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Re: [InetBib] Open Access



Sehr geehrter Kollege,

inzwischen scheint mir OA ein zunehmend lukratives Geschäftsmodell zu sein,
bei dem meine Sorge um die Qualität der Wissenschaft weiter wächst.
Ein Problem, dass in der Projektforschung ebenfalls diskutiert wird, weil zu viele Projekte bekanntlich scheitern.

Wenn um 1990 eine Zeitschrift mit 150 verkauften Exemplaren, zumeist an Bibliotheken, existieren konnte, so musste sich der Herausgeber permanent um die Qualität Gedanken machen, denn Bibliotheken mussten (und müssen) immer prüfen, was abbestellt werden kann. Wenn dagegen (insbesondere junge) Autoren beim publish or perish ihre Publikationen zunehmend bezahlen, um in ihre Zukunft zu investieren, dann geht das auf Kosten der Qualität, weil immer öfter nur noch die Publikationen gezählt werden, und weil die Gefahr wächst, dass diese Autoren das schreiben, was im Peer Review akzeptiert wird.

Sie haben völlig recht, dass die Uncitedness ein interessantes Maß dafür ist, wie viel gelesen wird, auch wenn ich Zweifel habe, dass 1990 "jeder 7. Fachartikel in Journalen jemals woanders wieder zitiert" wurde, weil es heute fast unmöglich ist alle Journale der Welt wirklich zu erfassen, und weil genauere Untersuchungen dem entgegen stehen. Die meisten Untersuchungen dieser Art wurden im Science Citation Index gemacht, und der hat zwar die wichtigsten Zeitschriften (insbesondere im Bereich Biochemie und aus US-Amerikanischer Sicht - auch Mathematik ist nicht der Fokus des SCI) erfasst, aber eigentlich nur einen Kernbereich. E. Garfield hat sich 1973 Gedanken über die Uncitedness gemacht, aber die Uncitedness IV (I - III s. E. Garfield) vergessen, bei der Autoren bestimmte Arbeiten absichtlich nicht zitieren, um sie aus verschiedensten Gründen möglichst unbekannt zu lassen. Die meisten Schätzungen über die Uncitedness sind ohnehin irreführend, da oft schon nach nur zwei Jahren gezählt wurde, da nicht berücksichtigt wurde in welcher Sprache, in welcher Zeitschrift (mit welchem Impact Factor) publiziert wird, und in welchen bzw. wie vielen Quellen nach Zitationen gesucht wurde.

Im Gegensatz zu der verbreiteten Annahme, dass englischsprachige Zeitschriften an Bedeutung gewinnen, gibt es immer mehr andere Zeitschriften in der Welt, da immer mehr Länder in immer mehr Sprachen sich heute an der globalen Wissenschaft beteiligen. Man schätzt, dass 1900 etwa 90% in Englisch, Französisch und Deutsch waren, wenn es heute noch 50% sind, können wir froh sein. Auch daran kann man sehen, was wir alles nicht mehr lesen und diskutieren (können).

Noch schlimmer ist, dass immer mehr Firmen ihr Wissen geheim halten und nur ihre Werbung publizieren. Einige publizieren auch patentfähige Ideen in völlig unbekannten Zeitschriften und wenig benutzten Sprachen, damit sie niemand findet. Falls die Konkurrenz dann ein Patent beantragt, lässt sich das entsprechend verhindern. Auch eine interessante Form der Uncitedness.

MfG

Walther Umsätter


Am 2015-09-17 17:52, schrieb michael.frank@xxxxxxxxxxxxxxx:
Sehr geehrter Kollege,
Sehr geehrte Kollegin,

da Open Access bedeutet, die Initialkosten und die
Dauerdatenhaltungskosten von den AutorInnen zu nehmen, ist es ein
Geschaeftsmodell. Es ist nicht verboten, als UnternehmerIn taetig zu
werden und fuer sein Geschaeft zu werben. (Das ist wie in Rom: Bei
schoenem Wetter "Selfie,selfie!", bei Regen "Umbrella? Umbrella?".)

Nach der Wende 1990 wurde mir einmal erzaehlt, die Auflage eines
verlagsgebundenen neuen Journals haette eine Rentabilitaetsschranke von
150 verkauften Exemplaren je Auflage - damals fast ausschliesslich an
Bibliotheken. (Das kam aus dem Umfeld der UEbernahme der Zeitschrift fuer Analysis und ihre Anwendungen, Uni Leipzig, durch einen Unternehmer, der mehrere Zeitschriften uebernahm und laengere Zeit fuehrte. Aber nicht von
ihm.)

Ihre Beobachtung zur immer knapperen Zeit zum Lesen gehe ich mit. Das ist
aber nicht neu als Erscheinung. 1990 wurde in der Mathematik nur noch
jeder 7. Fachartikel in Journalen jemals woanders wieder zitiert - und
Mathematik ist ein Gebaeude von Ideen, weniger eine Diskussion mit
verschiedenen Meinungen. (Die Zahl ist mir aus Gespraechen in Erinnerung
und hatte mich damals als junger Wissenschaftler stark beeindruckt. Wer
publiziert schon 6 Artikel von 7 gern fuer die runde Ablage. Eine exakte Quelle kenne ich nicht. - Bei mir persoenlich ging es deutlich guenstiger
aus.)

Drittmitteleinwerbung wird m.E. erst dann interessant, wenn man promoviert
ist. Und auch dann bekommt man diese nicht ohne Nachweis der wiss.
Publikation(en). (Der Fall Schneider als Bauunternehmer in Leipzig und
anderswo war an die Zeit gebunden. Geworbene Drittmittel generieren nicht
automatisch noch mehr Drittmittel. Es ist ein harter Kampf um jedes
Projekt.)

Soweit meine paar abendlichen Gedanken am Rande des OEsterr.
Bibliothekartags. Wir wollten ja diskutieren ... ;-)

Mit freundlichen Gruessen
Michael Frank. (kein Troll)
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Am Do, 17.09.2015, 17:19 schrieb h0228kdm:
Darf ich fragen, ob hier in INETBIB noch mehr Teilnehmer den Eindruck
haben, dass die Open Access Entwicklung immer mehr dahingehend missbraucht
wird, dass Internetteilnehmer aufgefordert werden, Beiträge zu irgend
welchen Zeitschriften mit xxx Impact Factor, Peer Reviewed und indexed in yyy zu liefern. Ich bekomme solche Angebote inzwischen fast täglich, und werde das Gefühl nicht los, dass diese Entwicklung für einige Verlage ein
lukratives Geschäft geworden ist.

Ich weiß allerdings noch nicht, ob dies ein systematischer Versuch von
professionellen Trollen ist, die Open Access Entwicklung zu torpedieren,
oder ob immer mehr Trittbrettfahrer ein für sie neues Geschäftsmodell
entdeckt haben.

Da die Publikationen in solchen Zeitschriften ja Peer Reviewed sind,
konnte ich bislang noch nicht feststellen, dass die Publikationen dieser
Zeitschriften so viel anders sind, als das, was mich auch in vielen
anderen Zeitschriften nicht wirklich interessiert ;-)

Übrigens habe ich auch den Eindruck, dass nicht nur in INETBIB die
Diskussionsfreude abgenommen hat, auch gängige Zeitschriften werden
immer weniger wirklich gelesen und kritisch hinterfragt. 1. Weil es immer
mehr Angebote gibt, für die niemand mehr die Zeit hat, sie wirklich zu
lesen. 2. Weil immer mehr Zeitschriften missbraucht werden um Werbung zu transportieren. 3. Scheint es so zu sein, dass die Zahl an Publikationen für das berufliche Fortkommen langsam an Bedeutung verliert, während die
Einwerbung von Drittmitteln an Bedeutung gewinnt.
4. Könnten einige Bibliotheken nicht die wichtigsten Zeitschriften
abbestellen, wenn deren Bedeutung nicht langsam abnimmt.

Außer dem Heer an Berufstrollen (Troll-Armee, u.a.) und Lobbyistn wird
immer seltener fachlich ernst diskutiert. So frage ich mich zunehmend, was
Bibliothekare heute lernen müssen, wenn der Trend zu den Makerspaces
in Bibliotheken zunimmt.

MfG


Walther Umstätter



Am 2015-09-17 15:15, schrieb markus schnalke:

Hallo.


[2015-09-17 15:02] Michael Schaarwächter
<Michael.Schaarwaechter@xxxxxxxxxxxxxxxxx>


danke für die erneute Anregung, über die Zukunft der Liste
nachzudenken. Die Stellenanzeigen in InetBib sind sicher nicht das
einzige, was diese Liste trägt, aber sie sind schon zu einem
wesentlichen Anteil geworden.

Hier eine kleine Auswertung meines Archives seit:


$ scan f -form '=%{date}'
Wed, 7 Nov 2012 17:25:00 +0100


Insgesamt:


$ folder
l/inetbib+ has 7563 messages  (1-7565); cur=7565

Und hier die Anzahl der Stellenanzeigen/Stellenausschreibungen/
Stellenangebot und Ausbildungen (ohne die Antworten darauf):


$ scan | egrep -i 'stellena|ausbildung' |
egrep -vi 're:|aw:' | wc -l 2152



Das sind rund 28 Prozent.



(In den letzten 365 Tagen waren es 823 von 2551 und damit rund 32%.)



markus schnalke

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http://www.inetbib.de



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Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.