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Re: [InetBib] Abgeleitete Textformate/ TDM-Schranke (§ 60d UrhG)



Lieber Herr Brettschneider, Kolleginnen und Kollegen, 

schafft man sich das in Rede stehende Problem nicht erst dadurch, dass 
plötzlich alles ein Forschungsdatum sein kann. Einen literarischen Text zu 
einem Forschungsdatum zu erklären, ist absurd. Ein Forschungsgegenstand war er 
schon immer und ist er auch weiterhin. Ein Text kann eine Schöpfungshöhe 
aufweisen, die einen Urheberrechtsschutz rechtfertigt. Erhobene, gemessene, 
erstellte oder aggregierte Daten haben keine Schöpfungshöhe. Wohl kann ich aber 
mit oder aus Daten ein Werk schaffen, das seinerseits einen Urheberrechtsschutz 
genießt. Einen Sack voll Sand nennen wir doch auch einen Sack voll Sand und 
nicht Sandkorn oder einen Sack Sandkörner.

Beste Grüße, Falk Hartwig 


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Peter Brettschneider via InetBib [mailto:inetbib@xxxxxxxxxx] 
Gesendet: Dienstag, 10. November 2020 16:09
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Abgeleitete Textformate/ TDM-Schranke (§ 60d UrhG)

Lieber Herr Röpke,

vielen Dank für den spannenden Beitrag den Sie und Ihre Mitstreiterinnen und 
Mitstreiter verfasst haben! Gerade weil das Recht der aus wissenschaftlicher 
Perspektive gewünschten Nutzung urheberrechtlich geschützter Daten Grenzen 
setzt und auch nach der anstehenden Urheberrechtsänderung im Sommer 2021 weiter 
setzen wird, finde ich den von Ihnen verfolgten technischen Lösungsansatz 
außerordentlich interessant.

Lieber Herr Hartmann,

ich begrüße und teile Ihr Eintreten für ein wissenschaftsfreundliches 
Urheberrecht. Gleichwohl habe ich mit Ihrer Aussage "Daten sind 
urheberrechtsfrei" - zumindest in dieser Pauschalität - meine Probleme. 
Wenn diese zutreffen würde, dann wäre § 60d UrhG weitgehend überflüssig. 
Er wäre höchstens noch als Schranke der Rechte an Datenbanken notwendig. 
Trotzdem haben Sie unzweifelhaft recht, sofern man eine Datendefinition 
zugrunde legt, die auf Bits und Bytes abzielt. Wenn man als Forschungsdatum 
hingegen z.B. den Text eines Literaten, den Zeitungsbeitrag eines Journalisten 
oder die Satellitenaufnahme eines Astronomen versteht, wird schnell deutlich, 
dass Forschungsdaten im Einzelfall sehr wohl urheberrechtlichen Schutz genießen 
können. Anders
ausgedrückt: Ob Daten urheberrechtsfrei sind, muss leider für jedes 
Forschungsvorhaben gesondert geprüft werden. In manchen Fälle ist dies einfach 
zu bejahen, in anderen hingegen mit erheblichem Aufwand verbunden (z.B. wenn 
Gemeinfreiheit eingetreten sein könnte und dafür das Todesdatum von Urhebern zu 
ermitteln ist).

Ich verstehe aber Ihre Intention und danke Ihnen dafür, dass Sie daran 
erinnern, dass man den urheberrechtlichen Schutz von Forschungsdaten nicht 
einfach pauschal unterstellen sollte.

Mit besten Grüßen

Peter Brettschneider


Am 10.11.2020 um 11:34 schrieb Thomas Hartmann via InetBib:
Guten Morgen Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Röpke,

besten Dank für den Hinweis auf diesen Artikel, in dem detaillierter 
TDM, dessen urheberrechtlichen Einzelheiten und eher politische 
Einordnungen vorgestellt werden. Über den angesprochenen Ausweg, 
Datencorpora eher segmentiert bzw. sequentiell zu nutzen, und damit 
eventuelle vereinzelte Urheberrechtsbarrieren technologisch zu 
umgehen, haben wir auch schon nachgedacht; generell erscheint es 
natürlich nicht wünschenswert, einzelne Methoden oder Tools in einem 
Innovationsfeld wie TDM speziell bzw. "nur" vorauseilend wegen 
eventueller Urheberrechtsunklarheiten zu empfehlen.

Ich möchte dazu aufrufen, sich zuerst nur zwei Grundprinzipien des
Urheber- und Immaterialgüterrechts zu vergegenwärtigen:

1.) Daten sind urheberrechtsfrei (!)

2.) "Das TDM selbst ist in der Regel keine urheberrechtsrelevante 
Handlung" (!), Quelle: Artikel

Wenn wir dann noch berücksichtigen, dass die dem TDM zugrunde 
liegenden Daten- und Textcorpora von unseren öffentlichen 
Einrichtungen regelmäßig umfassend eingekauft werden, sollten wir 
nicht unreflektiert urheberrechtlich schmale Argumente v.a. der 
Rechteinhaber annehmen, die ihren Ursprung vor vielen Jahrzehnten 
haben. Die in dem Artikel näher besprochenen Bestimmungen bringen 
Komplexität und Unsicherheit für die Anwender/innen mit sich, welche 
die Nutzung von TDM behindern kann (denken Sie nur an andere 
"Vorbilder" wie Zweitveröffentlichungsrechte, elektronische Leseplätze).

Das ist keine Kritik speziell an dem Artikel, in dem die Autoren/innen 
immerhin stellenweise - wenn auch vorsichtig - konstatieren, dass die 
Sache "schief" liege. Grundlegender positioniert sich (generell zum
Urheberrecht) das vor wenigen Tagen von einer interdisziplinären 
Forschergruppe veröffentlichte "Urheberrecht 2030– Memorandum zur 
Zukunft des kreativen Ökosystems in Europa", siehe 
https://eu2020-bmjv-intellectual-property.de/storage/documents/Copyrig
ht_2030_de.pdf

Viele Grüße, Thomas Hartmann (FIZ Karlsruhe)


Am 09.11.2020 um 21:58 schrieb Röpke, Jörg via InetBib:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

hiermit möchte ich Sie auf den Artikel "Abgeleitete Textformate: Text 
und Data Mining mit urheberrechtlich geschützten Textbeständen", 
erschienen in der "Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften"
(ZfdG), aufmerksam machen.

http://dx.doi.org/10.17175/2020_006

Das "Text und Data Mining" (TDM) mit urheberrechtlich geschützten 
Texten unterliegt trotz der TDM-Schranke (§ 60d UrhG) weiterhin 
Einschränkungen, die u. a. die Speicherung, Veröffentlichung und 
Nachnutzung der entstehenden Korpora betreffen und das volle 
Potenzial des TDM in den Digital Humanities ungenutzt lassen. Als 
Lösung werden "abgeleitete Textformate" vorgeschlagen: Hier werden 
urheberrechtlich geschützte Textbestände so transformiert, dass alle 
wesentlichen urheberrechtlich relevanten Merkmale entfernt werden, 
verschiedene einschlägige Methoden des TDM aber weiterhin zum Einsatz 
kommen können. Bibliotheken und Archiven kommt hierbei eine zentrale 
Rolle bei der Etablierung abgeleiteter Textformate zu, weil sie 
rechtmäßigen Zugang zu umfangreichen urheberrechtlich geschützten 
Textbeständen haben.

Grüße

Jörg Röpke
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Abteilungsleiter EDV und Digitale Medien Fachreferent 
Informatikwissenschaften u. Mathematik

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