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Re: [InetBib] Klartext: Suppenküche Öffentliche Bibliothek



Lieber Herr Steinhauer,

ich kann und mag nicht über den Bibliotheksauftrag diskutieren, das ist Aufgabe 
der jeweiligen Träger, die Auftrag und zugehöriges Budget festsetzen. Ich habe 
mich bemüht den Auftrag in einer allgemeinen Formulierung nachzulesen, damit 
ich daraus eine mögliche Trennlinie der Ausleihe- und MIetmodelle von 
Bibliothek und Verlagen ableiten kann. Dabei bin ich (faul wie man eben ist) 
zunächst auf Wikipedia gegangen. Da fand ich diese Liste:
        • Medien für Aus- und Weiterbildung und Beruf
        • freier Zugang zu Informationen
        • Medien zur Unterhaltung und Freizeitgestaltung
        • Förderung der Informations- und Medienkompetenz
        • Ort der lokalen Kultur
        • Lernort
        • Ort der Begegnung und Kommunikation
Aus diesen Punkten war für mich erkennbar, dass ein Konflikt der Modelle NICHT 
besteht, wo immer es um den ORT der Bibliothek geht. Deshalb habe ich in meinem 
Vorschlag die erste Stufe (komplettes E-Book Angebot für minimale Kosten) 
vorgesehen. 
Dann folgen die Punkte, wo es um den freien Zugang zur Information geht. Das 
interpretiere ich als Auftrag, denen, die sonst keinen freien Zugang hätten 
diesen zu gewähren. Da kommt die verkürzende Formulierung "sozial Schwache" her.
Als nächste Stufe hatte ich die Förderung der Informations- und Medienkompetenz 
sowie die Aus- und Weiterbildung gesehen, für Schüler und Studenten an erster 
Stelle, und natürllich auch für andere Gruppierungen zur Förderung der 
gesellschaftlichen Integration. 

Übrig bleiben aus dieser Liste nun die Punkte "Medien zur Unterhaltung und 
Freizeitgestaltung" sowie die Weiterbildung und der freie Informationszugang 
für alle, die nicht darauf angewiesen sind.

Ich habe also eine Abgrenzung versucht, die zwar nicht alle in weitester 
Definition beinhaltet, die aber nach meiner Auffassung den größten Teil des 
Bibliotheksauftrags abdeckt und nur dort Einschränkungen macht, wo es relativ 
unproblematisch ist. Sie schreiben auch davon, dass es nicht Aufgabe der 
Bibliotheken ist Freizeitlektüre zum Nullpreis anzubieten. So hatte ich das 
auch verstanden.

Dass ich damit so einen sensiblen Punkt treffe, nämlich die Definition des 
Bibliotheksauftrags, das war mir nicht klar, finde ich aber jetzt ausgesprochen 
interessant und lehrreich. Es ist aber jedenfalls verkürzend, meine Position zu 
beschreiben als "Bibliotheken seien etwas für Leute mit kleinem Geldbeutel".

Zum Gedächtnispart: da wir gerade die 100 Jahre DNB gefeiert haben ist doch 
allgemein bekannt, dass es eine Verlegerinitiative war, die 1912 und 1948 zur 
Gründung der Büchereien in Leipzig und Frankfurt geführt haben. Und wer schon 
einmal im Beirat der DNB war, der weiß, dass das Engagement der Verlage und 
damit auch das Wissen um die Bedeutung der Gedächnisspeicherfunktion immer da 
war. Daran hat sich nichts geändert.

Und noch zum Thema nachhaltige Landwirtschaft: Ich halte das Thema 
Leseförderung und Förderung der Medien- und Informationskompetenz für  
vernachlässigt in der öffentlichen Diskussion. Und aufgrund der Streitereien 
zwischen den Verbänden haben wir in den vergangenen Jahren auch nicht die 
Gelegenheiten genutzt, in denen wir das Thema im Bewustsein der Politik und der 
Öffentlichkeit so hätten positionieren können, dass die Finanzausstattung der 
öffentlichen Bibliotheken dadurch gestärkt worden wäre. Initiativen dazu hatten 
wir schon gestartet. Aber auch diese sind leider dem Prinzip "lieber 
gegeneinander als miteinander" zum Opfer gefallen.

Freundliche Grüße
Matthias Ulmer


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Verlag Eugen Ulmer
Matthias Ulmer
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Eugen Ulmer KG
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Registergericht Stuttgart, HRA 581
Geschäftsführer: Matthias Ulmer





Am 17.10.2012 um 11:16 schrieb Eric Steinhauer:

Lieber Herr Ulmer, liebe Liste,

ich bin sehr erstaunt und auch positiv überrascht, was für eine gute und 
interessante Diskussion auf Inetbib sich auf meinen kleinen Hinweis 
entwickelt hat. Zur Diskussion mit dem dbv kann ich gar nichts sagen. 
Ich bin, da ich keinerlei verbandliche Funktionen im Bibliothekswesen 
ausübe, bei diesen Fragen bloß interessierter Privatier und Amateur.

Wenn ich es recht sehe, habe ich in meinem posting aber zu dem zentralen 
Thema der Diskussion, "eBook und Bibliotheken" nämlich, gar nichts 
gesagt. Mir ging es allein um Ihre Einschätzung, Bibliotheken seien 
traditionell etwas für Leute mit kleiner Geldbörse. Diese Sicht finde 
ich vollkommen inakzeptabel!

Bibliotheken, auch die öffentlichen Bibliotheken, sind nicht im Stil der 
alten Mietbücherei dazu da, Freizeitlektüre zum Nullpreis anzubieten. 
Bibliotheken verstehen sich umfassender als Ort, an dem breiter Zugang 
zu publizierter Information eröffnet wird. Was Bibliotheken gegenüber 
den im Handel verfügbaren Inhalten hier auszeichnet, ist ihre Funktion 
als strukturiertes Gedächtnis, denn sie haben Bestände, die man,  wenn 
überhaupt, nur noch antiquarisch kaufen kann. Was mir immer missfällt in 
der Diskussion über die Rolle von Verlagen und Bibliotheken, ist, dass 
Verlage vergessen, dass sie als Wirtschaftsunternehmen den 
Gedächtnispart der Bibliotheken überhaupt gar nicht spielen können.

Diese Rolle aber ist unverzichtbar. Vielleicht nicht für den kulturell 
anspruchslosen Durchschnittsleser, in vielen Fällen aber für eine Gruppe 
von Personen, die Verlage sehr pflegen sollten: Ich meine die Autoren. 
Bücher entstehen nicht im kulturellen Vakuum, sondern in einem Kontext, 
in dem Bibliotheken gerade als Gedächntnis unverzichtbar sind.

Die Bibliotheksgesetze bilden daher nicht, wie Sie meinen, die Printwelt 
ab, sondern eine Welt, in der Grundrechte wie Informationsfreiheit oder 
Wissenschaftsfreiheit einen Wert darstellen, der durch öffentliche 
Institutionen gesichert wird. Ich bin überzeugt, dass wir auch in der 
digitalen Welt diesen Wert brauchen.

Natürlich ist es eine große Versuchung für Verlage, im digitalen Bereich 
die Wertschöpfungskette abzukürzen und dem denkbaren Maximalziel einer 
Seitenumblättergebühr, um es einmal salopp auszudrücken, näherzukommen. 
Klar, dass Bibliotheken hier stören und nur noch nachrangig bedient 
werden. Den Verlagen sollte dann aber schon klar sein, dass sie ihre 
Produkte, wenn sie ausschließlich auf einem kommerziellen Wege 
vertrieben werden, dann dem kulturellen Gedächntnis weitgehend entziehen 
und auf das Niveau einer Zeitungsmeldung abwerten, an die nach fünf 
Jahren keiner mehr denkt. Ob diese Strohfeuerpolitik der bei anderen 
Gelegenheiten immer betonten kulturellen und gesellschaftlichen 
Verantwortung von Verlagen gerecht wird, darf streitig diskutiert werden 
und stellt für mich eine der größten Herausforderungen des digitalen 
Wandels dar. Hier wäre es schön, das einmal in einem angemessenen 
Rahmen, mit Zeit und Ruhe zu tun. Diesen Rahmen sehe ich derzeit nicht.

Zum Schluss, lieber Herr Ulmer, möchte ich Ihnen an einer Stelle 
widersprechen: Das Verhältnis von Bibliotheken und Verlagen war niemals 
wirklich harmonisch, auch nicht im Printzeitalter.

Ein schönes Beispiel, weitere lassen sich leicht finden, bietet dieser 
Text : Gutav Freytag, /Luxus und Schönheit im modernen Leben. Die Anlage 
von Hausbibliotheken/. In: Die Grenzboten 11/2, 1852, S. 102-109).

Quelle bei Google: 
http://books.google.de/books?id=rxhGAAAAcAAJ&lpg=PA102&ots=xwsdYqx-DM&dq=%22Luxus%20und%20Sch%C3%B6nheit%20im%20modernen%20Leben.%20Die%20Anlage%20von%20Hausbibliotheken%22&hl=de&pg=PA102#v=onepage&q=%22Luxus%20und%20Sch%C3%B6nheit%20im%20modernen%20Leben.%20Die%20Anlage%20von%20Hausbibliotheken%22&f=false

Hier eine kleine Leseprobe in der Qualität des Google-OCR (Fraktur!):
"Die laufenden literarischen Bedürsnisse der übrigen Zeit befriedigen 
die Leihinstitute. Dieses knickerige Verhalten sehr vieler wohlhabender 
Privatleute hat auf die gesammte deutsche Literatur großen Einfluß 
ausgeübt, und viel dazu beigetragen, die Schriststeller sowol, als den 
Buchhandel zu drücken, ja zuweilen zu eorrumpiren und au/ Abwege zu 
führen; ferner aber hat es einen eigentümlichen Industriezweig zu großer 
Ausdehnung gebracht, die Leihinstitute für Bücher, Zeitschriften u. s. 
w. Der große Nutzen dieser Leihanstalten soll hier nicht verkannt 
werden, aber ihre Stellung zum deutschen Bücherverkauf ist eine sehr 
gefährliche geworden."

Der Konflikt, den Sie bei den eBooks beschreiben, ist also alt. Genauso 
alt ist aber die Verantwortung, die Verlage und Bibliotheken gemeinsam 
für ein kulturelles "Ökosystem" tragen. Oder um ein ländliches Bild zu 
gebrauchen: eine gute Kuh düngt die Weide, auf der sie frisst. :)

Herzlicher Gruß
Eric Steinhauer

-- 
Dr. Eric W. Steinhauer
Dezernent für Medienbearbeitung
Fachreferent für Allgemeines, Rechts-, Staats- und Politikwissenschaft
Fernuniversität in Hagen - Universitätsbibliothek
Universitätsstr. 21 - 58097 Hagen
Tel: 02331 / 987 - 2890
Fax: 02331 / 987-346

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