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Re: [InetBib] Wikipedia als Goldesel?



On Thu, 18 Feb 2010 15:54:28 +0100
 "Pannier, Dietrich" <Pannier-Dietrich@xxxxxxxxxxx> wrote:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Zum Glück habe ich nie als Landes- und
Pflichtexemplarbibliothekar gearbeitet, der in seinem
Einzugsbereich rechteste und linkeste "Verlage" hatte und
Porno-Lieferanten.

Mich widert eine solche Argumentation nur an. Das erinnert
an die Bibliothekare der 1950er Jahre, die einen
heroischen, aber letztlich vergeblichen Kampf gegen
"Schmutz und Schund" fuehrten. 

"Vom Zeitpunkt seiner Publikation an entwickelt jedes
Druckwerk ein Eigenleben. Es bleibt nicht nur
vermögenswertes Ergebnis verlegerischer Bemühungen, sondern
wirkt in das Gesellschaftsleben hinein. Damit wird es zu
einem eigenständigen, das kulturelle und geistige Geschehen
seiner Zeit mitbestimmenden Faktor (zur Parallele im
Urheberrecht vgl. BVerfGE 31, 229 [242] -
Schulbuchentscheidung). Es ist, losgelöst von
privatrechtlicher Verfügbarkeit, geistiges und kulturelles
Allgemeingut. Im Blick auf diese soziale Bedeutung stellt
es ein legitimes Anliegen dar, die literarischen
Erzeugnisse dem wissenschaftlich und kulturell
Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu machen
und künftigen Generationen einen umfassenden Eindruck vom
geistigen Schaffen früherer Epochen zu vermitteln." (So das
Bundesverfassungsgericht in seiner bekannten und von
Bibliotheksjuristen immer gern zitierten
Pflichtexemplarentscheidung.)

Die Neutralitaetspflicht des Staates verbietet es, bei
Pflichtexemplaren zwischen guter und schlechter Literatur
zu differenzieren. Fuer einen Archivar waere es
selbstverstaendlich, bei der Bewertung subjektive Vorlieben
zurueckzudraengen.

Wirklich niedrigstehend sind nicht die Produzenten von
Schmutz und Schund, sondern die Bibliothekare, die sich ein
Urteil anmaßen, das ihnen nicht zusteht.

Klaus Graf

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