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Re: [InetBib] Weniger oder mehr Zeitungen?



Lieber Herr Hilf,

für ein Urteil über meinen kreativen oder unkreativen Umgang mit den 
Herausforderungen der Gegenwart sind die Zeilen über den Zeitungsmarkt doch 
etwas knapp. Ihre Mail findet mich über der Skizze für ein neues 
Lernmanagement-System, das unsere klassischen Lehrmedien für Schulen ablösen 
soll und auch Grundlage für ein Living-Handbook-Konzept wird (als Ersatz für 
die klassischen wissenschaftlichen Handbücher). Die Tage startet unser Versuch 
einer Online-Messe für unsere Fachzielgruppen. Und für die Hochschule der 
Medien bereiten wir gerade eine Präsentation unseres Lehrbuchkonzepts für das 
iPad (etc.) vor. Die weltgrößte Pflanzenmesse IPM wurde gerade mit unserer App 
als Messeführer durchgeführt. Nur die Umstellung unserer wissenschaftlichen 
Zeitschriften auf Open-Access muss noch in der Schublade bleiben, bis hier eine 
Finanzierung möglich wird. Vor lauter Änderungen und Konzepten schwirren den 
Mitarbeitern zwar die Köpfe, sie sind nichts desto trotz mit großer  
Begeisterung dabei. Das mag von außen vielleicht so aussehen, als ob wenig 
passiert, ich kann ihnen aber versprechen, dass in fast allen mir bekannten 
Verlagen die Veränderungen und Vorbereitungen gewaltig sind. Sollten SIe mal 
hier in der Nähe vorbei kommen, dann würde ich mich über einen Besuch wirklich 
freuen.

Herzliche Grüße
Matthias Ulmer

_________________________________________________________________
Verlag Eugen Ulmer
Matthias Ulmer
Postfach 700561 - 70574 Stuttgart
Wollgrasweg 41 - 70599 Stuttgart-Hohenheim
Tel: +49 (0)711-4507-164
FAX: +49 (0)711-4507-225
mulmer@xxxxxxxx
www.ulmer.de 


 
Eugen Ulmer KG
Sitz Stuttgart
Registergericht Stuttgart, HRA 581
Geschäftsführer: Matthias Ulmer





Am 15.02.2011 um 18:07 schrieb Eberhard R. Hilf:

Lieber Herr Ulmer,

d'accore, aber Sie haben mich missverstanden: von Ihnen als Verleger 
erwarte ich nicht eine so passive, abgeklaerte distanzierte 
Betrachtungsweise der Zeitlaeufte sondern eine auf eigener kreativer 
Analyse fussende auch fuer Andere weiterfuehrende Perspektive mit Ideen, 
neuen Geschaeftsmodelle, innovativen Produkten, vorangehen statt trailern..

Ob die erfolgreichen Firmen einer Aera auch in der naechsten die 
erfolgreichen sein werden? 
- Thurn und Taxis baute keine Eisenbahn  
- die Eisenbahnfirmen keine Autos,
- VW keine Flugzeuge,
- die BILD kein smartphone,
Weiter gute Entspannung, Ihr Eberhard Hilf

Lieber Herr Hilf, ich weiß nicht, wessen Stöhnen Sie gehört haben, meins 
war es sicher nicht. Ich habe im Gegenteil darauf hingewiesen, dass das 
ein stinknormaler Anpassungsprozess ist, wie er bei jedem Marktsegment 
früher oder später vorkommt. Nichts ist auf Dauer erfolgreich, fast 
nichts geht je ganz unter oder stirbt vollständig aus (zumindest in 
normalen historischen Perspektiven von ein paar hundert Jahren). Und so 
sind Hoffnungen auf den Untergang von diesem und jenem genau so sinnlos 
wie Vorstellungen vom ewigen Sieg des einen Mediums über das andere. Ich 
vermute, dass die erfolgreichen Zeitungsverleger im Print auch die 
erfolgreichen Zeitungsverleger bei digitalen Geschäftsmodellen sein 
werden, genau so wie die erfolgreichen Wissenschafts-Zeitschriften- und 
Buchverlage die erfolgreichen elektronischen Angebote haben werden. Ja, 
wer stehen bleibt kommt nicht mehr mit. Und das ist auch schon der 
gesamte Neuigkeitswert der Diskussion. Gruss Matthias Ulmer


Am 15.02.2011 um 15:09 schrieb Eberhard R. Hilf:

.. und ewig stoehnen die Verleger, s.u. (Herr Ulmer), nun also bei 
papierenen Zeitungen. Dabei kann man sich auch konstruktivere, eben 
Verlegerische, unternehmerischere Herangehensweisen, Blickwinkel 
vorstellen, die dann auch eine andere Perspektive ergeben:
- das Gute ist doch, auf ewig wollen alle Menschen informiert werden;
- es gibt eine grosse Bandbreite von Themen und von Gewohnheiten;
- es gibt aber immer wieder neue technische Fortschritte, und damit neue 
technisch moegliche Informationskanaele, Informationsdarbietungen;
Darauf aktiv und fruehzeitig einzugehen, ergibt einen immer wachsenden 
Markt.
- nur wer an einem Outletkanal haengt, sieht sein Segment schrumpfen,
weil sich Leser von Zeitungen vermehrt ihre politischen und anderen News
aus dem Web holen, von Zeitungs/Fernsehanstalten-Online-Diensten, 
online elDjasira-Webauftritt im Falle der Revolution in Aegypten, nutzen 
von Smartphones, usf. 
- wer dann als Papier-Zeitungsverleger darauf reagiert, indem er 'Kosten 
spart', d.h. die DPA-Meldungen unrecherchiert weitergibt, also sein 
Produkt austauschbarer macht, beschleunigt den Umstieg  der Leser.
Gleiches gilt fuer die Buchverlage: Umschlagseiten werden nicht mehr 
selbst und auf das individuelle Buch bezogen entworfen, sondern aus 
Bilderdiensten bezogen, nichtexklusiv, und dann wundert man sich, wenn das
Motiv schon bekannt ist..
E. Hilf
................................

On Tue, 15 Feb 2011, Matthias Ulmer wrote:
...
Ohne Zweifel stehen die Zeitungen unter Druck, die großen auf andere
Weise als die kleinen, die überregionalen anders als die regionalen. Alle 
gemeinsam leiden unter dem veränderten Informationsverhalten der 
Jugendlichen, die als Zeitungsleser nur schwer zu gewinnen sind, sowie 
unter dem allgemeinen Trend zu mehr Flexibilität und weniger dauerhaften 
Abobindungen, die insgesamt das Vertriebsmodell Abo+Kiosk in ein 
Ungleichgewicht gebracht hat, das nun einige Anpassungsprozesse 
erforderlich macht und bereits ausgelöst hat.

Und man muss kein Augur sein um vorauszusagen, dass vermutlich einige 
Zeitungen sterben werden, andere dagegen werden wachsen, insgesamt wird 
der Markt in nächster Zeit wohl schrumpfen, zumindest bis er durch neue 
Impulse wieder einen Auftrieb bekommt. So laufen ja fast alle 
Anpassungsprozesse ab. Man kann den Begriff Zeitung beliebig durch 
Supermarkt, Verlag, Bibliothek, Buchhandlung, Industriebetrieb etc. etc. 
ersetzen.
..
Matthias Ulmer
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