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Re: [InetBib] Antw: Re: Nutzungsrechte an Diplom-, Master- und Bachelor-Arbeiten



On Thu, 24 Jul 2008 09:27:53 +0200
 Rainer Kuhlen <rk_iw@xxxxxx> wrote:
Eine Veröffentlichungsverpflichtung für solche
Abschlussarbeiten halte ich nicht für wünschenswert. 

Genau das ist die uebliche, von jedweder Empirie unbeleckte
Ignoranz. Ueber jeden Sch*** pflegt die Hochschulforschung
zu handeln, aber noch nie hat sie sich dem hier
besprochenen Problem gestellt, welche wissenschaftlichen
und volkswirtschaftlichen Schaeden durch die
Nicht-Veroeffentlichung der Abschlussarbeiten entstehen.

(1) Wenn Konsens besteht, dass es Dissertationen gibt, die
besser nicht veroeffentlicht worden waeren, sollte man sich
auch darueber einigen koennen, dass es Abschlussarbeiten
gibt, die veroeffentlicht werden muessten, es aber nicht
werden.

Die Frage ist, welchen Anteil diese Arbeiten haben. Ist er
vernachlaessigbar, koennen wir das Problem abhaken.

Es gibt genuegend Moeglichkeiten, kostenfrei solche
Arbeiten zu publizieren: bei Dr. Mueller, Diplomica,
Contentgrin, teilweise auch auf den Schriftenservern. Es
wird aber nur ein kleiner Teil aller Arbeiten dort (oder
gelegentlich im Druck) publiziert, und nichts spricht
dafuer, dass dies genau die Arbeiten sind, deren
Nicht-Veroeffentlichung zu bedauern ist.

Die meisten Absolventen haben keinen Anreiz fuer eine
Publikation. Sind es gute Leute, sind sie oft schnell im
Beruf und haben dann fuer die ihres Erachtens noetige
Ueberarbeitung keine Zeit.

Der Anreiz, dass die Betreuer Arbeiten zur
Veroeffentlichung vorschlagen, ist denkbar gering. Fuer
sich selbst brauchen sie sie nicht, sie haben ja ein
Exemplar vom Kandidaten erhalten, das sie nutzen koennen:

http://lexetius.com/1980,1

Da der hochschuleigene Schriftenserver kaum einem Professor
bekannt sein duerfte, wird er bei Veroeffentlichung an eine
Druckveroeffentlichung denken. Sich darum zu bemuehen,
macht Arbeit und kostet Zeit.

Die Veroeffentlichungspflicht ist erforderlich, weil der
Schaden, der entsteht, wenn man das Problem wie gehabt der
Eigeninitiative des Absolventen bzw. des Betreuers bzw.
Ablieferungsgepflogenheiten an die zustaendige
Institutsbibliothek ueberlaesst, nicht vernachlaessigbar
ist.

(2) Die Wirtschaftskooperationen betreffen einen Sonderfall
und sind fuer geisteswissenschaftliche Arbeiten nicht
relevant. Zudem habe ich fuer den Fall der
Betriebsgeheimnisse eine Ausnahme vorgeschlagen. Und
bereits jetzt wissen Wirtschaftsunternehmen doch, dass
Kandidaten ausserhalb der Unis ihre Arbeiten publizieren
koennen.

(3) Wenn man es mit deutschen Verhaeltnissen vergleicht,
ist Oesterreich absolut vorbildlich.

Auch wenn die Beschaffung hier laestig und zeitraubend ist:
Die Arbeit ist grundsaetzlich im Oesterreichischen
Verbundkatalog nachweisbar, sie wird nicht einfach
weggeworfen und man muss ihr nicht hinterherjagen wie der
Teufel der armen Seele.

Besteht keine Ablieferungsgepflogenheit an die
Institutsbibliothek (evtl. auch UB), dann wird wertvolle
Arbeitszeit von Bibliothekaren und Forschern vergeudet, die
einem Zitat oft mit negativem Ergebnis nachspueren muessen.
Die Institutsbibliothek hat kein Exemplar, der Betreuer
auch nicht, der Absolvent ist nicht aufspuerbar. Solche
Zitate bietet etwa die Auflistung aller kunsthistorischen
Arbeiten in der "Kunstchronik" (auch als Datenbank bei Foto
Marburg).

Hochschularchivare koennen das Problem nicht loesen, auch
wenn sie weniger rigide Kassationsgrundsaetze verfolgen als
der Kollege Freitaeger:

http://archiv.twoday.net/stories/4849472/ (Link zum PDF mit
Beitraegen von Freitaeger und Lengger)

Laut Runderlass des Kanzlers der RWTH ist es nicht mehr
zulaessig, bei Nennung von Abschlussarbeits-Themen diese
mit dem Namen des Bearbeiters zu verknuepfen. Wenn diese
Verknuepfung datenschutzrechtlich geschuetzt ist, kann der
Hochschularchivar nach Ansicht der Datenschuetzer die
Arbeiten erst zugaenglich machen, wenn der Absolvent 10
Jahre tot ist (in NRW, in anderen Laendern 30 Jahre).
Abgesehen von der Frage, ob eine Vorlage im Archiv eine
Veroeffentlichung im urheberrechtlichen Sinne darstellt
(was zu verneinen ist) scheidet auch eine anonymisierte
Vorlage aus: Diese enthaelt zwar dann (wendet man den
Gysi-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts an) keine
persoenlichen Einzelangaben mehr, aber eine Verwertung ist
aus urheberpersoenlichkeitsrechtlichen Grundsaetzen
ausgeschlossen (Inhaltsmitteilung, Zitatrecht).

Wenn der Forscher fuer die Einsichtnahme im Hochschularchiv
die Genehmigung des Absolventen braucht, kann er diesen
auch gleich kontaktieren ohne Umweg ueber das Archiv (wenn
er ihn denn findet).

(4) Wenn der Gesetz- oder Satzungsgeber eine
Veroeffentlichungspflicht fuer Dissertationen vorsehen
kann, dann kann er das bedenkenlos auch bei Habilitationen
und Abschlussarbeiten. Alles andere ist juristischer
Unsinn.

Klaus Graf


     

 



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