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Re: [InetBib] Alternde Türsteher der Wissenschaft



Sehr geehrtr Herr Ulmer,

ich gebe zu, das mit den alternden Türstehern, sollte den wissenschaftlichen Hintergrund feuilletonistisch etwas auflockern. Das ändert aber nichts daran, dass wir eine seit Jahrhunderten konstante Verdopplungsrate der Literatur von 20 Jahren haben, die uns zwang das Papier als hauptsächlichen Informationsträger zu verlassen, die die Wissenschaftler zwingt im Wettbewerb immer rascher zu publizieren, (vereinfacht gesagt: Früher eine Pubikation pro Jahr, heute zu fünft, fünf Publikationen pro Jahr), die immer mehr erzwingt, dass Pre Peer Reviewer das Recht verlieren Urheberrechte zu lange vorzuenthalten, die den Wechsel zur Big Science (~1950) brachte, etc. Das ist meines Wissens das härteste Gesetz in der hard science der Bibliothekswissenschaft, das weder von Kriegen, Pestilenz, politischen Fehlentscheidungen etc. gestoppt werden konnte.

Ich freue mich, dass mein Ceterum censeo zu Harnack zumindest bei Ihnen registriert wurde, in der Bibliothekswissenschaft hat Harnacks Erkenntnis von 1921 sicher noch nicht die kritische Masse erreicht.

Aber bezüglich der Planck-Einheiten von 1899 ist die Physik in diesem Punkt ja noch langsamer ;-) Wie man an der Mail des Kollegen Hilf erkennen kann, gibt es da wie überall auch gewisse Ressentiments. Möglicherweise können Sie ihn als Autor gewinnen ;-) Die Kosmologen scheinen seit Jahren der Meinung zu sein, dass die Planck-Einheiten wirklich nur ein mathematischer Trick sind. Meine Hoffnung war ja, dass Sie als Verleger wissen wie man die potentiellen Autoren für ein solches Unterfangen findet. Voraussichtlich werden es aber letztendlich dann doch wieder die Physiker in den USA sein, die die Physik so fundamental modernisieren. Dass ich kein potentieller Lehrbuchautor in der Physik sein kann ist dagegen leicht erkennbar. Um eine solche Anregung für ein e-TextBook geben zu können braucht man dagegen nur ausreichend Informationskompetenz.

Mit Missionieren hat das insofern nichts zu tun, weil man sich als Wissennschaftler ohnehin mit dem beruhigenden Wissen gemütlich zurücklehnen kann, dass sich wahres Wissen letztendlich immer durchsetzt. Wirkliche urheberrechtliche Prioritäten kann ich da auch nicht verlieren, da diese ja schon über hundert Jahre bei Max Planck tief und fest schlummern.

MfG

Walther Umstätter

P.S. Auch Wissenschaft verträgt hier und da einen Scherz. Ansonsten kommt Witz von Wissen, und zeigt, ob jemand genug Wissen hat, um einen Witz zu verstehen ;-)

Am 28.03.2013 18:01, schrieb Matthias Ulmer:
Lieber Herr Umstätter,

es geht ja gar nicht um Wissenschaft sondern um die Frage, wie
zukünftig das Publikationswesen aussieht. Ich hoffe doch, dass niemand
die Äußerungen "Alternde Türsteher" etc. als Wissenschaft bezeichnet.
Zumindest kenne ich kaum eine Stellungnahme zum Thema, die man ohne
beide Augen zuzudrücken auch nur in die Nähe von Wissenschaft rücken
könnte.
Ich bin aber froh, dass Sie wieder  Harnack erwähnen. In ihrer
letzten Mail tauchte der Name erstmals nicht auf, das hat mich schwer
verunsichert.
Ihr Artikel über die Planckeinheiten hat mich beeindruckt. Wäre ich
nicht Verleger geworden, dann hätte ich mich vermutlich auf die Physik
gestürzt. Das Wagnis, unsere Lehrbücher in dieser Hinsicht zu
überarbeiten scheint mir jedoch zu groß, aus dem Bauch heraus, ganz
ohne wissenschaftliche Fundierung. Das kommt mir ein wenig wie
Missionieren vor. Wollen Sie ein solches Lehrbuch nicht einfach Open
Access veröffentlichen?

Herzlichst
Ihr Matthias Ulmer


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Am 28.03.2013 um 17:22 schrieb h0228kdm:

Sehr geehrter Herr Ulmer,

zunächst ist Wissenschaft keine Glaubensfrage im Sinne der Ringparabel. Es ist ihre Aufgabe, aus der Begründung ihres Wissens heraus die Gefahren der Zukunft abzuschätzen, sonst wären wir schon längst alle tot. Die so oft wiederholte Aussage, „Keiner kennt die Zukunft“, unterdrückt ja nur den notwendigen Zusatz, „mit absoluter Sicherheit.“

Es wäre mir auch neu, wenn Verlage Bücher und Zeitschriften heraus bringen, ohne abzuschätzen, wie viel Exemplare davon verkauft werden können. Auch wenn man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen will, geht es nicht um „Missionsbewegungen“ sondern darum, wie das deutsche Publikations- und Bibliothekswesen im Internetzeitalter so weiter entwickelt werden kann bzw. muss, damit wir in der Nationalökonomie des Geistes nicht immer weiter abfallen. Schon Harnack hat völlig richtig erkannt, dass Bibliothekswissenschaft eine gute Zusammenarbeit von Bibliotheken und Verlagen erfordert. Das geht aber nicht, wenn die Verlage die Bibliotheken und die Leser weiter zu enteignen versuchen.

Als die USA in erster Linie das Peer Reviewing einführten stärkten sie damit hauptsächlich ihre eigenen Zeitschriften. Danach stärkten sie diese weiter durch den Weinberg Report mit der Förderung von BIOSIS, CHEMABS, MEDLARS, SCISEARCH, etc., indem sie eine vergleichsweise kleine Gruppe von Peer Reviewern zu Gatekeepern machten, während der Springer Verlag bei seinen Referateblättern tausende von Spezialisten zur Bewertung publizierter Literatur hatte. Dass diese Idee nach dem zweiten Weltkrieg ohne Computer nicht mehr zu bewältigen war, spricht nicht gegen das Post Peer Reviewing.

Es ist sehr viel sinnvoller von den USA zu lernen, als ihren geistigen Vorsprung zu beneiden, wie das oft geschieht. Der „Relikt aus finsterer Vergangenheit“ (§38) ist die klare Erkenntnis, dass in der Wissenschaft ein Vorsprung von einem Jahr schon ganz entscheidend sein kann, für Urheber- und Patentrechte, und dass sich das, im Sinne der NLM, durchaus als Open Access auf den Markt bringen lässt. Bei zunehmender Geheimhaltung in Wissenschaft und Forschung, wird damit Open Access immer stärker zur Reklame für diese zunächst geheimen Ergebnisse.

MfG

Walther Umstätter

P.S. Wäre es nicht interessant für Ihren Verlag, ein Lehrbuch auf der Basis der Planck-Einheiten herauszubringen, in dem die Naturkonstanten wie c, G,... ( www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/Planckeinheiten13d.pdf ) auf 1 normalisiert sind?


Am 28.03.2013 16:09, schrieb Matthias Ulmer:
Es ist ein schöner Streit, aber vollkommen sinnlos.
Der Verve, mit dem die einen die anderen als Vergangenheit bezeichnen
oder mit dem die anderen diese als Spinner abtun ist ja ein reiner
Glaubensstreit, geradezu ein Religionskampf. Seine Sinnlosigkeit zeigt
sich schon daran, dass hier über eine Zukunft gestritten wird, die
keiner kennt, von der aber scheinbar jede Seite überzeugt ist, wie sie
am jüngsten Tag aussehen wird. Halten wir uns doch an  Lessings
Ringparabel. Es mag jeder an sein Paradies glauben. Bis dahin bemühe
sich ein jeder die Menschen von seiner Lehre durch positive Beispiele
zu überzeugen. Dass die Anhänger der gemäßigten Digitalisierung
gegenüber den radikalen Digitalisieren aktuell noch vorne liegen ist
zwar für diese tröstlich, aber auch kein Ruhekissen. Dass man
gegenüber den radikalen Digitalisieren immer mal wieder auf Begriffe
wie Toleranz und Entscheidungsfreiheit hinweisen muss, ist traurig,
wie bei allen Missionsbewegungen ist aber der Grad zwischen Aufklärung
und Nötigung schmal und wird laufend überschritten. Deshalb soll man
auch nicht jedes Wort auf die Goldwage legen.
Ich hab das Gefühl, die Realität ist schon viel weiter als es die
Streit-Positionen vermuten lassen. Der Glaubenskampf ist von gestern.
Viele Autoren und Herausgeber in Geistes- und Sozialwissenschaften
kämpfen offen für ihre gedruckten Zeitschriften und viele
Wissenschaftsverlage starten kaum mehr überschaubare Open Access
Projekte. Da kommt der zukünftige §38 wie ein Relikt aus finsterer
Vergangenheit daher.
Frohe Ostern!
Matthias Ulmer
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