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Re: [InetBib] Bibliometrie: Das Leidener Manifest zu Forschungsmetriken



Sehr geehrter Herr Langhanke,

zunächst besten Dank für Ihre verbesserte Rezeption des Leidener Manifests. Ihren Satz: “Bibliometrische Methoden werden zur Forschungsevaluation angewandt, ob ihren Begründern das recht ist oder nicht.” kann ich leider nicht nachvollziehen, da ich das Leidener Manifest in seiner Kernaussage genau so verstehe, dass es gegen fragwürdige Forschungsevaluationen mit recht angehen will, und wovon ich dachte, dass wir in diesem Punkt übereinstimmen.

Das Beispiel mit P. Higgs hatte ich nur aufgegriffen, weil Higgs selbst, wie Sie möglicherweise wissen, schon geäußert hat, dass er unter heutigen Bedingungen der Wissenschaftsevaluation in der Physik kaum hätte Fuß fassen können. Das wäre aber für den LHC, alle beteiligten Mitarbeiter und die moderne Physik sehr bedauerlich gewesen ;-) Ich denke, dass sollte uns zu denken geben, und ist sicher nicht der einzige Fall fragwürdiger Forschungsevaluation.

Ich kann hier nicht aufzählen, wie viel höchst merkwürdige Berufungen ich in meinem Berufsleben erlebt habe, interessant war aber ein Satz: "Wir wollen ja nicht nur die Zahl der Publikationen zählen, aber eine ist sogar in NATURE." Nachdem der junge Mann an unserem Institut war, stellte sich heraus, dass er etliches bei Kolleginnen und Kollegen schlicht abgeschrieben hatte. In einem Fall kam er verzweifelt zu mir und ließ sich den Inhalt einer Publikation von mir erklären. Am Schluss kam heraus, dass er sie selbst publiziert hatte, aber nicht wusste, wie er sich gegen einen schriftlichen Einwand verteidigen sollte. Auch wenn das nicht der Normalfall ist, so benachteiligt es die wirklich guten Wissenschaftler/innen.

Max Perutz (auch ein Nobelpreisträger, der meines Wissens acht weitere Nobelpreisträger hervorgebracht hatte) schrieb: „The secret of good science is simple. No politics, no committees, no reports, no referees, no interviews – just gifted, highly motivated people picked by a few men of good judgement.”

MfG

Walther Umstätter


Am 2015-09-14 10:19, schrieb Gerald Langhanke:
Lieber Herr Umstätter, liebe Liste,

ich freue mich wenn die Rezeption des Leidener Manifests im
deutschsprachigen Raum durch die Übersetzung verbessert wird.
Ihre Kritik an einzelnen Punkten und meiner Ankündigung (die Sie
fälschlicherweise Herrn McLeish anlasten) sollte m.E. nicht den Blick
auf das Wesentliche verstellen: Bibliometrische Methoden werden zur
Forschungsevaluation angewandt, ob ihren Begründern das recht ist oder
nicht. Ich finde daher den pragmatischen Ansatz des Leidener Manifests
sehr begrüßenswert um zumindest die schlimmsten Auswüchse einzudämmen
und den Evaluatoren eine kompakte Anleitung zu den verwendeten
Werkzeugen an die Hand zu geben.

Eine Nebenbemerkung als Physiker sei mir erlaubt: Dass Peter Higgs
(gemeinsam mit F. Englert) überhaupt den Nobelpreis erhalten hat, ist
auf die undurchsichtige Arbeit des Nobelkomitees zurückzuführen. Higgs'
niedriger h-Index hingegen korreliert hingegen korrekt mit der Tatsache,
dass er in den letzten 40 Jahren nichts bedeutendes publiziert hat -
Higgs ist damit ein denkbar schlechtes Beispiel für eine fehlgeleitete
Interpretationen des Hirsch-Index. Richard Dawkins ist hingegen
zweifellos sehr streitbar, hat aber zum Diskurs seiner Disziplin weit
mehr beigetragen als Higgs.

Viele Grüße,
Gerald Langhanke

Am 11.09.2015 um 19:04 schrieb h0228kdm:
Es ist nur zu begrüßen, dass das Leidener Manifest nun auch mit aller
Klarheit feststellt: “Als Szientometriker, Sozialwissenschaftler und
Forschungsmanager haben wir mit wachsender Beunruhigung den
allgegenwärtigen Missbrauch der Indikatoren zur Evaluation
wissenschaftlicher Leistungen beobachtet.” und noch wichtiger:

“Indikatoren sind kein Ersatz für fundierte Beurteilung.”

Etwas beunruhigend ist dagegen, dass die zehn Grundsätze trotzdem
erkennen lassen, dass die Metriken geeignet sein sollen, die
Qualifikation von Wissenschaftlern einzuschätzen. Bzw. wie Sie Herr
McLeish schreiben, "Forschungsleistung mithilfe von (Biblio)Metriken
bewertet werden kann". Nehmen wir z. B. Grundsatz 7, der zwar den
h-Index ansatzweise kritisch hinterfragt, aber nicht klar und deutlich
macht, dass der Hirsch-Index etwas über die Bekanntheit von Autoren
aussagt, aber nichts, über deren Qualifikation. Bekannt ist z. B. dass
kein Geringerer als der Nobelpreisträger P. W. Higgs eine
vergleichsweise niedrigen h-Index aufwies, während der populäre aber
äußerst fragwürdige Richard Dawkins einen höheren h-Index erreicht.

Szientometrie ist die Wissenschaft, die mit statistischen Methoden das
Publikationsaufkommen, wichtige  bibliometrische Informationsflüsse u.
ä. analysiert, sie ist völlig ungeeignet, die Qualifikation einzelner
Wissenschaftler/innen zu beurteilen. Um zu verstehen, warum das
“egoistische Gen” unsinn ist, muss man die Ausführungen von Dawkins
(Das egoistische Gen. Springer Verlag 1978) genau gelesen haben. Dort
(S. 39) definiert er “das Gen als die grundlegende Einheit der
natürlichen Auslese”, was schon darum unsinn ist, weil einzelne Gene
allein in der Natur nicht vererbt werden können. Er schreibt dann
noch: "Ich habe nunmehr das Gen so definiert, daß es wirklich kaum
möglich ist, daß ich nicht recht habe!" Als könnte man durch eine
beliebige Definition die Realität bestimmen. Es mag für die
Szientometrie erschreckend (aber auch höchst interessant) sein, wie
viele Menschen diese Arbeit schon völlig unkritisch zitiert haben. Mit
Qualifikation hat das nichts zu tun.

MfG

Walther Umstätter


Am 2015-09-09 17:20, schrieb Ben McLeish:
Hallo Herr Langhanke und Inetbib-Leser

Das Manifesto gibt es nun auch in Video Form, was fuer manche leichter
ist, als die schriftliche Form (darunter ich selbst!)

https://vimeo.com/133683418

Es gruesst bei der Altmetricon Kongress

Ben McLeish
Product Sales Manager
Ben@xxxxxxxxxxxxx
+447506543635


Altmetric is now tracking scholarly references in Wikipedia! Ask us
for more information.

On 9 Sep 2015, at 15:54, Gerald Langhanke
<gerald.langhanke@xxxxxxxxxxxxxxxxxxx> wrote:


Liebe Inetbib-Leser,

im April 2015 veröffenlichte eine Gruppe renommierter
Wissenschaftsforscher um Diana Hicks and Paul Wouters in Nature
(dx.doi. <dx.doi.org/10.1038/520429a>org/10.1038/520429a
<dx.doi.org/10.1038/520429a>) das "Leiden manifesto for research
metrics" (http://www.leidenmanifesto.org/) um dem Umstand
fehlgeleiterer Forschungsevaluation auf Basis von Forschungsmetriken
entgegenzuwirken. Die Autoren möchten Schaden vom System
Wissenschaft abwenden, der durch die unbedachte oder auch grob
falsche Anwendung von bibliometrischen Methoden entsteht.

Sie schlagen daher 10 Grundsätze vor wie Forschungsleistung mithilfe
von (Biblio)Metriken bewertet werden kann. Ich habe - in Absprache
mit den Autoren - eine deutsche Übersetzung angefertigt, nachdem das
Manifest bereits auch in zahlreiche andere Weltsprachen übersetzt
war (u.a. Chinesisch, Französisch, Spanisch) und hoffe, dass es so
weite Verbreitung und seine 10 Grundsätze breite Anwendung finden.
Es handelt sich um eine kurze, aber sehr lohnenswerte Lektüre, nicht
nur für Bibliothekare, sondern vor allem auch für alle in der
Wissenschaftsverwaltung Beschäftigten.
Streuen Sie den Text gerne auch in die Forschungsdezernate ihrer
Hochsculen etc.

Direktlink:

http://www.leidenmanifesto.org/uploads/4/1/6/0/41603901/leiden_manifesto_german__leidener_manifest.pdf


Ich freue mich sowohl über Anmerkungen zur Übersetzung als auch über
allg. Rückfragen.

Viele Grüße,
Gerald Langhanke

--
Dipl.-Phys. Gerald Langhanke
Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt
Bibliotheksreferendar
ab 10/2015:
Koordinator für elektronisches Publizieren und Forschungsdaten
Fachreferent für Maschinenbau
gerald.langhanke@xxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Tel +49 6151 16-76417

ULB Lichtwiese (im Hörsaal- und Medienzentrum)
Gebäude L4|02, Raum 103
Franziska-Braun-Straße 10
64287 Darmstadt

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