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[InetBib] Bibliothekar*tag
- Date: Wed, 30 Jun 2021 13:56:13 +0200
- From: Heidrun Wiesenmüller via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] Bibliothekar*tag
Liebe Kolleg:innen,
ich bin zwar nicht Germanistin, sondern Anglistin, möchte aber dennoch 
einen sprachwissenschaftlichen Aspekt einbringen.
Disclaimer:
1. Ich gehe nur auf einen einzigen Punkt ein, nämlich das Gendering. 
Dass es weitere Aspekte gibt, ist mir bewusst.
2. Ich habe einen gewissen Lernprozess benötigt, halte aber mittlerweile 
Gendern für sehr wichtig und versuche es persönlich konsequent 
umzusetzen. Auch in der von mir mitverantworteten Fachzeitschrift o-bib 
wird selbstverständlich gegendert.
3. Bitte verstehen Sie meinen Hinweis als zusätzlichen Hintergrund für 
die Diskussion. Weder möchte ich diese abwürgen noch in eine bestimmte 
Richtung lenken. Aber ich würde gerne verständlicher machen, warum der 
erste Teil des Namens "Bibliothekartag" unter Gender-Aspekten nicht von 
allen gleich beurteilt wird.
Mir scheint, dass das Wort "Bibliothekartag" von vielen Menschen heute 
in einer neuen Weise verstanden wird, was vermutlich mit der erhöhten 
Sensibilisierung für Gender-Aspekte insgesamt zu tun hat.
Es wurde schon auf die in einer bestimmten Zeit gängige Wortbildung von 
Personengruppe + Tag für Konferenzen hingewiesen, z.B. Juristentag, 
Germanistentag, Romanistentag, Ärztetag, Historikertag. Der erste Teil 
des Kompositums ist dabei ein Plural, natürlich in der Maskulinform - 
entsprechend dem, was damals üblich war (und wahrscheinlich vielfach 
auch der Realität entsprochen haben dürfte). Das Pendant hätte also 
"Bibliothekaretag" heißen müssen, was aber sprachlich nicht geht; 
deshalb ist das "e" bei der Wortbildung ausgefallen. Der erste Teil des 
Kompositums ist also gar kein vollständiges Wort, sondern nur der 
Wortstamm (Bibliothekar*).
Man könnte dies als sprachgeschichtlichen Glücksfall betrachten, weil 
anders als z.B. beim "Romanistentag" eben kein generisch-maskuliner 
Plural im Veranstaltungsnamen steht. Die "trunkierte" Form hat kein 
grammatisches Geschlecht und der Wortstamm kann sowohl für 
"Bibliothekare", "Bibliothekarinnen" oder "bibliothekarisch" stehen. 
(Nebenbei: Ich erinnere mich daran, dass beim Übergang von RAK auf RDA 
kritisiert wurde, dass Abkürzungen wie "Hrsg." zugunsten der Vollformen 
aufgegeben wurden. Denn damit gab es plötzlich ein Gendering-Problem, 
das man mit der Abkürzung nicht hatte.)
Ich habe tatsächlich erst aufgrund der aktuellen Diskussion verstanden, 
dass viele innerhalb und außerhalb unseres Berufsstands den ersten Teil 
des Kompositums nicht wie ich als verkürzten Plural, sondern als 
Singular Maskulin auffassen, also als "Tag des Bibliothekars". Das 
erklärt dann auch die kuriose Form "Bibliothekarstag", die ich in 
jüngerer Vergangenheit immer öfter gehört habe.
Wenn man den Namen als "Tag des Bibliothekars" versteht, dann kann ich 
sehr gut nachvollziehen, dass man sich daran stößt. Und wenn diese 
Lesart im Jahr 2021 offenbar weit verbreitet ist, dann kann man das 
natürlich auch nicht ignorieren.
Aber vielleicht wird für diejenigen, die das so auffassen, jetzt 
verständlicher, warum andere bei dem Namen gar keine Gender-Problematik 
sehen.
Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller
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Prof. Heidrun Wiesenmüller M.A.
Hochschule der Medien
Studiengang Informationswissenschaften
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