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Re: [InetBib] Stand der Informationswissenschaft



Liebe Kolleginnen und Kollegen,
gerne möchte ich Sie auf einen Beitrag von Ben Kaden, Maxi Kindling und
mir zum Stand der Informationswissenschaft aufmerksam machen:
"Wandelnde Rahmenbedingungen stellen die Informationswissenschaft vor
vielfältige Herausforderungen. So scheinen zwar digitale Technologien
jedoch nicht deren Folgewirkungen auf die Disziplin und ihre Methoden in
der Wechselbeziehung zur Gesellschaft umfassend berücksichtigt. Der
Artikel dokumentiert die zähe Diskussion um den Stand und die Zukunft der
Informationswissenschaft in Deutschland und formuliert Thesen zur
Weiterentwicklung des Faches. Weiterhin werden Reaktionen auf diese Thesen
in Clustern zusammengefasst und ein sich an diesen ausgerichteter Workshop
dokumentiert.“
Kaden, Ben; Kindling, Maxi und Pampel, Heinz: Stand der
Informationswissenschaft 2011. LIBREAS.Library Ideas, 20.06.2011. Online:

http://libreas.wordpress.com/2011/06/20/informationswissenschaft-2011/

Kommentare sind willkommen.
Viele Grüße,
Heinz Pampel

Hier ein willkommener Kommentar ;-)

Zu der hier angeschnittenen bzw. fortgeführten Frage über den „Stand der
Informationswissenschaft 2011“ ließe sich viel, leider zu viel
bestätigendes und widersprechendes sagen.
Hier nur ein paar kurze Anmerkungen zu den folgenden Punkten:

„Wie weit reicht Informationsfreiheit?“
Wenn die Informationswissenschaft nicht die Basis des Grundgesetzes
verlassen will, ist der Rahmen recht klar definiert. Über die Grauzonen,
über die seit Jahrzehnten diskutiert wird und weiter gestritten werden
muss, lässt sich natürlich heute noch nichts abschließendes sagen.

„Hat die Informationswissenschaft etwas mit dem Fall Guttenberg zu tun?“
Selbstverständlich. Andererseits ist der Fall an sich
Informationswissenschaftlich zu nebensächlich, als das es darüber viel zu
diskutieren gibt. Plagiate sind bekanntermaßen nicht erlaubt. Dass zu
viele Laien nicht wissen, was ein Plagiat bzw. ein geistiges Eigentum und
der Diebstahl dessen ist, ändert daran nichts.

„Trägt das Information Retrieval-Paradigma die Informationswissenschaft
weiterhin?“
Das „Information Retrieval Paradigma“ hat die Informationswissenschaft
noch nie getragen. Das IR war seit dem es existiert lediglich ein Teil
(beim Beginn des IR) ein wichtiger Teil der Informationswissenschaft. Die
Informationswissenschaft ist bei genauer Betrachtung weit Umfangreicher.
Sie reicht bekanntlich von Boltzmanns Eta-Theorem (1893) in der
Naturwissenschaft, über die Kybernetik, die Informatik, bis weit in die
Geistes- und Sozialwissenschaften hinein. Die zwi Kulturen von Snow haben
längst ein wissenschaftliches Bindglied bekommen.

„Soll sich die Informationswissenschaft auf eine Seite der beim
Urheberrecht beteiligten Akteursgruppen schlagen?“
Eine objektive Wissenschaft sollte sich nie auf eine bestimmte Seite
schlagen. Sie analysiert die Realität, folgert aus ihrer Theorie heraus
und prüft die Folgen. Daraus ergeben sich dann Konsequenzen für alle
„Akteursgruppen“ (auch Konsequenzen, um in absehbarer Zukunft größere
Verluste zu vermeiden).

„Was bedeutet Web 2.0 für die Informationswissenschaft?“
Ich würde eher umgekehrt Fragen: Was bedeutet die Informationswissenschaft
für Web 2.0.

Was die vier Thesen von Kaden, Kindling und Pampel betrifft, so ist die 1.
These (wie bereits gesagt) nur dadurch zu ergänzen, dass das nicht erst in
Zukunft gilt,sondern historisch betrachtet noch nie gegolten hat.
Die 2. These betrifft explizit „Digitale Räume“.
Die  4. These speziell die Digitalisierung, wobei die Digitalisierung und
ihre Konsequenzen ohne Zweifel ein wichtiges Thema der
Informationswissenschaft bleibt.
Der dritten und zentralen These kann man nur zustimmen.

Das eigentliche Problem der Dokumentation (DGI), Informations- bzw.
Bibliothekswissenschaft und der Wissensorganisation scheint mir allerdings
an der zu deutschen Perspektive zu liegen.

Die USA laufen uns nicht nur bei Google weit voraus, so weit, dass viele
Fachleute den Vorsprung schon gar nicht mehr sehen, und diejenigen die ihn
sehen, hoffen immer mehr, das zu tun, was die Chinesen einst mit überholen
ohne einzuholen umschrieben. Das ist aber nur möglich, wenn man das
entsprechende Wissen erwirbt. Meine Erfahrung sagt mir, dass immer mehr
Menschen von Wissen, Semantik, Information oder Web 2.0 sprechen, ohne die
nötigen Grundlagen der Informationstheorie verstanden zu haben, und die
USA sind schon seit langem dazu übergegangen ihren geistigen Vorsprung
nicht mehr zu Publizieren. So haben wir uns längst daran gewöhnt, von
Google interessante und gern wiederholte Rankinghinweise zu bekommen, was
aber wirklich dahinter steckt, könnten wir nur mit akribischen Analysen
herausfinden. Teilweise geschieht das ja auch in Inetbib mit verblüffenden
Ergebnissen – aber viel zu selten. Statt dessen haben wir unzählige
Befragungen, insbesondere von Nutzern die eher als Laien einzustufen sind,
weil die Experten ihre Ergebnisse geheim halten, selbst publizieren, aber
nur ungern in Befragungen (oft sogar verballhornt) verschwinden lassen.
(Das nur zum Thema der irrelevanten Themen (Voß)).

Große Teile der Informationswissenschaft sind zu wenig wissensbasiert. Das
scheint mir auch im Kern die Kritik Bredemeiers, auch wenn er es mit
anderen Worten beschreibt, denn etliche Informationswissenschaftler können
sich gar nicht widersprechen, weil sie viel zu weit auseinander liegen.
Wie soll ich über die Konsequenzen im Wissensbereich diskutieren, wenn die
Diskussionspartner es einfach ablehnen die informationstheoretischen
Grundlagen zur Kenntnis zu nehmen – und das über ein Jahrhundert nach
Boltzmann, nach Fisher, Hartley, Kolmogorov, Nyquist, Schrödinger,
Shannon, Wiener etc.

Fazit: Die Informationswissenschaft braucht wieder ihr gesundes Fundament.
Wer nicht mehr weiß, was das ist, sollte mal in die alten Lehrbücher
schaun.

Ich kenne keine Wissenschaft, bei der man das beobachtet, was bei den
Auflagen des LaiLuMU zu erkennen ist. So manche höhere Auflage hat sich
darauf verlassen, dass man die vorhergehende auch studiert. So wurden
Grundlagen oder historische Entwicklungen einfach nicht mehr übernommen
bzw. überarbeitet, sondern weggelassen, als hätte es sie nie gegeben.

MfG

W. Umstätter



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