Lieber Herr Umstätter,
in Ihrer Mail mischen sich wiederum in äußerst bunter Weise zwei gänzlich verschiedene Konzepte, die, man mag sich da anstrengen wie man will, nicht kompatibel sind: Evolution ist ein Begriff für die Entwicklung natürlicher Systeme, Revolution dagegen ein Handlungsbegriff aus der Politik(wissenschaft) und Geschichte/Geschichtswissenschaft. Letzterer meint immer, daß Handeln als teleologisch zu verstehen ist und daß genau die von reflektierenden Subjekten geführte Auseinandersetzung um die Ziele und dann um die Methoden und Mittel der Zielerreichung der springende Punkt ist; das Konzept der Evolution hingegen ist der großangelegte Versuch, ohne Zielursachen und also gänzlich ohne Teleologie auszukommen.
Es ist nun mehr als evident, daß die Rechtschreibreform ein Vorgang
ist, der mit Evolution nicht das geringste, mit Revolution oder
überhaupt mit zielgeleitetem Handeln und der Auseinandersetzung um
Ziele sehr viel zu tun hat. Ebendeshalb DISKUTIEREN wir die Sache hier
ja auch: weil wir uneins sind und verschiedene politische Konzeptionen
aufeinandertreffen. Ihr Versuch, die Rechtschreibreform in eine
"Evolutionsstrategie" einzubetten, verkennt diese politische
Dimension; und ist auch amüsant, denn schon der Begriff konterkariert
sich selbst: die Evolution kann gar keine "Strategie" haben, eben weil
sie nicht teleologisch ist; und wenn Sie das Gegenteil meinen, reden
Sie nicht mehr von Evolution, sondern von etwas anderem.
Uwe Jochum