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[InetBib] Juristen und Open Access



Liebe Liste,

ich denke nicht, dass Juristen eine Abneigung gegenüber Open Access haben. 
Juristen sind vielmehr ausgesprochen bibliophile Leute und wollen daher ihre 
Werke nicht als bloße pdf's, sondern in gedruckter Form vor sich haben.

Bedenkt man den im Vergleich zu anderen Fächern überragenden Stellenwert von 
Dissertationen für die juristische Diskussion, könnte man sehr effektiv hier 
ansetzen und als Bibliothek für juristische Arbeiten auch preislich 
interessante hybride Modelle anbieten. Mittelfristig brächte das sehr 
interessanten content auf die Server und die Juristen auf den Geschmack, auch 
für die Aufsätze mehr und mehr in Richtung Open Access zu denken.

Ich habe in diesem Zusammenhang meine eigene Arbeit als Selbstversuch angelegt. 
Da sie durchaus annehmbar war, wurde mir angeboten, sie in einer der bei 
Juristen sehr geschätzen Reihen in dem Berliner Verlag mit den himmelblauen 
Büchern zu publizieren. Ich habe das mit dem Hinweis, dass dies für mich vor 
dem Hintergrund meiner Aktivitäten für Open Access berufsschädlich sei, 
abgelehnt und zunächst Unverständnis geerntet.

Die für mich geltende Promotionsordnung in Münster sah eine elektronische 
Publikation übrigens nicht vor. Ich habe daher die Arbeit als Buch in einem 
kleinen, aus juristischer Sicht nur als "nobody-Verlag" zu bezeichnenden 
Verlagshaus erscheinen lassen und parallel den Buchblock auf insgesamt vier 
Repositorien gelegt.

Die Lehrfreiheit katholischer Theologen an den staatlichen Hochschulen in 
Deutschland. -
Münster : Verl.-Haus Monsenstein und Vannerdat, 2006. - XXIV, 367 S. -
(Theologie und Hochschule ; 2) ISBN 978-3-86582-334-2
Zugl.: Münster, Univ., Diss., 2006.
http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=6304

Die Bilanz nach 1 1/2 Jahren kann sich sehen lassen:

Das gedruckte Buch steht in rund 50 Bibliotheken (sogar in Yale), teilweise in 
zwei Exemplaren.

Im Online-Bereich gab es deutlich über 1.000 Volltextzugriffe.

Bislang sind fünf Rezensionen bzw. umfangreiche Anzeigen in für mein Thema 
durchaus wichtigen Zeitschriften erschienen, z.B.:  Neue Zeitschrift für 
Verwaltungsrecht (NVwZ), Archiv für kathoisches Kirchenrecht (AfkKR), 
Zeitschrift für Wissenschaftsrecht (WissR) und Theologische Revue (ThRev.). 
Zitate gibt es bereits in Lehrbüchern (zB. Hufen, Grundrechte, Beck-Verlag) und 
Fachaufsätzen.

Ich glaube nicht, dass eine Publikation in einer "anerkannten Reihe" eines 
"renommierten Verlages" hier unterm Strich mehr gebracht hätte. Vielmehr haben 
bei der von mir gewählten Art des Publizierens alle einen Vorteil: Ich als 
Autor habe viel Geld gespart, der Leser kann mein Buch überall auf der Welt 
kostenlos einsehen und wenn er will zu einem fairen Preis von 27,50 ? kaufen. 
Was will man mehr? Ich jedenfalls würde mich heute genauso wieder für den 
hybriden Weg entscheiden wie damals.

Ich kenne Fälle von Kollegen, die erheblich weniger Resonanz für ihre 
thematisch durchaus interessanteren Arbeiten erfahren haben, dafür bei ihrem 
Verlag aber die drei- bis vierfachen  Kosten hatten. Selbstredend mußten auch 
diese Kollegen das gesamte Layout selbst erstellen. Und selbstredend ist der 
Text nicht im Netz verfügbar.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn man Modelle hybriden Publizierens an den 
Juristischen Fakultäten etablieren könnte, wäre das eine feine Sache. Die 
Juristen, die ich kenne, sind hier nicht unwillig, sie kennen diese 
Möglichkeiten nur einfach nicht. 

Wenn sie es wüßten, würden sie einen solchen Weg sicher auch selbst 
beschreiten. 
Auf das Beispiel der Hagener Dissertation von Christian Neumann hatte ich hier 
schon einmal hingewiesen.
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg34191.html

Oder ein ganz frisches Beispiel aus Ilmenau: Im Unversitätsverlag ist gerade 
der dritte (!) Band der Medienrechtlichen Schriften erschienen, herausgegeben 
von Frank Fechner, einem nicht ganz unbekannten Medienrechtler.

Crossmediale Fusionen und Meinungsvielfalt: Juristische und ökonomische 
Betrachtungen / mit Beiträgen von Dieter Dörr ... Hrsg. von Frank Fechner. -  
Ilmenau, 2007. - Medienrechtliche Schriften ; 3
ISBN 978-3-939473-24-4
Preis: 15,80 ?
http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=9402

Im Vorwort spricht Fechner vom "Experiment des hybriden Publizierens", dessen 
Erfolge bei den ersten beiden Bänden bereits dokumentiert werden konnten.

Was in Ilmenau, Münster oder Hagen ging, geht anderwo auch. Man muss es nur 
einrühren!


Eric Steinhauer



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.