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Re: Verlustdatenbank der Anna-Amalia-Bibliothek



On Wed, 22 Sep 2004 20:50:02 +0200
 Martin Bucher <mbucher@xxxxxxxxxxxxxxx> wrote:
> 
> Worin besteht eigentlich genau der Schaden bei diesem
> Bibliotheksbrand?
> 
> Ich sehe ein, es ist (wieder) ein Stueck "Geschichte zum
> Anfassen" vernichtet 
> worden, auch eine einzigartige Sammlung von Buechern
> (gilt IMHO fuer jede
> Bibliothek) ist stark geschrumpft. Die aelteren Buecher
> sind wohl auch wert-
> voll in dem Sinne, dass es genug Menschen gibt, die
> bereit sind fuer solche 
> Buecher viel Geld zu bezahlen, weil es halt nur noch
> wenige Exemplare davon
> gibt. Aber sind denn wirklich Buecher verbrannt, deren
> Inhalt noch nicht
> (oder nicht mehr) bekannt war? Ist wirklich Information
> vernichtet worden?
> Das empfaende ich dann als grossen Schaden, der durch
> Digitalisierung dieser
> Werke haette verhindert werden koennen. 

Ich schuettle noch mehr den Kopf ueber Sie als Herr Rohde.
Das leidige Dublettendenken, das zur Vernichtung
hochrangiger Sammlungen wie der Hofbibliothek
Donaueschingen oder der Eichstaetter Kapuzinerbibliotheken
(in schaendlicher Weise nach wie vor ungestoert betrieben
durch Dr. Littger, einen hochangesehenen Bibliothekar) auch
ganz ohne Brandkatastrophen gefuehrt hat, begreift nicht,
dass alte Buecher in historischen Sammlungen genauso
Unikate sind wie Handschriften [1] (und leider sind ja auch
unzaehlige Notenhandschriften in Weimar vernichtet worden).
Es wurden in Weimar viele Privatbibliotheken (Provenienzen)
zerstoert (u.a. von Logau), deren Einzelteile sich zu einem
komplexen Gewebe zusammensetzen, einem Buchensemble, das
vielleicht in unterschiedlicher Weise zusammenkam (davon
koennen Kaufvermerke berichten), das vielleicht
vereinheitlicht wurde (davon koennen Einbaende berichten)
und mit dem oft gearbeitet wurde (davon koennen Marginalien
Zeugnis ablegen, aber moeglicherweise wissen Sie ja gar
nicht mehr, was Marginalien sind ...). Das ganze ist mehr
als die Summe der (moeglicherweise ersetzbaren) Teile, es
ist durch einen elektronischen Katalog der Titel nicht
angemessen repraesentiert (wobei es besonders traurig ist,
dass diejenige Bibliothek betroffen ist, die mehr als alle
anderen - mehr auch als Wolfenbuettel, das sich ja immer
als DIE Altbestandsbibliothek bruestet -
Provenienzforschung gefordert und betrieben hat), und auch
eine Verfilmung oder Digitalisierung (so sehr ich sie
begruesst haette) kann bestimmte buchgeschichtlich wichtige
Qualitaeten nicht angemessen repraesentieren (von den
vielleicht auf die Buchgeschichte zukommenden
naturwissenschaftlichen Moeglichkeiten der Analyse des
realen Buchs einmal ganz abgesehen). Dass ein solcher
Beitrag wie der Ihre, Herr Bucher, hier in INETBIB zu lesen
war, finde ich alles andere als ein gutes Zeichen.

Klaus Graf

[1] Der Theologieprofessor Anselm Steiger ueber das
loebliche Vorgehen der Ev. Landeskirche in Wuerttemberg,
die die Einzelbestaende zusammenfuehrt, ohne Dubletten
auszuscheiden: "Eine ?Dubletten?-Aussonderung findet nicht
statt, schon darum, weil es bezüglich der frühneuzeitlichen
Drucke Dubletten nicht gibt, sondern jeder Druck aufgrund
von Provenienz, Besitzvermerken, Anstreichungen und
marginalen Bemerkungen seinen eigenen, ebenfalls
gewachsenen Charakter besitzt - so wie die jeweiligen
Sammlungen organische Einheiten bilden und von
Unverwechselbarkeit geprägt sind."
http://www.deutsches-pfarrerblatt.de/pfarrerblatt/servlet/de.pfarrerblatt.servlet.Query?mode=article&id=1019


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.