen, das er ja im Auftrag des Börsenvereins geschrieben hat (auch in wesentlichen Teilen veröffentlicht in GRUR 2007 Heft-9, 754ff) und das dazu dienen sollte, 52b gänzlich zu "vernichten". Dafür half auch die Argumentation, dass das Vervielfältigen nicht explizit erwähnt wurde. Aber es ist nicht nur dem gesunden Menschenverstand klar, sondern wird auch vor jedem Richter Bestand haben, dass auch das nötige Vervielfältigen erlaubt ist, wenn die öffentliche Zugänglichmachung, die ja elektronisch gemeint ist, erlaubt ist. Zudem läst die Formulierung von 19a UrhG erwarten, dass mit dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung auch die Vervielfältigung mit gemeint ist: "Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist". Es geht eben nur "in einer Weise", dass vervielfältigt werden muss, um es öffentlich zugänglich zu machen. Dass in § 52a Abs. 3 das Vervielfältigen explizit erwähnt ist, halte ich für einen Redundanzfehler, nicht aber das Fehlen in 52b für eine systematische Unterlassung. Trotzdem kann das Aktionsbündnis bei den Verhandlungen zum Dritten Korb darauf dringen, dass das eventuell eindeutig(er) gemacht wird. Es sollte sich aber keine Bibliothek dadurch abhalten lassen - und so meinte es auch Herr Müller - , fleißig zu digitalisieren und dann öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn (s. meine frühere Mail), es stehen dem vertragliche Regelungen mit den Rechteinhabern dagegen.
RK


Eric Steinhauer schrieb:
Lieber Herr Graf,

Ihre Ausführungen bestätigen, dass der Gesetzgeber in § 52b UrhG eine wenig klare Regelung 
getroffen hat. Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass es keinen eigenen Willen des Gesetzgebers gibt. Es gilt 
bei der Auslegung des Rechts das verkündete Gesetz in seinem Wortlaut und seiner systematischen 
Stellung. Aus den Gesetzesmaterialien sich ergebende Äußerungen und Absichten haben, methodisch 
gesprochen, nur dort Platz, wo das geschriebene Recht unklar ist.

Was wurde nun geregelt?

§ 52b UrhG ist eine Schranke für die öffentliche Zugänglichmachung. Der Gesetzgeber hat in dieser Norm keine Schranke für die dafür erforderlichen Vervielfältigungshandlungen normiert. Der "gesunde Menschenverstand" setzt eine solche Regelung als natürlich gegeben voraus. Das würde ich auch so sehen, wenn nicht der Gesetzgeber in § 52a UrhG diesen unseligen Abs. 3 normiert hätte.
§ 52a UrhG ist wie § 52b UrhG eine Schranke für die öffentliche Zugänglichmachung. Hier aber 
hat der Gesetzgeber gemeint, die für die Nutzung der Schranke erforderlichen Vervielfältigungen explizit 
erlauben zu müssen.

Nach dem Wortlauf von § 52b UrhG und seiner systematischen Stellung (Vergleich zu § 52a UrhG) 
ergibt sich für mich damit zwingend, dass in § 52b UhrG KEINE implizite Schranke für 
entsprechende Vervielfältigungen enthalten ist.

Wie geht man nun damit um?
Man könnte erwägen, eine planwidrige Lücke anzunehmen und diese in einer Analogie zu § 52a 
Abs. 3 UrhG zu schließen. Andererseits könnte man aber auch eine bewußte Nichtregelung durch den 
Gesetzgeber annehmen.

Ein Blick in die Gesetzesmaterialien spricht eher für eine Lücke. So heißt es, dass die 
Sammlungen digital in gleicher Weise wie schon analog genutzt werden können. Zudem macht die ganze 
Diskussion im Gesetzgebungsverfahren um die Bestandsakzessorietät nur Sinn, wenn § 52b UrhG auch 
auf noch lieferbare Titel anzuwenden ist.

So gesehen, spricht viel dafür, in § 52b UrhG eine planwidrige Lücke anzunehnehmen. Wenn man aber in den Grenzen des geschriebenen Rechts bleibt und zunächst einmal von einer Analogie absieht, bleiben in der Tat nur die Möglichkeiten des § 53 UrhG zum Vervielfältigen.
Über das Erfordernis eines "eigenen Gebrauchs" bei der Vervielfältigung ganzer Bücher kommt man leicht 
hinweg. Die Nutzung der Schranke in § 52b UrhG ist sicherlich ein "eigener Gebrauch" der Bibliothek. 
Beschränkt man sich auf vergriffene Werke, so sind damit rund 90 bis 95  % des Bibliotheksbestandes einer durchschnittlichen 
Universitätsbibliothek erfasst. Das ist schon mal kein schlechtes Ergebnis!

Lediglich bei den lieferbaren Werken bleibt also ein Problem. Die Ansicht, in § 52b UrhG eine 
Vervielfältigungsschranke impliziert anzunehmen, überzeugt mich methodisch nicht. Diskussionswürdig ist 
eine Analogie zu § 52a Abs. 3 UrhG. Ansonsten bleibt nur der Weg über § 53 UrhG mit den dargestellten 
Einschränkungen.

Wie soll man sich nun positionieren? Man kann meine eher einschränkende Auslegung als 
übervorsichtig bezeichnen. Andererseits tue ich nichts anderes, als den Gesetzgeber beim 
Wort zum nehmen. Es ist eine grundsätzliche Frage, wie man mit einem handwerklich 
schlechten Gesetz umgeht. Eine sehr verbreitete Strategie ist die, das Beste aus einer Norm 
herauszuholen.

Ich favorisiere diesen Weg nicht. Nach den sehr ernüchternden Erfahrungen mit dem letzten Gesetzgebungsverfahren schiebe ich den Schwarzen Peter dem Gesetzgeber zu, indem ich sein Recht einfach so nehme, wie er es erlassen hat. Soll doch der Gesetzgeber die Dinge nachbessern!
Die gleiche Frage stellt sich beim elektronischen Kopienversand. Ich würde als Bibliothek aus 
dieser Dienstleistung jedenfalls im STM-Bereich VOLLSTÄNDIG aussteigen. Als Bibliothek 
wäre ich mir zu schade, als Lizenzvermittlungsagentur für kommerzielle Dienstleister zu 
arbeiten. Die Nutzer sollen merken, was der Gesetzgeber beschlossen hat.

Wenn wir in den Bibliotheken durch großzügige Auslegung und dergleichen immer weiter versuchen, alles beim Alten zu belassen, müssen wir uns nicht wundern, wenn in anstehenden Gesetzgebungsverfahren kein Unmut und das heißt keine Unterstützung bei unseren Nutzern zu vernehmen ist.
Erst eine strikte und strenge Auslegung des Rechts macht allen Beteiligten klar, wie 
unangemessen und reformbedürftig der Rechtsrahmen gerade für die innovativen 
bibliothekarischen Dienstleistungen ist. In diesem Sinne bleibe ich bei meinem NEIN zu der 
Frage, ob nach § 52b UrhG wirklich alles, was wir in der Bibliothek haben, digitalisiert 
werden kann.

Außerdem sollte man sich fragen, wo denn der Mehrwert einer Digitalisierung für einige wenige 
Leseplätze (Achtung: eigene Geräte!) liegt. Ich sehe hier noch keine tragfähige 
bibliothekarische Strategie. Vielmehr habe ich den Eindruck, der elektronische Leseplatz ist ein 
Modernisierungsfetisch, den alle haben wollen, aber niemand wirklich braucht. Ich jedenfalls kann mir nur 
wenige sinnvolle Anwendungen von § 52b UrhG vorstellen. Aber das ist eine andere Diskussion.

Viele Grüße
Eric Steinhauer

P.S.: Die von Ihnen, lieber Herr Graf, aufgeführe Flakon-Entscheidung des BGH paßt auf unseren Fall meiner Meinung nach nicht. Der BGH 
arbeitet mit dem Erschöpfungsgrundsatz und einer schlüssigen Einwilligung. Es geht um die Verkehrsfähigkeit von Waren und nicht um die 
Schaffung einer neuen Schranke: "Die beanstandete Wiedergabe des Flakons in dem Verkaufsprospekt der Beklagten stellt keine 
Urheberrechtsverletzung dar, weil die Zustimmung des Berechtigten zum Vertrieb der Flakons nicht nur den Weitervertrieb (§ 17 Abs. 2 UrhG), 
sondern auch eine werbliche Ankündigung mit umfaßt, die im Zusammenhang mit dem (zulässigen) Weitervertrieb steht und sich im Rahmen 
dessen hält, was für einen solchen Vertrieb üblich ist."



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Prof. Dr. Rainer Kuhlen
Department of Computer and Information Science
University of Konstanz, Germany
Speaker of the Coalition "Copyright for Education and Science"
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URL: www.kuhlen.name
Email: rainer.kuhlen@xxxxxxxxxxxxxxx
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